Checkpoint Bethlehem

Ermüdende Grenzkontrollen, unmotivierte Soldaten und erschrockene Schulkinder: Bericht einer Menschenrechtsbeobachterin an der israelisch-palästinensischen Grenze.

von Ulrike Voigt

Seit 2005 trennt eine Mauer Bethlehem von Jerusalem. Noch ist sie nicht fertig gestellt, doch wenn die Bauarbeiten beendet sind, wird sie 708 Kilometer lang sein und die palästinensischen Gebiete komplett von Israel abschirmen. Die Mauer ist ein Symbol für die Trennung eines Landes, ebenso wie getrennte Straßen und auch Gehwege.
Seit Mitte April bin ich im Auftrag von Pax Christi als „EA“ – Ecumenical Accompanier – in Bethlehem, Palästina unterwegs. Das Programm EAPPI, ein internationales Programm des Weltkirchenrates, läuft unter dem Motto „Come and See“, das heißt, dass wir vor Ort Menschenrechtsverletzungen dokumentieren und später in unseren Heimatländern davon berichten.

Eine meiner Aufgaben ist die Checkpoint-Beobachtung. Die Arbeiter müssen sehr früh aufstehen, denn man weiß nie, wie lange es dauert, die „Grenzanlage“ zu passieren, um in die Gegend zu kommen, die von der israelischen Regierung als Israel klassifiziert wird. Trotzdem müssen sie die Prozedur jeden Tag über sich ergehen lassen, denn die Wirtschaftskraft Palästinas liegt in Israel: Anders als in den besetzten palästinensischen Gebieten, die unter der Kontrolle des israelischen Militärs stehen, darf in Israel und in den Siedlungen noch nahezu unbegrenzt gebaut werden. Dies führt dazu, dass viele der Arbeiter auch an der Vergrößerung des israelischen Gebietes auf ihrem eigenen Land mitarbeiten. In einem Bericht, der von der IDF (Israeli Defence Forces) herausgegeben wurde, wird das Vorgehen an einem Checkpoint mit dem auf einem Flughafen verglichen. Ferner könnte es meinen Erfahrungen nicht sein. Seit vier Wochen beobachte ich bereits den Checkpoint. Heute wurde ich das erste Mal von einer Frau in einer der Passkontrollstationen angelächelt – bisher blickte ich nur in grimmige Gesichter. Die meisten der Soldaten am Grenzübergang sind zwischen 18 und 21 Jahre alt und wurden verpflichtet. Man sieht ihnen deutlich an, dass sie gerne woanders wären. Sie schreien die Arbeiter an, drohen ihnen und spielen sich auf. Die Konsequenz ist ein Katz- und Maus-Spiel: Wer schafft es, sich am Soldaten vorbeizustehlen und durch das Drehkreuz zum Ausgang zu schlüpfen? Wer ist schlank genug, sich durch die Gitterstäbe zu zwängen, wer stark genug, neue zu verbiegen? Werden sie erwischt, bekommt einer von ihnen eine Abmahnung, die anderen huschen zurück in Reih und Glied, passen die nächste Gelegenheit ab. Manche klettern akrobatisch die Gitterstäbe hoch, laufen über den Köpfen an den anderen vorbei und springen dann wieder hinunter. Ein Großteil der Wartenden nimmt dies einfach hin. Nur selten werden die Drängler gerügt. Frauen haben generell Vortritt.

Mit Waffe nicht begrüßt
Die Aufgaben bei der Checkpoint-Beobachtung sind vielfältig. Zunächst werden durch die Ecumenical Accompanier statistische Daten erhoben, die bis zur UNO weitergeleitet werden: wie viele Menschen den Checkpoint passieren, ob und wenn ja, wie viele Metalldetektoren und Passkontrollschalter geöffnet sind. Meine liebste Aufgabe: Jeden mit „Sabah il Cher“ begrüßen – nach drei Stunden am Checkpoint fühle ich mich immer, als hätte ich sehr viel Arabisch gesprochen.
Natürlich ist es als Beobachterin von Menschenrechtsverletzungen besonders wichtig, sich die Geschichten von Menschen anzuhören und darüber hinaus ein eigenes Bild vor Ort zu machen. In Tuqu‘ etwa, einem kleinen Ort südlich von Bethlehem, gibt es im Gegensatz zu vielen anderen Dörfern eine Straße, die sowohl von den Dorfbewohnern als auch von den israelischen Siedlern gleichermaßen befahren wird. Das nennt sich dann „settler bypass road“. Und obwohl sich nahezu alle Erwachsenen in der West Bank und Ostjerusalem der Gewaltfreiheit verschrieben haben, gibt es Kinder, die Steine auf die vorbeifahrenden Autos der Siedler werfen. Deshalb gibt es eine Militärpräsenz vor Ort: Vier Soldaten kommen jeden Morgen an die Grundschule. Und gehen erst wieder, wenn alle Kinder zu Hause sind. Die Jungen, die Steine werfen, sind aber nicht im Grundschulalter, weshalb sich die Frage stellt, warum die Soldaten an der Schule stehen müssen, in der Schüler im Alter von sechs bis zwölf Jahren sind. Besonders die kleinen Mädchen wirken sehr verschreckt, wenn sie an den Soldaten vorbei gehen müssen, die, ihre Waffen in den Händen, sich so auf den Bürgersteig stellen, dass die Kleinen auf die stark befahrene Straße ausweichen müssen; so kam es schon zu einigen Verkehrsunfällen.
Als Ecumenical Accompanier begleiten wir diese Kinder auf dem Weg zur Schule. Dabei bemerkte ich, dass sie sich sehr stark auf mich fokussieren, sobald sie die Soldaten erblicken. Als einer von ihnen sein Unverständnis darüber äußerte, dass die Schüler mich grüßen, aber ihn ignorieren, erklärte ich ihm, dass das an der Präsenz der Waffe liege. Darüber lachte er nur, denn Waffen würden doch niemandem Angst einjagen. Der Soldat vertraute mir an, dass auch er es sinnlos fände, in Tuqu‘ zu stehen. Die Jungen, die Steine werfen, seien kein Problem mehr, da die Erwachsenen des Dorfes ein strenges Auge auf das Verhalten ihrer Kinder haben. Diese Eltern haben Angst um die Zukunft der Jungen des Dorfes. Eine Verhaftung fürs Steinewerfen hat weitreichende Konsequenzen: Weder die Familie noch die Nachkommen erhalten eine Arbeitserlaubnis in Israel, es droht eine Inhaftierung, die ab einem gewissen Alter bis zu 20 Jahre dauern kann und damit auch das Auslöschen einer Existenz. Minderjährige werden hier vor das Militärgericht gestellt, wenn sie Steine werfen. In Beit Sahur, einer Nachbarstadt von Bethlehem, bildet die christliche Jugendorganisation YMCA Traumatologen für die Arbeit mit Jungen aus, die inhaftiert wurden.

Tränengas auf dem Spielplatz
Obwohl die Straße in Tuqu‘ mittlerweile dort, wo es besonders häufig Stein-Angriffe gab, einen Zaun hat und obwohl die Eltern und viele Dorfgemeinschaften versuchen, ihrem Nachwuchs Mittel des gewaltfreien Widerstandes beizubringen, kommt es doch alle paar Wochen zum Einsatz von Tränengas. Als Anfang April ein kleiner Junge eine solche Tränengaskartusche auf dem Spielplatz der Schule fand und damit spielte, zündete der Blindgänger; mehrere Kinder wurden verletzt.
Auch gibt es immer wieder Rückschläge beim gewaltfreien Widerstand. Den Kindern werden oft Kameras in die Hand gegeben, um das Unrecht, das ihnen geschieht, zu dokumentieren. Als einer aus dem nächstgelegenen Flüchtlingslager eben dies tat, wurde ihm von den Soldaten mitten ins Gesicht geschossen.
Das Leben der Palästinenser dreht sich um die Mauer ebenso, wie sich diese um sie ringt. Proteste gibt es nicht hauptsächlich wegen aggressiver Siedler, sondern wegen des Mauerbaus. Die Wirtschaft ist eingeschränkt, die Arbeitslosenrate steigt. Christen verlassen das Land und zurück bleiben die Ärmsten der Armen, die teilweise seit 1948 in Flüchtlingslagern leben. Als ich sie frage, was sie denn dazu anhalte, jeden Tag weiterzumachen, bekomme ich die Antwort: „No occupation lasted forever.“

Ulrike Voigt (25) hat an der Universität Jena Deutsch und Englisch auf Lehramt Gymnasium studiert. Sie war von April bis Juli 2013 als Ecumenical Accompanier mit Pax Christi in Bethlehem.
Mail: UllyVo[ät]web.de

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert