Mein schönstes … Dach der Welt

von fabik

Damaskus liegt in Syrien, das wusste ich. Der Lonely Planet erzählte mir, dass man dort saubere und lange Kleidung schätze und in der letzten arte-Doku sprachen sie davon, dass es dort auch diese sogenannten Fundamentalisten gäbe. Es war Spätfrühling im Jahre 2004 – Sprachkurs im Orient.

Doch darum ging es eigentlich nicht. Es ging um den kleinen Strohhalm, nach dem ich griff, der mich damals und immer wieder in den Nahen Osten trieb, der mich davon überzeugen sollte, dass die arabische Welt doch mehr sei, als mir meine Dozenten weiszumachen versuchten. Mehr als die Konjugation von Verbformen ausgestorbener Sprachen und mehr als Lichtprojektionen zerkratzter Münzen in abgedunkelten Islamwissenschaftsvorlesungen.

Vier Wochen lang führte mich meine Suche durch englischsprachige Parallelkulturen, Wasserpfeifenlethargie mit Apfelaroma und touristischen Entdeckungszwang griechisch-orthodoxer Bergkirchen und kitschschwangerer Touri-Basare, bis ich merkte, dass mein Ziel kaum 20 Treppenstufen über meinem Bett lag, bei der einzigen „Dozentin“, die es, auf einem weißen Plastikstuhl sitzend, vermochte, mir diese Welt zu vermitteln. Aisha, meine Sprachkurslehrerin und Geliebte, und ich saßen Hand in Hand auf diesem Dach, dessen Ausblick nicht nur von den verfallenen Hütten des palästinensischen Flüchtlingslagers bis zum strahlend weißen Präsidentenpalast, nicht nur vom luxuriösen Hotel „Cham Palace“ bis zu den staubigen Hängen des Berges Qasyun reichte.

Der Ausblick dieses kleinen, schmutzigen Dachs am Stadtrand von Damaskus schaffte es, die Illusion einer Kultur zu zerstören, von der ich vorher nicht einmal wusste, dass ich sie hatte. Während Satellitenschüsseln so schmerzhaft jahrhundertealte, konfus gebaute Lehmbautenarchitektur aufbrachen, sträubten sich in grünes Neonlicht getauchte Minarette, sich in mein Bild einer traditionellen, archaischen Religion einzufügen, als christliche Friedhöfe, die fast im grau brennenden Smog verschwanden, sich der  von mir zugedachten muslimischen Homogenität verweigerten. Aisha, die durch Fernsehen und Sprachschüler westlich sozialisierter schien als ich und es mit ihren Koranrezitationen und Imambesuchen doch fast schaffte, mich meines atheistischen Glaubensbekenntnisses zu entreißen, bis sie schließlich wieder über ihre „schmutzigen schiitischen Nachbarn“ hetzte, und ich saßen auf diesem Dach und wir sträubten uns, es jemals wieder zu verlassen.


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