Mr. Wednesday und andere Relikte in unserem Kalender


Über Tage, Monate und Jahre und die kultur- und sprachgeschichtlichen Ursprünge ihrer Bezeichnung schreibt Thomas Honegger, Professor für Anglistische Mediävistik an der FSU Jena.

von Thomas Honegger

Neil Gaimans Roman American Gods und die gleichnamige Fernsehserie sind in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Mich hatten sie in dem Moment überzeugt, als der Protagonist Shadow auf dem Flug nach Hause neben einem Unbekannten zu sitzen kommt, der sich als Mr. Wednesday vorstellt. Dies mag auf den ersten Blick als eine intertextuelle Anspielung auf Defoes Robinson Crusoe erscheinen, der mit Fridayja auch einen ‚Wochentagnamenprotagonisten‘ kennt. Doch trägt der Unbekannte in American Gods nicht nur einen außergewöhnlichen Namen, er ist auch noch auf einem Auge blind und hat, wie wir später herausfinden, eine besondere Affinität zu Raben. Diese Elemente zusammen mit der Aussage, dass Wednesday sein Tag ist, liefern dem englischsprachigen Publikum den Schlüssel zu seiner Identität: der Unbekannte ist Wodan, dessen Tag tatsächlich der Mittwoch (Wodens-daye > Wednesday) ist.
Mit diesem einfachen Trick macht uns Gaiman bewusst, dass unsere (Alltags-) Sprache vielfach vergessenes Kulturgut enthält. Viele der Wochentagnamen verweisen auf weit zurückliegende Glaubens- und Weltvorstellungen und schon die mittelalterlichen Chronisten waren sich dieser oftmals heidnischen Überbleibsel bewusst – und akzeptierten sie als ein Teil unseres kulturellen Erbes. Nebst Wednesday haben wir Tuesdayals Tag des Kriegsgotts Tiw, Thursday als Tag des Donnergottes Thor, und Fridayals Tag der Göttin Freya (oder des Gottes Freyr) etc. Erweitert man etwas das Blickfeld und schaut einerseits auf die Bezeichnungen für gewisse Tageszeiten und anderseits für die Monate des Jahres, so trifft man vermehrt auf Einflüsse aus der Antike und dem monastischen Leben. So überlebt im Englischen mit noon die alte monastische Bezeichnung für die neunte Stunde (nona hora > noon) des Tages. Die Monate Juli und August verdanken ihre Namen den römischen Herrschern Julius Cäsar und Octavian Augustus. Auch die restlichen Monate bezeugen die Dominanz der Antike und sind entweder nach antiken Gottheiten (Januar < Janus) oder in nüchtern-römischer Art entsprechend ihrem Platz im römischen Jahresablauf durchnummeriert (Oktober < octo, i.e. der achte Monat; November < novem, i.e. der neunte Monat etc.). Gegen diese relativ funktionale Einteilung konnten sich weder die wesentlich poetisch-anschaulicheren Namen wie der altenglische blodmonath (der ‚Blutmonat‘. i.e. November), der den Monat der Tieropfer bezeichnete, noch die bildlich-plastischen Namen des französischen Revolutionskalenders (gültig 1792-1805) wie Brumaire (‚der Neblige‘; Oktober/November) oder Thermidor (‚der Warme‘, Juli/August) durchsetzen. Und selbst die Jahreszählung ist kulturell bedingt. Wir nehmen ganz selbstverständlich an, dass wir im Jahr 2019 leben.
In der islamischen Zeitrechnung befinden wir uns allerdings erst im Jahr 1440, nach der jüdischen Zeitrechnung bereits im Jahr 5779. Die Unterschiede entstanden durch die Wahl unterschiedlicher Ausgangspunkte. Der jüdische Kalender nimmt die Erschaffung der Welt im Jahre 3761 v.Chr. als Startpunkt, sein islamisches Gegenstück das Jahr 622 n.Chr in dem der Prophet Mohammed von Mekka nach Medina auswanderte (Hidschra). Nun wurde und wird eine ‚konfessionelle Gebundenheit‘ der Datierungen als störend empfunden und bereits im Zuge der französischen Revolution ist man dazu übergegangen, das anstößige n.Chr. (nach Christus) durch ère commune (abgekürzt EC; im Englischen Common Era, als CE abgekürzt) zu ersetzen. Der entsprechende Ausdruck im Deutschen ist ‚(nach) unserer Zeitrechnung‘ (n.u.Z.). Damit wird zwar immer noch Christi Geburt als Ausgangspunkt der Zählung genommen, aber zumindest wird dies nicht mehr explizit erwähnt.Dass man jedoch bei solchen Dingen etwas zu weit gehen kann hat eine Fachkollegin von mir bewiesen, als sie die in der Radiokohlenstoffdatierung benutzte Bezeichnung ‚before present‘ (abgekürzt BP; in etwa ‚vor der jetzigen Zeit‘) auch in der Sprachgeschichte verwendete. Als Referenzpunkt wurde für diese Datierungsmethode das Jahr 1950 festgelegt, so dass wir Aussagen bekamen wie ‚Die normannische Eroberung Englands fand im Jahre 884 BP [d.h. 1066 n.Chr.] statt.‘ Als Sprachhistoriker bin ich jedoch der Meinung, dass unser vielfältiges kulturelles Erbe in der Sprache durchaus erkennbar sein darf und wesentlich zum Charakter einer Sprache beiträgt. Deshalb datiere ich diese Kolumne auf den Juli 2019 n.Chr. – und nicht auf den Thermidor des Jahres 69 AP (‚after present‘), auch wenn der Juli durchaus ein ‚warmer‘ Monat ist.

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