Die Welt in Europa?

Podiumsdiskussion zum Thema Migrationspolitik: Hochkarätige Vertreter der fünf größten Parteien stehen in Jena kritischem Publikum Rede und Antwort.

von Jan

Am Montag, den 19. Mai hatte das Referat für Menschenrechte des StuRa der Uni Jena zu einer Podiumsdiskussion mit dem Titel Europa in der Welt! Die Welt in Europa? eingeladen. Bei der Veranstaltung, die außerdem vom Eine Welt Netzwerk Thüringen e.V. und vom Fachschaftsrat Politikwissenschaft unterstützt wurde, ging es um Migrations-, Flüchtlings- und Asylpolitik. Auch anlässlich der näher rückenden Europawahl waren Vertreter der fünf größten Parteien geladen, um zu dem aktuellen und umstrittenen Thema Stellung zu beziehen.
Der Hörsaal 4 des Campus Carl-Zeiß-Straße war fast vollständig belegt, als ein Vertreter des Referates für Menschenrechte den Abend eröffnete. Der Moderator Olaf Leiße, Privatdozent der Politikwissenschaft in Jena, stellte zuerst jedem der Gäste eine Eingangsfrage; Jakob von Weizsäcker, Spitzenkandidat der Thüringer SPD für die Europawahl, positionierte sich und seine Partei als Erster: Die Frage, ob angesichts der alternden Bevölkerung in Europa Migrationspolitik ein zunehmend wichtiger Faktor sei, beantwortete er abwägend. Um einer weltweiten Chancen-Ungleichheit entgegen zu wirken und dem demographischen Wandel Herr zu werden, wären langfristige Lösungen angebracht. Ein schnelles Öffnen der Grenzen wäre fatal. Anschließend wurde Claudia Heber, auf Platz zwei der Thüringer CDU für die EU-Wahl, zu einer Einschätzung der Ressentiments gegen Arbeitsmigration aufgefordert. Der Moderator brachte zudem die Äußerungen Seehofers zur Sprache, der u. a. von „Sozialtourismus“ aus osteuropäischen Ländern gesprochen hatte. Heber betonte daraufhin die Wichtigkeit einer Willkommenskultur, die CDU sei vor allem für eine Einwanderung qualifizierter Fachkräfte. Seehofers Äußerungen versteht die Europaabgeordnete aber eher als Hinweis auf die theoretische Gefahr, dass deutsche Sozialsysteme ausgenutzt werden könnten. Dies konnte Madeleine Henfling aus Ilmenau nicht unkommentiert lassen: Für Ihre Ansicht, es handele sich um Äußerungen, die gezielt Ressentiments schüren sollen, erhielt die Grünen-Politikerin Applaus aus dem Saal. Die europäische Migrationspolitik sieht sie darüber hinaus als gescheitert an. Die neue Verordnung zur Regelung von Asylverfahren habe keine bedeutenden Verbesserungen mit sich gebracht. Die deutsche Spitzenkandidatin der Linken, Gabriele Zimmer, bezeichnete anschließend das europäische Grenzregime als „eine Schande“. Es gäbe für Flüchtlinge keine Möglichkeit, auf legalem Wege in die EU zu gelangen, außer in einzelnen Programmen der Staaten. Hier wiederum wähle man sich auf unmenschliche Weise nur diejenigen Menschen aus, die man haben wolle. Es gab Beifall. Die FDP war durch ihren Thüringer Spitzenkandidaten Matthias Purdel vertreten. Moderator Leiße fragte, wie die FDP zu der geplanten Satellitenkontrolle der EU-Außengrenzen steht. Purdel gab an, dass seine Partei dem kritisch gegenüberstehe, da durch die Überwachung die Bürgerrechte aller Menschen in Gefahr seinen. Anschließend stellte er das politische Modell der Liberalen vor, nach dem Migranten nach einem bestimmten Schlüssel auf die europäischen Staaten verteilt werden sollen.
Im Anschluss an diese Positionierung der Diskutanten wurde das Publikum mit einbezogen. In reger Beteiligung wurden zahlreiche Themen angesprochen und Fragen gestellt. Besonders hitzig wurde die Debatte, als von Weizsäcker die Leistungen der deutschen Flüchtlingspolitik im Rahmen des Balkankrieges hervorhob. Er stellte die Frage, warum man damals hunderttausende Menschen aufnehmen konnte und man sich heute gegen ein größeres Kontingent etwa von syrischen Flüchtlingen sperrt. Frau Henfling sowie einige Personen aus dem Saal wehrten sich gegen eine so positive Darstellung: Die Unterbringung und Gesamtsituation der vorwiegend bosnischen Flüchtlinge in Deutschland wäre damals zum Teil unmenschlich gewesen.
Nach gut zwei Stunden wurden zügig die letzten Beiträge vorgetragen, um die Veranstaltung zu einem Ende bringen zu können – wer immer noch Diskussionsbedarf hatte, konnte sich im Anschluss noch persönlich an die Gäste wenden.

Richtigstellung:
In der früheren Version des Artikels wurde Claudia Heber als MdEP und Madeleine Henfling als MdL bezeichnet. Korrekt ist aber: Claudia Heber ist (noch) kein Mitglied des Europäischen Parlaments, Madeleine Henfling ist Mitglied im Kreistag Ilm-Kreis.
Gabriele Zimmer ist nicht nur Thüringens, sondern Deutschlands Spitzenkandidatin der Partei Die Linke.

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