memorique: Versöhnung durch Begegnung

(Foto: Jeremy Sharp)
(Foto: Jeremy Sharp)

Seit 25 Jahren treffen sich in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Oświęcim (Auschwitz) Jugendliche aus aller Welt zu Gesprächen mit Lagerüberlebenden.

von David

Auschwitz – kein anderer Begriff steht so deutlich für den nationalsozialistischen Zivilisationsbruch. Der „großen“ juristischen und politischen Aufarbeitung, mit den Auschwitz-Prozessen oder mit Willy Brandts Kniefall in Warschau, standen „kleine“ Bemühungen um Versöhnung gegenüber, etwa in den Aktivitäten des Netzwerkes Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, das aus der Friedensbewegung der 1950er hervorgegangen war. In den frühen 1970er Jahren leiteten deren Aktivisten und die Betreiber der Gedenkstätte Auschwitz Gespräche ein und beabsichtigten, einen Ort zu schaffen, an dem sich junge Menschen aus aller Welt im Zeichen der Völkerverständigung und des Friedens begegnen könnten – trotz der Neuen Ostpolitik war dieses deutsch-polnische Vorhaben unter den Vorzeichen des Kalten Krieges alles andere als einfach. Erst Ende 1986 wurde die Internationale Jugendbegegnungsstätte Oświęcim (Auschwitz)/IJBS schließlich eröffnet.
25 Jahre später zieht die IJBS in einer nun erschienenen Jubiläums-Festschrift Bilanz: 150.000 Menschen sind sich hier bislang begegnet. Die Mehrheit von ihnen sind Deutsche und Polen, die im Rahmen von Schulprojektwochen die Gedenkstätte Auschwitz besuchen und mit ehemaligen Häftlingen ins Gespräch kommen. „Die tagtägliche Arbeit des Hauses besteht hauptsächlich aus unzähligen Begegnungen, Gesprächen und Diskussionen“, so der Direktor der IJBS Leszek Szuster. Es gehe darum, gegen Gleichgültigkeit zu arbeiten und für die Schüler eine Antwort auf die Frage „Was geht mich das an?“ zu finden.
Der Band versammelt Beiträge von IJBS-Mitarbeitern, ehemaligen IJBS-Besuchern, Lehrern, aber auch die Erzählung einer Auschwitz-Überlebenden, sowie Fachartikel deutscher und polnischer Historiker. Zwischen journalistischen Artikeln, wissenschaftlichen Aufsätzen, reinen Infotexten und sehr persönlichen Beiträgen deckt er eine große Bandbreite ab. Zweifelsohne ist der Beitrag der Journalistin Katarina Bader der Höhepunkt des Bands – jener, der das Ziel der „Versöhnung durch Begegnung“ am lebendigsten illustriert. Als Schülerin lernte Bader in der IJBS den ehemaligen Auschwitz-Häftling Jurek Hronowski kennen. Zwischen der deutschen Schülerzeitungsredakteurin, die beim Zeitzeugengespräch mit etwas unpassenden Fragen auffiel, und dem hochgradig stolzen alten polnischen Mann, der Mitleidsbekundungen und Pathos verabscheute, entstand eine langjährige Freundschaft. Für Bader war diese Begegnung zugleich der Auslöser dafür, sich intensiv mit der polnischen Sprache und Geschichte auseinanderzusetzen.
Vor Auschwitz gab es Oświęcim, eine sehr alte Kleinstadt, in der etwa Dreiviertel der Einwohner bis 1939 Juden waren. Die größtenteils von polnischen Bauern bewohnten Randbezirke wurden 1941 zwecks Errichtung des Lagers von den Nationalsozialisten dem Erdboden gleichgemacht und ihre Bewohner vertrieben, als Zwangsarbeiter deportiert oder im Lager ermordet. Heute, weiß der gebürtige Oświęcimer Journalist Zbigniew Bartuś zu berichten, leben dort, in Sichtweite des berüchtigten Eingangstors, auch viele Nachfahren der Vertriebenen. Die Nähe zur Gedenkstätte führt zu skurrilen Situationen: So schaut manch ein Besucher aus Westeuropa die dort wohnenden Oświęcimer aus irregeleiteter Pietät schief und vorwurfsvoll an, wenn er sie bei scheinbar anstandslosen Alltagstätigkeiten wie Rasenmähen und Hochzeitsfeiern beobachtet.
Gerade diese Reibungspunkte, die am realen Erinnerungsort Auschwitz eben auch auftreten, kommen in vielen Beiträgen und vor allem in jenen mit unmittelbaren IJBS-Bezug etwas zu kurz. Dennoch besteht in allen Texten Einigkeit darüber, dass die Ziele der IJBS auch über 25 Jahre nach ihrer Gründung nicht abgeschlossen sind, weil sie ein niemals endender Prozess bleiben werden: „Das Vertrauen ist immer wieder neu zu erringen“, wie eine Aktivistin der Aktion Sühnezeichen Friedensdienst formuliert – gerade im Hinblick auf die Zukunft, in der Zeitzeugen nicht mehr selbst von der Vergangenheit berichten können.

Richard Pyritz / Matthias Schütt (Hrsg.)
Auschwitz als Aufgabe. 25 Jahre Internationale Jugendbegegnungsstätte Oświęcim (Auschwitz)
be.bra wissenschaft verlag
237 Seiten
26,00 €

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