„Man geht bis an die Grenzen des Erlaubten“

(Foto: Thierry Ehrmann / Abode of Chaos - Contemporary Art Museum)
(Foto: Thierry Ehrmann / Abode of Chaos – Contemporary Art Museum)

Wir sprachen mit der Journalistin Charlotte Wiedemann über die kommende Präsidentschaftswahl in Iran, die Bedeutung sozialer Medien und die „stille Macht des Alltäglichen“ bei der Öffnung der Islamischen Republik. Hier die Langfassung des Interviews.

unique: Frau Wiedemann, in Ihrem Buch schreiben Sie sinngemäß: „Der Präsident hat nicht die ganze Macht. Er hat oft nicht einmal die halbe.“ Welche Bedeutung hat die Präsidentschaftswahl im Mai für die Entwicklungen Irans?
Wiedemann: Schon eine große Bedeutung. Wird Hassan Rohani wiedergewählt, zeigt das etwas über die Kräfteverhältnisse innerhalb von Iran. Es stimmt: Man kann den iranischen Präsidenten zum Beispiel nicht mit dem französischen vergleichen – in vielen wichtigen Fragen hat der Revolutionsführer Ali Chamenei das letzte Wort. Aber vergleicht man Mahmud Ahmadinedschad, der bis 2013 Präsident war, und jetzt Rohani, sieht man schon, dass die Unterschiede sehr groß sein können. Man muss aber auch sehen: Rohani ist kein Reformer, sondern ein Moderater. Das wird oft falsch berichtet. Er ist ein Mann, der aus der Mitte des Systems kommt, und gerade deshalb auch in der Lage war, die Nuklearvereinbarung auf den Weg zu bringen. Er wird eben auch von den Reformern gestützt. Wenn dieses Bündnis, diese Art „erweiterte Mitte-Koalition“, jetzt wiedergewählt würde, wäre das ein gutes Zeichen für Iran.

Also wäre die Wiederwahl Rohanis auch im Ausland als Signal zu deuten?
Sicherlich. Wenn es jetzt dazu kommen würde, dass die Arbeit, die Rohani begonnen hat, sozusagen abgebrochen würde, weil er nicht wieder gewählt wird, wäre das eine ziemlich große Verunsicherung, sowohl innerhalb von Iran als auch für die Beziehungen zum Rest der Welt.

Rechnen Sie denn mit einer Wiederwahl Rohanis?
Prognosen sind bei Iran bekanntlich sehr schwierig – und besonders westliche Prognosen waren oft falsch in der Vergangenheit. Aber es ist so: Es gibt eigentlich keinen starken Gegenkandidaten der Konservativen und Hardliner. Es ist der große Vorteil von Rohani, dass er einem relativ zerrissenen, uneinigen Lager der Hardliner gegenübersteht.

Sie schreiben in Ihrem Buch mehrfach vom Wunsch der Bevölkerung nach einem Ende der Isolation. Welche Rolle spielen dabei soziale Medien?
Es gibt keine eindeutige Tendenz in Richtung Liberalisierung. Rohani hat diesbezüglich viele Versprechen gemacht; er hatte etwa gesagt, diese „Sicherheitsatmosphäre“, wie er sie höflich nennt – man könnte es auch Repressionen nennen – müsse verschwinden. Aber es ist ihm bisher nicht gelungen, das tatsächlich durchzusetzen; daran sieht man auch die begrenzte Macht des Amtes. Man sollte aber andererseits auch nicht überschätzen, was im Internet läuft, jedenfalls wenn es um Protestaktionen geht. Generell ist in Iran die Nutzung des Internets sehr hoch: Ganz normale Bürger, die keineswegs Oppositionelle sind, vernetzen sich auch viel stärker; die Iraner kommunizieren also untereinander mehr als früher. Und das verändert meines Erachtens die Gesellschaft mehr, als einzelne „oppositionelle Aktionen“, die uns vielleicht beeindrucken. Die Iraner sind sehr technikaffin; auch die Älteren nutzen das Internet. Das führt dazu, dass sich auch die Gesellschaft untereinander besser kennenlernt. Heutzutage sind ja keineswegs nur „säkulare“ Leute im Netz – auch die Hardliner haben ihre Medien, Blogs und so weiter. Dies alles führt auf jeden Fall dazu, dass die Atmosphäre in der Gesellschaft offener wird.

Sind dann Protestaktionen im Internet eher eine Art Strohfeuer?
Strohfeuer würde ich es nicht nennen. Eine kritische Nutzung des Internets ist eigentlich sehr weit verbreitet. Kritisch im Sinne von: Man geht bis zu den Grenzen des Erlaubten. Twitter beispielsweise ist in Iran offiziell weiterhin verboten; trotzdem benutzen alle Facebook und Twitter. Wenn man aber jetzt mal vergleicht: Diejenigen Medien, die zugleich auf Papier und online erscheinen, werden in der Druckversion stärker kontrolliert, werden ab und zu auch verboten. Sie müssen sich also im Print an mehr „rote Linien“ halten, wohingegen sie online – also über Twitter-Nachrichten oder auch über Facebook – etwas weiter gehen können. Das ist jetzt nur graduell, aber sie können im Online-Bereich mehr kritische Informationen transportieren.

Nicht nur in Iran können soziale Medien eine Veränderung der Gesellschaft „von unten“ hervorrufen, beispielsweise durch die Vernetzung mit Menschen in anderen Ländern. Wie würden Sie die Bedeutung dessen einschätzen, gerade wenn die politische Liberalisierung und Öffnung eher stockend vorankommen?
Der US-iranische Sozialwissenschaftler Asef Bayat beobachtet anhand verschiedener Länder, auch seiner alten Heimat Iran, eine „stille Macht des Alltäglichen“ – also das Handeln von Menschen, die alle in die gleiche Richtung gehen, ohne dass sie sich abgesprochen haben. Das hat ganz viel verändernde Kraft und ist etwas, was in Iran sehr deutlich wird.

Das klingt dann als hätte das Internet eine stärkere Bedeutung für den innergesellschaftlichen Diskurs als für den mit der „Außenwelt“.
Ja, das würde ich so sehen. Aber 2009 beispielsweise, als es die Grüne Bewegung gab, die wir hierzulande auch bewundert haben, wurde ein wichtiger Faktor vernachlässigt: Diese Bewegung war zwar sehr stark im Internet präsent, aber nicht im gleichen Maße offline, „on the ground“ sozusagen – das ist immer ein Faktor, den man berücksichtigen muss.

Würden Sie sagen, dass Wandel „von außen“ – sei es durch Exil-Iraner oder auch durch politischen Druck des Auslands – eigentlich in Iran nicht wirksam werden kann?
Ich würde nicht soweit gehen zu sagen, dass es keinesfalls wirksam werden kann. Wenn man sich die Vergangenheit anschaut, wird man sehen, dass die Kampagnen „von außen“ wenig bewirkt haben, weil nicht nur das islamische Regime, sondern auch ein Teil der Iraner selbst extrem sensibel ist, wenn es um Druck von außen geht: Sie befinden sich immer in dem Konflikt, auf der einen Seite die westliche Dominanz zu verachten und zugleich aber Anerkennung vom Westen haben zu wollen. Das ist so eine Art iranischer Komplex. Aber wenn beispielsweise Amnesty International eine Kampagne zugunsten iranischer Gefangener macht, würde ich nicht sagen: Lasst das sein – da muss man schon differenzieren. Die Veränderungen müssen aber von innen kommen. Und das passiert auch, aber es dauert eben.

Welchen Einfluss haben externe Faktoren wie die Flüchtlingskrise und der syrische Bürgerkrieg auf die Isolation oder Öffnung des Iran?
Das ist schwierig zu sagen. Irans Regierung sieht diesen Krieg in Syrien für das eigene Land als einen existentiellen Krieg gegen extremistische Sunniten an. Nach der Lesart: Wenn wir den Islamischen Staat und andere Extremistengruppen nicht in Syrien stoppen, müssen wir sie im eigenen Land bekämpfen. Und da es eine große Kriegsangst gibt, ist auch ein Großteil der Iraner geneigt, die Sichtweise des Regimes zu übernehmen und sich ansonsten um das Ganze nicht viel zu kümmern. Solange sich die Iraner tatsächlich vom Westen – oder auch von Israel – bedroht fühlen, sind sie immer noch bereit, bestimmte Dinge eher hinzunehmen, als wenn das nicht der Fall wäre.

Haben die Flüchtlingsströme einen Einfluss auf eine Öffnung oder Abschottung des Iran?
Syrische Flüchtlinge gehen ja kaum nach Iran. Es gibt nach wie vor sehr viele afghanische Flüchtlinge, bis zu drei Millionen, die Zahlen schwanken. Da wird Iran sogar von den Vereinten Nationen für seine Flüchtlingspolitik gelobt – das ist das eine. Auf der anderen Seite trägt Iran in Syrien dazu bei, dass die Menschen von dort nach Europa flüchten. Zugleich sind viele junge Leute aus Iran weggegangen. Rohani möchte diesen „Braindrain“ stoppen und hat sogar Exil-Iraner aufgerufen, zurückzukommen, weil er sie für den weiteren Aufbau Irans im Land haben möchte. Aber solange es für Exil-Iraner noch nicht sicher ist, zurückzukommen – weil einige auch verhaftet wurden – ist das natürlich eine Aufforderung, der nicht viele folgen.

Frau Wiedemann, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führte Frank.

Charlotte Wiedemann ist Journalistin und Autorin. Über Iran schrieb sie u.a. für Die Zeit, die Geo und Le Monde Diplomatique. Ihr Buch Der neue Iran ist bei dtv erschienen.


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