Kommentar: Warum unsere Kinder Perverse werden (oder auch nicht)

Ein unwissenschaftlicher Kommentar zum Thema „verdorbene Jugend“ sollte mit einem altklugen Spruch beginnen, z.B. dem von Heranwachsenden, die ja „schon lange nicht mehr das sind, was sie mal waren“. Oder man befragt die Lebenswelt der viel zitierten „Jugend von heute“, in der sexuell explizites Video-, Bild- oder – für Nostalgiker – auch Textmaterial so einfach zugänglich ist wie wohl nie zuvor. Diese neue Freiheit trägt ungewollte Früchte. Wenn nicht gerade die Fehlentwicklung der heranwachsenden Generation(en) mit alarmierenden Zahlen zu Drogenkonsum, Komasaufen und Computerspielsucht illustriert wird, dann wird nicht selten mit aufrüttelnden Beispielen auf etwas aufmerksam gemacht, das allgemein unter dem Begriff der „sexuellen Verwahrlosung“ gefasst wird.

Gangbang auf die Ohren

Sich den neuesten Song von „King Orgasmus“ per Jamba aufs Handy zu laden oder sich das lasziv räkelnde Teeny-Idol als Videoklingelton zu beschaffen, ist denkbar simpel – beides muss sich dann den Speicherplatz mit dem neuen Nacktfoto-Scanner teilen. Der MP3-Player dudelt etwas von „Gangbang“ und vielen weiteren sexuellen Ein- und Zweideutigkeiten. Junge Frauen werden in diesen Sound- und Videoschnipselchen meist zu hirnlosen Lustobjekten degradiert – und das, obwohl sich die entsprechenden Porno-Rap-Interpreten gerade bei ihnen bis vor Kurzem noch einer verwunderlichen Beliebtheit erfreuten. Werdende Männer sehen sich „Vorbildern“ gegenüber, denen romantische Gefühle oder auch nur Interesse an der Persönlichkeit von Frauen vollends abgehen. So fühlen sich Jugendliche beiderlei Geschlechts unter Zugzwang gesetzt, denken, solche Praktiken seien ganz normal – oder besonders cool. Eltern, Lehrer, Ärzte und Wissenschaftler zeigen sich regelmäßig besorgt bis alarmiert.

Früher, härter, unromantischer?

Medial wird das ganze dann mit Schlagzeilen wie „Früher, härter, unromantischer – Sex ohne Liebe?“ oder „Wenn Kinder nicht mehr lernen, was Liebe ist“ unter vermeintlichem Mehrwert aufgearbeitet. Konjunktur hatte solcher Expertentalk meist, wenn gerade ein neues Album von Sido erschienen war oder gewalttätige Sexvideos via Bluetooth auf Schulhöfen die Runde machten. Interessant ist dabei v.a., dass fast ausschließlich über die Heranwachsenden gesprochen wird, dass Beobachtungen über ihr Verhalten und ihren Sprachgebrauch kundgetan werden. Das macht es einerseits leichter, zu vermeintlich „objektiven“ Beurteilungen zu kommen. Andererseits ist es einer Problemlösung nicht gerade zuträglich.

Verständlicherweise gehört zu den ersten Forderungen das rigorose Verbot derart pornografischer Medienauswüchse. Nur hinken die Verbote den Trends meist nicht nur um Jahre hinterher, sie lassen sich in Zeiten von Internettauschbörsen und Multimediahandys auch kaum durchsetzen und schaffen über den „Reiz des Verbotenen“ im ungünstigsten Fall sogar noch mehr Nachfrage. Das Schlimmste ist jedoch: Sie reagieren viel mehr auf die Symptome als auf die Ursachen. Schließlich bedarf es heutzutage gar keiner schlüpfrigen Motivation mehr, um sexuell aufgeladener (Bilder-)Sprache oder nackten Tatsachen zu begegnen. Ein Blick in die Werbung genügt, ganz zu schweigen von entsprechenden Modetrends. Sex verkauft sich gut, das ist wahrlich keine Neuigkeit mehr. Irgendwie gehört er dazu. Aber erst ab 18, versteht sich! Und vorher? Augen und Ohren zu?

„Bienchen“ und „Blümchen“ sind überholt

Natürlich sollte dem freien Spiel der pornografischen Kräfte und der „Verwahrlosung“ nicht einfach das Terrain zur freien Entfaltung überlassen werden. Man muss – auch ohne Verbote – Alternativen aufzeigen. Entscheidend ist dabei, dass man in zahllosen „Expertenrunden“ nicht losgelöst von der Realität über die sexuelle Entwicklung von Heranwachsenden diskutiert. Diese wollen ernst genommen werden. Ihrer Neugierde (und sicher auch ihrer Ungeduld) muss, gerade in diesem Lebensbereich, Rechnung getragen werden, man darf nicht mit erhobenem Zeigefinger oder kindlich-naiven Aufklärungsversuchen alá „Bienchen“ und „Blümchen“ agieren. Das verschreckt eher und ist für alle Beteiligten peinlich.

Erfolgversprechender sind verständliche und v.a. leicht erreichbare Angebote, die auf Wunsch auch anonym und ohne oberlehrerhaftes Blabla angeboten werden. Was zunächst nach modernem Dr. Sommer-Team klingt, muss gar nicht so bieder sein. Viel eher als mit Eltern oder Lehrern lassen sich Jugendliche mit denjenigen auf offene Gespräche ein, die einen ähnlichen Hintergrund haben wie sie, die aber mit fundiertem Wissen und ungezwungen helfen, Ängste, Alltagsmythen oder überhöhte Erwartungen zu überwinden.

Die Fachschaft Medizin an der FSU Jena bietet seit einiger Zeit ein bemerkenswertes Beratungsangebot mit dem Namen „Mit Sicherheit verliebt“ an – ein Schulprojekt, bei dem Studenten einen Teil zur Aufklärung Jugendlicher beitragen. An den Projekttagen gehen sie in die Schulen, einen Unterrichtstag lang dreht sich dann alles um Sexualität und Prävention. Die Jugendlichen können Fragen stellen, ohne dass ein Lehrer dabei ist. Ein begrüßenswertes Projekt.

Weitere Infos: www.sicher-verliebt.de

von Frank


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