Der interkulturelle Reiseratgeber
10 Tipps für euren Auslandsaufenthalt

von Fabian

1 Unterwäsche gibt es auch in Ghana
Noch schnell drei paar Kameraakkus bei Saturn einkaufen, ein halbes Dutzend Boxershorts von H&M und eine Vorratspackung Sonnenmilch, bis es dann doch der Rollkoffer sein muss, weil der Rucksack schon aus allen Nähten platzt. Oft scheinen Auslandsreisende zu denken, die Zivilisation ende an der deutschen Grenze. Ob Kartenspiele, Haarkuren oder Wanderschuhe – das alles findest du auch in chinesischen Supermärkten, bolivianischen Krämerläden und auf äthiopischen Marktplätzen – und das oft viel billiger. Also, auch wenn du zwei Jahre verreist, lasse alles, was du nicht in den nächsten zwei Wochen brauchst, zu Hause.

2 Das Auswärtige Amt hat nicht immer Recht
Terror, Entführungen, Bürgerkriege und repressive Staatsgewalten. Die Homepage des Auswärtigen Amtes strotzt vor gut gemeinten Reisewarnungen, nach denen du am besten mit jedem Flug deinen persönlichen Personenschutz mit buchen solltest. Warnung des AA sind aber nicht nur oft recht veraltete Reiseratgeber, sondern auch politisches Instrument. Oft werden Gefahren, die von „befreundeten Staaten“ ausgehen, nicht nur in der öffentlichen politischen Rhetorik, sondern auch in Reisewarnungen weniger stark betont. Vor den Gefahren, die durch eine z.B. separatistische Bewegung ausgeht, die diesen „Freund“ gefährdet, kann stattdessen nicht stark genug gewarnt werden. Deshalb gilt: Informationen über das AA sind gut, besser ist es, sich bei Menschen vor Ort zu informieren, in welche Gegenden man unbeschwert reisen kann und in welche besser nicht.

3 Was du hier nicht tust, tust du dort erst recht nicht
Auslandreisen bedeuten auch, der heimischen Routine zu entfliehen, also lass sie gleich im Schrank. Alle guten Vorhaben, endlich all jenes zu erledigen, was du seit Monaten zuhause vor dir herschiebst, werden auch im Ausland nicht in Erfüllung gehen. Der Unique-Redaktion ist bisher kein Fall bekannt, bei dem sich jemand nach dem täglichen Surfausflug in Kapstadt nachmittags in sein Appartement verkrochen hätte, um sich auf seine anstehende „Methoden der empirischen Sozialforschung“-Prüfung vorzubereiten. Also lass bitte deine Schwedisch-Lehrbücher, Yoga-Kurse und Einführungen in Java Script zuhause!

4 Mache die Anreise zum Teil deines Aufenthalts

Die kulturelle Vielfalt des Balkans, die scheinbar endlose Anmutigkeit des Nils oder die dutzenden Bekanntschaften bei einer Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn – das alles findest du nicht in einem 5-Stunden-Flug von einer Großstadt zur anderen. Gerade in Richtung der Länder in Asien und Afrika, also mit denen wir territorial verbunden sind, gibt es Reisemöglichkeiten, die dir mehr bieten als die Beobachtung grauer Wolkendecken vom Flugzeug aus.  Willst du nach Indien, fliege doch einfach mal nach Istanbul und fahre von dort aus mit dem Zug weiter. Nach Westafrika führen auch Billigflüge nach Spanien, um sich dann mit Fähre und Bussen weiter durchzuschlagen. Oder warum trampst du nicht gleich von Lobeda aus?

5 Ein Land ist mehr als das Produkt von Reiseführern
Alte römische Theater, zerfallene Festungsanlagen oder das örtliche Franziskanerkloster –  ginge es nach Reiseführern, so fand mit der Entkolonialisierung der Welt auch die Geschichte der meisten Länder ihr Ende und machte die zurückgelassenen Menschen zu Teppichknüpfern, Glasbläsern und Specksteinschnitzern. Das Wichtigste eines Landes kommt in den meisten Reiseführern oft zu kurz: der Alltag der Menschen. Das traditionelle Leben einsamer Nomaden, die Lebhaftigkeit eines Großstadtslums oder die bedrückende Monotonie von Industriestädten: Das Leben außerhalb der Touristenregionen verschafft dir oft einen viel umfassenderen Eindruck des Landes. Also lass den Reiseführer auch mal zuhause!

6 Suche dir deine Beschäftigungsmöglichkeiten vor Ort
Egal ob Praktikum, Volontariat oder bezahlte Mitarbeit auf Zeit: Willst du dich vor Ort engagieren, dann suche dir auch deine Arbeitsstelle erst, wenn du angekommen bist. Oft ist die Arbeit ausländischer Organisation gut gemeint, geht aber an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbei. Deshalb frage die Menschen in dem Land, welche Arbeit sie für sinnvoll halten und lasse dir Namen von lokalen NGOs geben. Die meisten Organisationen vor Ort freuen sich über jeden der an ihre Tür klopft und sich über ihre Arbeit informieren will. Zudem bieten kleine lokale Gruppen dir persönlich oft bessere Möglichkeiten, dich einzubringen als die routinierte Arbeitsweise des Ablegers einer deutschen Handelskammer oder das sterile Länderbüro einer politischen Stiftung.

7 Es gibt mehr Arten der Kommunikation als Englisch

Auch wenn die englische Sprache die Welt erobert hat, bleiben doch auch außerhalb Jenas ein paar Ecken in der Welt, in der sich die Menschen auf anderem Wege verständigen. Fehlende Sprachkenntnisse sollten trotzdem der letzte Grund gegen die Entscheidung für dein Reiseziel sein. In keinem Land der Welt wirst du untergehen,nur, weil du die Landessprache nicht verstehst. Selbst wenn dein Gegenüber nur Kiswaheli spricht, freut er sich, mit dir Bekanntschaft zu machen. Also, auch wenn es schwer fällt, wähle auch deine Bekanntschaften in dem Land nicht nach ihren Sprachkenntnissen aus, sondern erinnere dich deiner Hände und Füße und vielleicht kannst du zurück in der Heimat dann auch stolz von deinen neu erworbenen Kiswahili-Kenntnissen berichten.

8 Auch im Ausland ist nicht überall Ausland

Oft erscheint es einfacher, sich die WG im thailändischen Chiang Mai mit ein paar britischen und schwedischen Backpackern zu teilen, doch warum bist du dann nicht gleich nach Großbritannien oder Schweden gefahren?  Zu groß ist oft die Versuchung, sich vom Reiseland abzukapseln und schließlich mitten in Tansania seine Zeit in einer europäischen Parallelkultur zu verbringen. Deshalb bleibe im Ausland auch im Ausland und sei neugierig. Wenn dir eine Familie anbietet, bei ihr zu übernachten, nimm das Angebot doch einfach mal an. Abendbeschäftigung findest du auch in einem traditionellen Café statt in Diskotheken für kleine subkulturelle Minderheiten.

9 Sei offen und lerne Zuhören!

Verschleierte Jemenitinnen, rassistische Texaner und abweisende Russen. Trotz allem Willen zur interkulturellen Toleranz, angesichts völlig anderer Lebenswelten ,scheint die Überzeugung zur Gleichwertigkeit verschiedener Kulturen bei Auslandsaufenthalten oft auf eine harte Probe gestellt zu werden. Doch kulturelle Unterschiedlichkeit bedeutet auch, dass Wertesysteme, mit denen man eigene und fremde Normen beurteilt, andere sind. Deshalb: Auch wenn dir kulturelle Eigenheiten manchmal unverständlich oder sogar verachtenswert erscheinen, erwarte nicht, nach zwei Wochen jede Tradition zu begreifen. Urteile nicht sofort, sondern höre zu und erwidere die Toleranz, die auch dir entgegengebracht wird. Das wird dir auch helfen deine eigene Kultur besser zu verstehen.

10 Die eigentliche Rückkehr beginnt erst nach der Rückkehr

Selten landet am Flughafen derselbe Mensch, der vor ein paar Monaten voller Enthusiasmus abgeflogen ist. Gespräche erscheinen plötzlich banal, Gewohnheiten überflüssig und alte Lebensentwürfe überholt. Doch so wenig du deine Erfahrungen über Bord werfen sollst, wirst du dein altes Umfeld deiner neu gewonnen Lebenseinstellung anpassen können. Deshalb lasse deine Mitmenschen an deinen Gedanken und Erfahrungen teilhaben, ohne sie belehren zu wollen. Versuche dich wieder in diese Welt zu integrieren, auch wenn sie dich plötzlich nur noch vor den Kopf zu stoßen scheint. Erwarte nicht, dass alles wieder wird wie vorher, aber befürchte auch nicht, dass „ankommen“ bedeutet, etwas von dem zu verlieren, was du auf deiner Reise gewonnen hast.


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