Vier Jahre nach der „grünen Revolution“: Eine Innenansicht aus Iran

Private Aufnahmen der Proteste aus dem Juni 2009
Private Aufnahmen der Proteste aus dem Juni 2009

Widerstände werden von der Regierung verfolgt und die wirtschaftliche Lage raubt den Iranern die Kraft zum politischen Protest. In den Vordergrund treten alltägliche Existenzängste. Hat neuer Protest noch eine Chance? Der Deutsch-Iraner Roman berichtet.

von Anne

Am 14. Juni fanden in Iran die Präsidentschaftswahlen statt. Vor vier Jahren rief die Wiederwahl des Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad eine Welle des Protestes auf Teherans Straßen hervor, die das Regime innerhalb weniger Wochen blutig niederschlug. In Gang gesetzt wurden die Demonstrationen von Anhängern des damaligen Herausforderers, Mir Hossein Mussavi, die der Regierung massiven Wahlbetrug vorwarfen. Doch schnell entwickelte sich der Aufstand zu einer Bewegung aller Alters- und Gesellschaftsschichten, in der Iranerinnen und Iraner zusammen kamen, um für „den Wechsel“ zu demonstrieren, unabhängig ihrer Sympathien für den einen oder den anderen Politiker.
2009 bewunderten weltweit viele die mutigen Menschen auf Teherans Straßen, die gegen das Regime protestierten. Kurze Zeit später wurde die Berichterstattung über Iran, nicht nur in deutschen Medien, von Meldungen zum iranischen Atomprogramm und den damit verbundenen Drohgebärden gegenüber dem Westen überlagert. Was ist noch übrig von der „grünen Bewegung“ und welche Folgen hatte sie für die Menschen im Land? Wäre es möglich, dass es wieder zu Protesten kommt, obwohl Ahmadinejad aus verfassungsrechtlichen Gründen in diesem Jahr nicht kandidieren konnte? Ein junger Deutscher iranischer Abstammung, der weiterhin guten Kontakt zu seinen Verwandten in Iran pflegt, konnte uns einige dieser Fragen beantworten.
„Von der ,Grünen Revolution‘ ist so gut wie nichts mehr übrig“, erklärt Roman. Damalige Aktivisten stehen entweder unter strenger Beobachtung oder sogar unter Hausarrest – falls sie überhaupt noch in Iran sind. Denn die meisten Träger der Proteste sind bereits emigriert. Ihr Kontakt zu den Menschen, die weiterhin in Iran verweilen, wird streng überwacht. Dazu tragen vor allem die eingeführten Kontrollen sämtlicher Satelliten- und Internetnetze bei, die es seit 2009 nahezu unmöglich machen, unbemerkt Protestaktionen zu organisieren. Soziale Netzwerke können nicht, wie in anderen Ländern des arabischen Frühlings, zur Mobilisierung genutzt werden. Somit überrascht es nicht, dass die tief in der Gesellschaft verwurzelte iranische Revolutionsgarde wesentlich besser organisiert ist, als der kleine Rest der Protestbewegung im Untergrund.

Überwachung, Zensur und Existenzangst
„Man hört auch immer wieder Stimmen von Besuchern in Iran, die bei ihrer Einreise verhört worden sind“, berichtet Roman weiter. Scheinbar existiert ein Register, in dem sowohl iranische als auch andere Staatsbürger gelistet sind, die an Demonstrationen und ähnlichen Aktivitäten im In- und Ausland mitgewirkt haben. Ist man im Register gelistet, wird man bei der Einreise befragt, warum man demonstriert hat, welcher Gruppe man angehört und was man im Land vorhabe. Auf Grund dieses Registers werden Personen, die heute in den Iran einreisen wollen, zum Teil unter Generalverdacht gestellt. Auf beängstigende Art und Weise zeigen solche Vorfälle, wie lang der Arm einer Regierung sein kann. Auch wenn man nicht lange festgehalten wird, bekommt man doch das unangenehme Gefühl, während des Aufenthalts unter ständiger Beobachtung zu stehen – was auch gewollt ist.


Unter dem Vorwurf, eine „sanfte Revolution“ in Iran zu organisieren, wurde einheimischen Journalisten jegliche Zusammenarbeit mit ausländischen Medien, wie beispielsweise der BBC, Deutsche Welle und Voice of America, offiziell verboten. Die genannten Sender verbreiten ihr Programm auch auf Persisch/Farsi und ihre Zuhörerschaft ist weitaus größer als die der staatlichen Sender. Dadurch übersteigt natürlich auch ihr Einfluss auf die Meinungsbildung der Menschen den der staatlichen Medien. Im Januar diesen Jahres wurden bereits 18 Journalisten inhaftiert, da sie angeblich mit ausländischen Medien kooperiert und ihnen geheime Informationen weitergegeben haben sollen.
Die heftigen Kontrollen und Einschränkungen der Regierung sind zwar maßgebend für die Erstickung der „grünen Bewegung“, allerdings verhindert auch der Druck von außen, dass der Wunsch nach Veränderung an Dynamik gewinnt: „Durch die wirtschaftlich schwierige Situation hat das Volk kaum Zeit und Energie, um politisch aktiv zu werden, da sie irgendwie in Zeiten des Embargos überleben müssen“, sagt Roman. Im Leben der Menschen rücken daher existenzielle Sorgen in den Mittelpunkt: Wie versorge ich meine Familie in diesem Monat? Sollte ich es wirklich riskieren, meinen Arbeitsplatz zu verlieren? „Viele Menschen, die sich damals eingesetzt haben, wurden in ihrem Arbeitsumfeld eingeschränkt beziehungsweise gefeuert, da sie nicht nur für das Image des Arbeitgebers, sondern auch für die Kollegen eine Gefahr darstellten“, erzählt Roman. Das dominierende Thema der Innenpolitik ist dementsprechend nicht primär das Atomprogramm, sondern die Wirtschaftslage.

Neue Proteste auch ohne Ahmadinejad?
Die Meinungen über Ahmadinejad und seine Politik gehen in der Bevölkerung weit auseinander: Während er in den Großstädten auch nach Abflauen der Proteste eher kritisch beäugt wurde, fand seine Politik gegenüber den USA und Israel gerade in ländlichen Gebieten viele Sympathisanten. Die Menschen dort begrüßten die häufigen Besuche des ehemaligen Präsidenten und seine Schuldzuweisungen an das Ausland für die missliche ökonomische Lage des eigenen Landes fanden dort Anklang.
Trotz allem schürt die schwierige Lage der Menschen Unruhen im Land. Die Wiederwahl Ahmadinejads war 2009 nur ein Auslöser. Die Wurzeln der Unzufriedenheit der Menschen liegen breit verteilt und wesentlich tiefer. Häufig wird auch die Religion als ein wesentlicher Faktor der Auseinandersetzungen gesehen. „Man darf die ,grüne Revolution‘ aber nicht als Protest gegen die Religion sehen. Denn Iran sieht sich immer noch als islamisches Land“, erklärt Roman. Die Meinungen gehen dann auseinander, wenn es um die Interpretation des Islams geht. Die Mehrheit der Bevölkerung wünscht sich eine Trennung von Religion und Staat. Der Protest richtet sich also eher gegen die erlebte Interpretation der Religion und den Einsatz der Religion als staatsbestimmend, nicht aber gegen die Religion selbst. Nicht von der Hand zu weisen ist es jedoch, dass sich die Generation nach der Gründung der Islamischen Republik Iran (1979) immer stärker von der Religion abwendet und seltener den islamischen Traditionen folgt. Ahmedinejad selbst geriet in seiner zweiten Amtszeit immer tiefer in die Kritik der Konservativen um den Revolutionsführer Chamenei, indem er wiederholt von der gemeinsamen Linie von Staat und Geistlichkeit abwich.
Ob es der neue Präsident schafft, Politik und Religion wieder zu vereinen oder beides voneinander zu trennen, bleibt abzuwarten. Neue Proteste sind jedenfalls nicht unwahrscheinlich, trotz aller Warnungen hoher Politiker und Militärpersönlichkeiten, dass jeglicher Versuch zur Unruhestiftung auch diesmal mit harten Bestrafungen geahndet werden wird. Die Menschen im Land sind in ihrer Meinung über die außenpolitische Linie des Landes gespalten, aber die Verzweiflung über die schlechte wirtschaftliche Lage erfasst die meisten in gleicher Weise. Noch setzten die Iraner ihre Kraft dafür ein, ihre Existenz zu erhalten, aber Unsicherheit und Wut im Land stauen sich auf. Das Abweichen des ehemaligen Präsidenten Ahmedinejad von der gemeinsamen Linie mit der geistlichen Führung stiftet Konfusion in einer bereits prekären Lage. Schafft es die neue Regierung nicht, wieder einen einheitlichen Kurs herzustellen, ungeachtet dessen, wie dieser aussehen mag, ist es wahrscheinlich, dass der innenpolitische Machtkampf den Tropfen liefert, um das Fass in der Bevölkerung zum Überlaufen zu bringen.

Editorischer Hinweis:
Zum Redaktionsschluss der Ausgabe stand das Ergebnis der Präsidentschaftswahl noch nicht fest.

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