Nicht nur in Deutschland gibt es Frauen

Wie gehen Menschen weltweit mit der sexuellen Ungleichheit in der Sprache um? Ein unvollständiger Streifzug durch die Sprachen der Welt zeigt Ähnlichkeiten und erstaunliche Differenzen.

von Laser & Philipp

Liebe Genossinnen und Genossen, StudentInnen und Studierende, mensch hat es schwer. Die deutsche Sprache wartet nur darauf, dass ein unwissender Normalbürger Frauen und andere Geschlechter diskriminiert: Sie unterscheidet zwischen männlichen und weiblichen Pronomina bzw. Substantiven – und die männliche Zuschreibung dominiert. Aus diesem Grund haben sich verschiedene neutrale (wie Studierende), oder feminisierende (wie Studentinnen) Wörter in den Alltagsgebrauch der deutschen Sprache gekämpft. Mit vielen Wortneuschöpfungen versuchen so selbsternannte Sprachaktivisten die Chancengleichheit in der Gesellschaft über die Sprache zu erreichen. Bei diesem Gender-Diskurs stellt sich aber schnell die Frage nach ihrer Relevanz. Auf der Suche nach der Bedeutung dieser zwanghaften Sprachreform wollen wir einen Streifzug durch die Welt machen: Sind Deutsche die einzigen, die an der Sportart des Gendering teilnehmen?
Zum Beispiel zeichnet sich das Spanische zunächst auch durch eine strukturelle Ungleichheit aus. Prinzipiell ist die Sprache stärker auf das Männliche, als auf das Weibliche ausgerichtet. Egal, ob die Unternehmensführung männlich oder weiblich ist, eigentlich heißt es immer el jefe. Eigentlich. Denn nach dem Ende der Franco-Ära, und seitdem die ersten Frauen Führungspositionen in Unternehmen einnehmen, hat sich in der spanischen Gesellschaft seit den 1970er Jahren la jefa als Neologismus durchgesetzt. Julia Kuhn, Professorin für Romanistik an der FSU Jena, bezeichnet diesen Wandel hin zur verstärkten Verwendung femininer Formen als „Reflex der geänderten außersprachlichen Realität in der Sprache.“ Wenn Frauen gesellschaftlich Positionen erreichen, die zuvor Männern vorbehalten waren, ändert sich auch der alltagssprachliche Diskurs.
„In Lateinamerika entwickelte sich das Bewusstsein für Sprache und Geschlecht auch seit den 1970er Jahren“, sagt Rafael-Eduardo Matos, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Julia Kuhn. Als Isabel Martinéz de Péron von 1974-1976 argentinische Staatspräsidentin war, stellte sich die Frage, wie sie anzusprechen sei. Und auch 2007, zu Beginn der Präsidentschaft Christina Fernandéz de Kirchners in Argentinien war diese Frage ungeklärt – mittlerweile ist klar, Christina Kirchner ist la presidenta.

Companer@s & Chairperson. ¿Que?
Unabhängig von diesen Tendenzen gibt es auch Vorschläge, eine Neutralisierung der spanischen Sprache zu erzwingen. Zweifelsfrei neutrale Zeichen wie x oder @ ersetzen dann das übliche a oder o. So ist es zum Beispiel mit dem Wort l@s compañer@s bzw. lxs compañerxs geschehen – eine raffinierte Abwandlung von los compañeros, frei zu übersetzen mit Partner bzw. Getreuen. Anders als bei la jefa handelt es sich hierbei hingegen mehr um Formulierungen bei politisch motivierten Bewegungen als um eine weit verbreitete Standardfloskel.
In den Gesellschaften Lateinamerikas ist das Thema Gendern wohl ebenfalls eher ein Randphänomen der akademischen Elite. In diesen Ländern überwiegt das Nachdenken über wirtschaftliche Alltagsprobleme, nicht die Debatte um postmoderne Geschlechtskategorien. Dennoch, glaubt Matos, dass ein starkes Bewusstsein für sprachliche Problematiken in Lateinamerika zunehmen werde, da viele gesellschaftliche Debatten aus Spanien sich oftmals erst mit Verspätung in voller Wirkung zeigen.
Auch auf den Britischen Inseln ist die Frau in der Sprache ein Thema, obwohl es eigentlich keine geschlechtsbezogenen Artikel gibt. Doch auch wenn the radikal egalitär wirkt, die Wort-Endungen perpetuieren das Patriarchat in London, Liverpool und Leeds. In den letzten Jahrzehnten gab es deshalb von Feministinnen den Versuch, Sprache radikal weiblicher zu machen: Die history wurde zu herstory, wie Kerry Hinds vom Sprachenzentrum der FSU berichtet „But in general I would say there is more of a movement towards making language neutral as apposed to infusing it with more femininity.“ Der Chairman sieht sich deshalb zusehends mit neutralen Abwandlungen seinerselbst konfrontiert: mit Chairperson oder einfach nur Chair. Robert Gillett, der von uns befragte Germanist an der Queen Mary, University of London ist daher einfach nur Chair of German. Auch andere Berufe wie Steward/ess oder waiter/waitress werden durch neutrale Neologismen ersetzt: flight attendants liefern jetzt den Tomatensaft bei British Airways und server servieren die Pasta im Restaurant in Vancouver. Bleibt die Frage, wie es sich mit den Pronomina he, she und it verhält. Durchgesetzt hat sich die Political Correctness hier insofern, als dass in Gesetzen das generische Maskulinum benutzt wird: Es wird eingangs geschrieben, dass alle männlichen Formen immer auch die weibliche meinen. Radikalere Ansätze gibt es im akademischen Milieu: Manchmal wird die Zwitterform s/he benutzt, die beim Genitiv freilich an ihre Grenzen stößt. Eine andere Möglichkeit ist, in Beispielsätzen als Pronomen für the reader konsequent she zu benutzen – so wird die Frau im reader sichtbar. Manche verwenden auch durchgängig they – dieses lässt sich bei Verben allerdings aus seiner Pluralform nicht lösen und sorgt somit nur für Unklarheit. Was also tun in diesem Dschungel von Möglichkeiten, die alle nicht überzeugen? „Eine sehr schöne Lösung indes, die mir erst neulich begegnet ist“, so Robert Gillett, „ist das Wort que“.  Dieses „geschlechtswidrige“ Wort lehnt sich klanglich wie interpretatorisch an we an, behält aber alle – auch grammatikalischen –  Freiheiten. Sein Beispiel: „Que doesn‘t do gender; que is only too aware that gender is a heteropatriarchal straitjacket.“

Angela Merkel: notre chancelière
In Frankreich gab es zwar schon früher und stärker als in Deutschland Bestrebungen zur gesellschaftlichen Gleichheit der Frauen (Ausnahme: Wahlrecht), dafür taucht hier aber ein weiteres Problem auf: das zwischen geschriebener- und gesprochener Sprache. Denn das Endungs-e, dass weibliche Formen bezeichnet, hört man nicht; und durch die Apostrophierung fällt bei einigen Wörtern der klärende Artikel weg. Der Hörer erkennt schlicht nicht, ob es sich um l‘auteur oder l‘auteure handelt. Der Leser hingegen schon.
Auch gibt es mit der Académie française eine offizielle Sprachregelungsbehörde, die tendenziell konservativ handelt – und sich darüber hinaus vor allem dem Schriftbild verpflichtet fühlt. Anfang der 1990er Jahre führte die erste Berufung einer Premierministerin zur Frage, ob es Mme le ministre oder Mme la ministre heißen solle. Die Académie sprach sich für le aus, was der grammatikalisch nicht veränderbaren Form von ministre Rechnung trägt. Tatsächlich durchgesetzt hat sich heute aber die selbstbewusstere Form des Mme la ministre. Dieses Beispiel ist durchaus paradigmatisch, gibt es doch viele Wörter, die grammatikalisch nicht in ihrem Genus verändert werden können – anders als im Deutschen mit dem Anhängen der Endung -in. Doch wie sich zeigt, schafft die gesellschaftliche Realität neue grammatikalische Fakten und Regeln, das erinnert an die Entwicklung in Spanien. Ähnlich verhält es sich auch mit der Berichterstattung über Angela Merkel. Gab es bis zu ihrer Wahl zur Bundeskanzlerin im Französischen nur le chancelier, gibt es seitdem die Neuschöpfung la chancelière. Auch die Professorinnen werden zunehmend nicht mehr als professeur, sondern als professeure bezeichnet – auch wenn man eben diese Feinheit nicht hören, sondern nur lesen kann.
Geht es daran, geschlechtlich gemischte Gruppen zu bezeichnen, bedienen sich die Franzosen gleicher Muster wie alle in Europa: Klassischerweise nutzt man die männliche Form, zusehends setzt sich aber in offiziellen und akademischen Kreisen auch die Beidnennung durch – eine Ausnahme hiervon bietet nur das Isländische, in dem gemischte Gruppen mit dem Neutrum bezeichnet werden.
„Was also tun?“, fragen wir Rainer Schlösser, Professor für Romanische Sprachwissenschaft an der FSU. Klare Lösungen gibt es nicht. Stattdessen ein paar erhellende Überlegungen: Ob eine feministische Reform der Sprache befreiend wirkt, darf zumindest bezweifelt werden. Deutsche Frauen durften schon ab 1919 wählen, und doch wurde bis vor wenigen Jahren nur von Wählern gesprochen. Auch dürfen Frauen schon seit 100 Jahren hierzulande studieren – sprachlich ist die Studentin aber erst in den letzten Jahrzehnten in den Hörsälen angekommen. Diese Veränderungen scheinen also zumindest manchmal der gesellschaftlichen Realität hinterher zu hinken. Dass eine Reform der Sprache eine Revolution der Gesellschaft bewirke, darf also bezweifelt werden. Gleiche Sache, andere Geschichte: Im Arabischen wird ein Verb je nach Geschlecht des Subjekts unterschiedlich konjugiert. Frauen sind in der Sprache also sichtbarer als in Deutschland. Dass Frauen deshalb in der Gesellschaft gleichberechtigter sind als in Europa – darüber kann man sich durchaus streiten. Man sieht, die Grammatiken der Sprache und der Gesellschaft müssen nicht deckungsgleich sein. Und trotzdem bleibt das Gefühl: Die sprachlichen Provokationen der Mme la ministre haben zu einer stärkeren Akzeptanz von Frauen in Führungspositionen geführt.
Die Sprache aber, so Rainer Schlösser, habe auch andere Aufgaben, als die Lebenswelt abzubilden. Sie dient möglichst effizienter Kommunikation. Wenn man in manchen Gruppen nicht zwischen Geschlechtern unterscheiden will, warum soll man sie dann benennen? Dass die für beide Geschlechter verwendete Pluralform mit der männlichen übereinstimmt, spiegelt historische Zustände wider. Semantisch gesehen handelt es sich aber um verschiedene Formen. Und Sprache wandelt sich in den meisten Bereichen halt langsamer als die Gesellschaft.

Das Land der unbegrenzten Geschlechter
Dass es auch völlig anders geht, zeigt die Zuweisung von Gender in Bantu-Sprachen, die vor allem im Süden Afrikas gesprochen werden. Anders als in den oben besprochenen Beispielen kennt diese Sprachfamilie kein Maskulin, Feminin oder Neutrum. Im Vordergrund stehen 13 verschiedene nominelle Genderklassen. Für Europäer ist es zwar schwer vorstellbar, aber in Bantu stehen sich deswegen Gender für Menschen auf der einen, und Gender für Tiere bzw. menschliche Körperteile, Alltagsobjekte oder sogar Verben auf der anderen Seite gegenüber. Wie der Streifzug durch die Welt zeigt, kennt die Kreativität der Feminisierung bzw. Neutralisierung der Sprachen jedenfalls fast keine Grenzen. Hoffen wir also darauf, dass sich in Afrika nicht eines Tages ein Baum im falschen Gender des Verbs wiederentdeckt. Spätestens wenn Bäume nach der ersten erfolgreichen Klimakonferenz zurück an die Spitze der Gesellschaft klettern, steigt dann die Wahrscheinlichkeit für eine Sprachreform von unten, eine neue Form der Graswurzelbewegung sozusagen.

Kommentare

2 Antworten zu „Nicht nur in Deutschland gibt es Frauen“

  1. Avatar von resal
    resal

    Ein guter Hinweis, aber spiegelt das Gendering wirklich gesellschaftliche „Zustände“ wieder? Oder will es der ganzen Problematik nicht zwanghaft etwas hinzufügen, das ein paar Menschen für wichtig halten – die sich selbst etwas zu wichtig nehmen?

    Dieser Zwang nämlich, denke ich, kommt dann wiederum etwas seltsam daher, er drängt sich auf, will aufregen – er nervt. Und diese Denkweise führt dann dazu, dass Gendering einen gegensätzlichen Effekt hat: Es schreckt den Normalbürger ab..

  2. Avatar von Katze
    Katze

    „Dass eine Reform der Sprache eine Revolution der Gesellschaft bewirke, darf also bezweifelt werden.“

    Sicher mag das bezweifelt werden, aber die Sprache spiegelt die Revolution in der Gesellschaft oder generell gesellschaftliche Zustände wider. Wenn etwas in den Köpfen angekommen ist, dann liegt es meist auch in der Sprache vor. Der Artikel zeigt dies an einigen Beispielen… auch die „Studentin“ ist ein schönes Beispiel, wurde man als Frau an einer Universität vor 100 Jahren doch sicher eher belächelt und ganz sicher nicht als normal empfunden. Dass es damals also nach wie vor nicht das Bedürfnis gab, weibliche Studenten anzusprechen, ist ganz logisch.

    Die Genderdebatte in der Sprache ist spannend und sehr viel tiefgründer als Berufsbezeichnungen. Und sie ist auch ein Missverständis. Das Genus (grammatikalische Geschlecht) ist nicht übereinstimmend mit dem Sexus (biologisches Geschlecht). Wenn man von „Studenten“ oder „Student“ redet, muss es nicht heißen, dass man von einem Mann oder mehreren redet (was übrigens auch ein Dilemma ist). Es waren eben früher nur Männer. Heute müssten wir eigentlich so weit sein, dass „Studenten“ einfach gar kein Geschlecht benennen. Aber stattdessen gibt es das widersinnige „Studierende“, das grammatikalisch keinen Unterschied zu „Studenten“ aufweist, jedoch als geschlechtsneutral empfunden wird. Hier wird die Differenz zwischen gesellschaftlicher und grammatikalischer Sprache sehr deutlich. Und dass es sich hier eben nur um behelfsmäßges Konstrukt handelt.

    Frauen müssten heute eigentlich schon viel selbstbewusster sein. Es ist nicht notwendig, zu zeigen, dass man eine „ÄrztIN“ ist, man ist einfach ein Arzt, ein medizinisch Fachkundiger. In Zeiten, in denen es nicht normal war, dass eine Frau ein Arzt ist, mag das wichtig zu differenzieren gewesen sein, heute ist es in meinen Augen unnötig (mal abgesehen davon, dass die Gesellschaft viel zu fixiert auf das Geschlecht ist).

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