Wenn die Bilder laufen lernen

In der britisch-polnischen Koproduktion Loving Vincent werden die Gemälde des berühmtem Malers als Animationsfilm zum Leben erweckt. Der Film startet dieser Tage in deutschen Kinos.

von Frank

Wenn die Bilder laufen lernen – was in der Geschichte des Kinos schon über ein Jahrhundert alt ist, wurde im Animationsfilm Loving Vincent auf ganz neue Art wörtlich genommen: Die Gemälde des niederländischen Künstlers werden wahrhaftig zum Leben erweckt und fügen sich auf der Kinoleinwand zu einer spannenden Story, die sich um das Wirken und vor allem das tragische Ende des im Juli 1890 in Auvers-sur-Oise verstorbenen van Gogh dreht.
Wir setzen an etwa ein Jahr nach dem Tod des Malers, als plötzlich ein Brief van Goghs an seinen Bruder Theo auftaucht. Ein guter Freund von Vincent schickt seinen Sohn, den hitzköpfigen Armand Roulin, mit dem Auftrag los, diesen letzten Brief auszuhändigen. Zunächst widerwillig, lernt Armand auf seiner Reise immer mehr über das Leben des Künstlers (das vor allem in atmosphärisch dicht erzählten Rückblenden gezeigt wird) und stößt auf einige Ungereimtheiten zu dessen Ableben, je mehr er sich mit den Menschen aus Vincents Umfeld beschäftigt…
Der Begriff „Biopic“ trifft hierbei nur halb zu – denn eigentlich sind es unsagbar viele „pics“, die zu der außergewöhnlichen Optik von Loving Vincent beitragen, die sich wohl am besten als Pinselstrich-Stopmotion bezeichnen ließe: Über 120 Künstler aus aller Welt schufen mehr als 65.000 Einzelbilder für den ersten vollständig aus Ölgemälden erschaffenen animierten Langfilm. Das Ergebnis ist eine faszinierende, aber auch zunächst gewöhnungsbedürftige Optik, die eine Sichtung auf der großen Kinoleinwand unbedingt notwendig macht – wer würde sich auch Ölgemälde auf dem Computer statt im Museum ansehen?

Eingeflossen in die Szenarien des Films sind dabei unter anderem van Goghs bekannte Gemälde wie die „Caféterasse bei Nacht“, das „Weizenfeld mit Raben“ oder die „Sternennacht“. Beinahe subtil eingebaut werden Personenstudien des berühmten Impressionisten: Mademoiselle Gachet am Klavier, Portraits des Briefträgers Joseph Roulin und des Arztes Dr. Gachet, die allesamt als handelnde Personen im Film auftauchen, ebenso wie ein namenloser Schiffer und ein Bauer, deren Aussehen inspiriert von Gemälden van Goghs ist. Ob feuchtes Straßenpflaster, Spiegelungen in Scheiben oder der Rauch einer Pfeife: Die Brillanz, mit der das Animationshandwerk hier betrieben wurde, lässt immer wieder staunen. Rückblicke des sonst sehr farbenfrohen Films werden dabei in Schwarzweiß erzählt – und wirken in einer Umsetzung aus Kohle- und Bleistift-Zeichnungen beinahe photorealistisch. Sie illustrieren dabei unter anderem, wie der Maler zusehends dem Wahn verfällt, auch die Beziehung zu seinem Bruder Theo… leider werden die Flashbacks teilweise sehr bemüht zur Exposition eingesetzt. Ein simpler, aber erzählerisch sehr wirkungsvoller Kniff dabei: Die Geschehnisse in den Rückblenden verändern sich, je nachdem, von welcher Figur sie erzählt werden.
Als Ergebnis steht ein spannender „Who done it“-Krimi, angesiedelt im Frankreich der 1890er Jahre, gemischt mit einem rückblickenden Bio-Pic. Nicht zu unterschätzen ist Loving Vincent aber auch als ein Coming-of-Age des jungen Roulin, der sichtbar an der Aufgabe wächst, die Wahrheit über den Tod des Malers ans Licht zu bringen. Bei den Dialogen wäre an mancher Stelle die Devise „weniger ist mehr“ sinnvoll gewesen, was allerdings nur eine kleine Schwäche des für den Golden Globe nominierten Films darstellt.
„Deinen Gemälden wohnt eine Kraft inne, die sicherlich einst geschätzt werden wird“, schrieb Theo van Gogh an seinen Bruder Vincent. Mit Loving Vincent werden seinen Gemälden auf eine ganz neue Art Kräfte entlockt. Für Kunstfreunde und Fans von Animationsfilmen eine absolute Empfehlung!

Kinostart: 28. Dezember 2017


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