Erstes SouEuF-Festival Jena

Von Donnerstag bis Samstag fand das erste Jenaer Festival des südosteuropäischen Films statt. unique erklärt, was mutierte Köpfe mit Belgrader Straßenschildern zu tun haben.

von David

Jena ist mehr als nur ein Studenten-„Paradies“. Dank des Imre-Kertész-Kollegs und des Graduiertenkollegs Südosteuropa ist die Stadt auch ein Leuchtturm der Ost- und Südosteuropa-Forschung in Deutschland. Doch wo bleibt da die Kultur?, dachten sich  einige Studierende, Absolventen und Doktoranden der Südosteuropastudien und der Slawistik und riefen ein neues Filmfestival ins Leben. Vom 10. bis 12. November fand die erste Ausgabe des Southeastern European Film Festival (SouEuF) im Internationalen Centrum – Haus auf der Mauer statt. Die gezeigten Filme widerspiegelten die kulturelle Vielfalt des Raums Südosteuropa. Die 20 Beiträge aus Serbien, Kroatien, Slowenien, Rumänien, Montenegro und der Türkei, aber auch aus Deutschland und Österreich (in der Kategorie „Der Blick von außen“) dauerten zwischen 48 Sekunden und 90 Minuten. Neben zahlreichen Dokumentarfilmen wurden auch Spiel- und Animationsfilme präsentiert.
Das Publikum verlieh dem serbischen Animationskurzfilm „5 Minutes Each“ von Vojin Vasović den Zuschauerpreis. In einer dystopischen Zukunft haben alle Menschen zu Medienträgern mutierte Köpfe. Wir folgen einem Individuum mit einem Zeitungskopf, der nach langer Wartezeit in einem überfüllten Empfangsraum einem bürokratischen Ritual unterzogen wird, in dessen Verlauf er nach fünf Minuten Ruhm auf dem Müllhaufen des Medienzeitalters landet. Die bedrückende und düstere Atmosphäre von „5 Minutes Each“ wird dabei immer wieder von überraschenden Lachern gebrochen. Dank seiner unerschöpflichen visuellen Phantasie hat er zu recht einen Platz in den Herzen der Zuschauer gefunden.

(Foto: © DFG-Graduiertenkolleg 1412 "Kulturelle Orientierungen und gesellschaftliche Ordnungsstrukturen in Südosteuropa" Jena/Erfurt)
(Foto: © DFG-Graduiertenkolleg 1412 "Kulturelle Orientierungen und gesellschaftliche Ordnungsstrukturen in Südosteuropa" Jena/Erfurt)

„The Ascent“, das Regiedebüt des Montenegriners Nemanja Bečanović, war der einzige abendfüllende Spielfilm des Festivals. Er erzählt die Geschichte eines Schriftstellers, der in ein geisterhaftes Bergdorf zieht, um seine Schreibblockade zu lösen und seinen Roman zu vollenden. Die Familie, die ihm Unterkunft anbietet, empfängt ihn reserviert, ja gar feindlich. Die Spannungen zwischen dem Stadtmenschen und den bizarr-bedrohlichen Bergbewohnern steigern sich allmählich ins Unerträgliche. Ein gelungener symbolistischer Psycho-Thriller.
Den Großteil der Beiträge machten Dokumentarfilme aus. Mit der Geschichts- und Erinnerungskultur in Serbien befassten sich „The Disappearance of Heroes“ des Serben Ivan Mandić und „Die Architektur der Erinnerung“ des Österreichers Reinhard Seiss. Während der erste Film eine Welle von Straßenumbenennungen im Belgrad der Post-Milošević-Ära thematisiert, befasst sich letzterer mit den Denkmälern Bogdan Bogdanovićs für die Opfer von Weltkrieg und Holocaust. Der surrealistisch und mystisch beeinflusste Architekt Bogdanović lehnte sozialistisch-pathetischen Bombast ab und war daher in Titos Jugoslawien ein tolerierter Außenseiter. Nach dem Zerfall Jugoslawiens wurden er und seine Denkmäler von extremen Nationalisten (Kroaten und Serben gleichermaßen) angefeindet, so dass er schließlich nach Wien übersiedelte.
„Looking Through The Iron Curtain“ der Slowenin Anja Medved feiert vergnügt und spielerisch das Verschwinden der italienisch-slowenischen Grenze. In Interviews erzählen Bewohner der Doppel-Grenzstadt Gorizia / Nova Gorica skurrile und witzige Schmuggler-Geschichten. Geradezu schockierend folgte „Home Alone – A Romanian Tragedy“, die erschütternde Geschichte über den Selbstmord zweier rumänischer Jugendlicher und den Versuch ihrer Familien, diese Tragödien zu verarbeiten.
Die Regisseure Marija Bašić und Nils Nebe behandelten hingegen in ihrer Dokumentation „Stranger“ den Umgang mit Homosexualität in den Niederlanden und in Serbien. Im anschließenden Publikumsgespräch wurde festgestellt, dass die dargestellte Kontrastierung zwischen einer weitgehenden Akzeptanz (Niederlande) und einer weit verbreiteten Ablehnung (Serbien) von Homosexuellen eher idealtypisch ist. Während der relativ schwache serbische Staat sich kaum für die Rechte von Homosexuellen einsetzt bzw. höchstens unter außenpolitischen Image-Überlegungen (nach dem Motto: Die EU will, dass die Belgrader Gay Pride stattfindet), richtet sich erwartungsgemäß besonders die einflussreiche serbisch-orthodoxe Kirche gegen Homosexuelle. Andererseits, so der Grundtenor der Diskutanten, war Homophobie auch in westlichen Ländern bis in die 1970er Jahre üblich. Trotz der weitestgehend akzeptierten gesellschaftlichen Ächtung von offener Homophobie ist diese immer noch in latenter Form weit verbreitet. 2011 konnte die Belgrader Gay Pride nicht stattfinden, offiziell aus Sicherheitsgründen. Es ist zu hoffen, dass serbische Homosexuelle in Zukunft auch weiterhin aktiv für ihre rechtliche und gesellschaftliche Gleichberechtigung eintreten, eventuell auch mit alternativen oder ergänzenden Demonstrationsformen. Marija Bašić hat bislang auf jeden Fall noch keine Möglichkeit gefunden, ihren Film in der serbischen Öffentlichkeit zu präsentieren, sondern musste sich auf Privatvorführungen in Familien- und Freundeskreis beschränken.

(Foto: © Anne Svet)
(Foto: © Anne Svet)

Die erste Ausgabe des SouEuF-Festivals Jena war in jeglicher Hinsicht eine gelungene Veranstaltung, und dem konnten auch kleinere technische Pannen bei den Filmvorführungen (störrische Mediaplayer!) und die etwas unbequeme Bestuhlung nichts antun. Auch das Rahmenprogramm des Festivals war überaus unterhaltsam. Im Vorraum konnte man zwischen den Filmblöcken bei einem kleinen Sliwowitz die Videoinstallation „Die Wahlmaschine“ anschauen, eine Endlosschleife von Reden und Werbespots postkommunistischer Wahlkämpfe in Serbien: Wer hätte gedacht, dass es eine Rock‘n‘Roll-Partei oder eine Partei der Übernatürlichen Kräfte gab? Der Akkordeonist Rade Ivanović brachte am Freitagabend das Tanzbein der Teilnehmer zum Schwingen. Tanzen konnten Zuschauer, Organisatoren und anwesende Regisseure gemeinsam auch am Samstagabend, diesmal zu Balkan-Beats-Klängen.
Einem zweiten SouEuF-Festival 2012 scheint nichts im Wege zu stehen. Der junge kroatische Regisseur Uroš Živanović, der am Freitag die Deutschlandpremiere seines Beziehungsdramas „Cold Front“ miterleben konnte, schloss im Publikumsgespräch zwar kategorisch jegliches Sequel oder Prequel zu seinem Kurzfilm-Erstling aus, versprach aber auf jeden Fall seine Teilnahme am Festival auch für nächstes Jahr!

Für mehr Infos siehe: http://soueuf.zekuk.de/wordpress/

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