BildundStreik

Die verärgerten Rufe des Einzelnen sind für die Öffentlichkeit unhörbar, wenn er nicht bereit ist, in der lautstarken Masse der Gleichgesinnten unterzutauchen, um ein geschlossenes Bild zu formen. Doch wer sich in dieser Rolle zu wohl fühlt und es verpasst, aus der Masse wieder aufzutauchen, für den kann das Spiel unglücklich enden.

von Stefan

Was kann der Einzelne, ein Ohnmächtiger wirklich gegen den starren, unerbittlichen und augenscheinlich unangreifbaren Staatsapparat tun? Nichts. Um erkennbare Fußabdrücke zu hinterlassen, dafür  sind die Pfade des politischen Areals zu ausgetreten. Es sei denn, er verbündet sich, er sucht Gleichgesinnte, er schafft eine kollektive Macht, deren Dynamik von einem demokratischen Staat nicht übersehen werden kann.

So ein Verbund auf Zeit fordert – bei allen Vorteilen – auch die Bereitschaft Kompromisse einzugehen. Man muss bereit sein, in der Menge unterzutauchen, um einen zweckmäßigen, vorübergehenden Konsens solcher Größenordnung zu schaffen. Ein solcher Zusammenschluss, der ein strategisches Mittel und nicht Endzweck ist, lebt daher von der Reduktion komplexer Forderungs- und Erwartungsmuster auf eine greifbare Substanz, ein Profil, ein Bild.

Die Zeit des Bildungsstreiks ist voller Bilder, Symbolik, Dramaturgie, voller Rollen. Ein solches Schauspiel ist eine Universitätsbesetzung, deren Dynamik und Zweckmäßigkeit, Aufbruchs- und Widerstandsgeist so gar nicht mit den Kommunikationsvorstellungen derjenigen Studenten  im Bildungsapparat zusammenpasst,  die von alldem eher peripher berührt sind oder die es gar nur am Rande interessiert.

Aller Logik, dass, wer sich unter Schweiß, Eigenprofilverflachung und Tränengas eine Machtstellung und unüberhörbare Stimme erarbeitet, diese Macht auch ernten möchte, zum Trotz, war es eine erstaunlich überschaubare Zahl von wenigen hundert Studenten, die sich am 20. November 2009 vorm Erfurter Hauptbahnhof traf, um die Chance zu ergreifen, anlässlich einer „aktuellen Stunde“ Christoph Matschie, dem Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Aug in Aug gegenüberzustehen und in unterstützter studentischer Atmosphäre seine Forderungen vorzutragen – eine Gelegenheit, die nur als Ergebnis des erfolgreichen Aufstandes zu erklären ist.

Bewegung für die Bildung
Gegen 14.30 Uhr setzt man sich  – leicht zerknirscht über die geringe Teilnehmerzahl – in Bewegung. Das Ziel: der Thüringer Landtag. Begleitet von einer Polizeitruppe und studentischen Ordnern, die sich durch gelbe Bändchen am Arm ausweisen, zieht der Demotrupp über die Straßen und Kreuzungen, wobei man sich möglichst weit rechts hält, um die linke Spur für Autofahrer freizuhalten. Diese erbarmen sich gelegentlich, eine Solidaritätshupe in die kühle Novemberluft zu schleudern, um dafür gefeiert zu werden. Aus Fenstern und von Balkonen schauen rauchende Menschen dem Treiben zu, ganz so, wie man es von Volksfesten kennt. Um die Demonstration zu dem zu machen, was sie ausmacht, reiht man sich ein: Man setzt sich auf Kreuzungen für wenige Minuten nieder, rennt stellenweise, um Aufbruch zu suggerieren und schmettert immer wieder Parolen aus der Kehle, die den Bildungsstreik von Anfang an begleiten. Man kritzelt mit der vorher ausgeteilten Kreide Sprüche auf den Asphalt, die die Rufe überdauern sollen. Die Bewegung und der Aufbruch, die diese Einigkeit und Geradlinigkeit erschaffen, sind beeindruckend und erinnern fern an die Zeitzeugenworte in Wende-Dokumentationen.

Am Landtag wird der Demozug von den Stellvertretern des Landtags geradezu erwartet: Der erwähnte Matschie ist bald umringt von Protestanten, um die Menge zu begrüßen und konkrete Fragen zu beantworten, was nach Meinung der Masse weniger konkret geschieht. Diese Situation ist, so sollte man meinen, das Ziel eines jeden Mitlaufenden. Redundant sind nun das Prinzip der Unterordnung, die Parolen und Transparente, die pressewirksam hinter den Sprechenden positioniert werden.

Doch wird die Situation durch die ihr eigene Symbolik des Zusammentreffens der Streitgegner, des Unterdrückenden und des Unterdrückten, des Aufgebrachten und des Beschwichtigend-Selbstsicheren erdrückt. Man tut sich schwer, mit der Maske der vereinten Meinung umzugehen, wenn es um Inhalte, eigene Vorstellungen und Forderungen geht. Der eben noch beinahe geschlossen auf- und abebbende Applaus zerreist ebenso in einzelnen Statementzustimmungen wie wenig später die gesamte Demonstration, als 60 Demonstranten auf die Zuschauerbühne des Landtags eingeladen werden, um der Bildungsstreikdebatte beizuwohnen.

Nachdem man mit einem etwas mulmigen Gefühl seinen Personalausweis abgegeben hat und der Notizblock mehrmals nach bedruckten Blättern durchsucht wurde, öffnen sich die Türen zur heiligen Halle, zur Höhle des Löwen, dem Ziel aller Demonstranten. Kurz werden wir noch darauf hingewiesen, dass wir nicht einfach so Fragen stellen dürften. „Sollen wir uns dann melden, um ein Mikrofon zu bekommen, oder wie funktioniert das?“, fragen wir. „Nein, in diesem Fall müsstet ihr ein Termin mit Herrn Matschie vereinbaren“, lautet die nüchterne Antwort eines Anzugträgers.

Zweifelhafte Zustimmung
Angekommen auf den Zuschauerrängen des beinahe perfekt ausgeleuchteten Plenarsaals werden wir von den Rednern vor jedem Statement gesondert mit einem weitschweifenden Blick begrüßt, teilweise gar geduzt und als „Kommilitonen“ (oder auch als „Zuschauerschar“) angesprochen. Wir sind scheinbar willkommen, ja, die Landtagsabgeordneten geben sich erfreut darüber, dass wir aktiv sind und für unsere Forderungen aufstehen. Dieses Gefühl versucht man uns jedenfalls fortwährend zu vermitteln. Ähnlich verhält es sich mit dem Hinweis der Präsidentin, dass selbst ein gediegener Beifall unsererseits unerwünscht sei.

Die Debattenkultur im Thüringer Landtag erstaunt Uneingeweihte. In auf Sekunden genau berechneten Redezeiten legen die Abgeordneten dar, wie wichtig Dialog und Bildung seien. Die Zuhörenden im Plenum, die nicht gerade Cicero, die Bauernzeitung oder den Sportteil der TLZ lesen, drücken ihre Zustimmung durch Schläge mit der flachen Hand auf ihre Tische, Ablehnung hingegen durch ungehört verhallende Zwischenrufe aus. Man fragt sich unwillkürlich, ob demokratischer Dialog immer so funktioniert und nimmt sich insgeheim vor, öfter einschlägige Nachrichtensender zu frequentieren, um sich ein noch genaueres Bild von der professionellen Debattenkultur machen zu können.

In den Redebeiträgen wird ausnahmslos und natürlich unabhängig von jeder Parteipolitik versichert, dass das Thema Bildung einer Betrachtung und Überarbeitung bedürfe. Der Bildungsstreik und die damit verbundenen Aktivitäten an den Unis seien lobenswert. Die Redner verweisen auf den Dezember und Januar, inhaltliche Fragen sollten dann geklärt werden. Sich selbst versucht man irgendwo zwischen den Rollenbildern von oberflächlich stigmatisierenden und polemisiernden Politikrumnörglern und den gerade noch laut rufenden, nun aber eingelullten und vorschnell zufriedenen Demonstranten einzuordnen.

Das Fazit des Tages kann nur positiv ausfallen: Es gab eine gewaltfreie Demonstration, die trotz der geringen Teilnehmerzahl eine beachtliche Lautstärke erreichte und einige Aufmerksamkeit erregen konnte. Hinzu kommt die Wahrnehmung sowie die Wert- und Streikschätzung seitens der Machthaber bzw. dass diese die Forderungen überhaupt registriert haben. Dennoch ist ein fader Beigeschmack nicht zu leugnen: In Erinnerung bleibt nämlich auch das angestrengt wirkende metaphorische Duzen und das mehrmalige Verweisen auf die bloße Zuschauerrolle, wenn es  um die richtungweisenden Gespräche im Regierungsgebäude bzw. die latente Uneinigkeit der Demonstranten im Inhaltlichen geht.

Die Metaphorik und die Auskleidung von Rollen, derer sich bedient wird, um einen Massenkonsens zu schaffen, ist eine Chance, allen Beteiligten eine Stimme zu verleihen. Ein Dialog, der über die Zukunft der Bildung bestimmt, darf sich jedoch nicht in ihnen erschöpfen bzw. den Augenblick zur Darlegung konkreter Inhalte und Argumentation verpassen.

Bild:  Christoph Matschie im Jahr 1990, Deutsches Bundesarchiv (Bearbeitung: fabik).

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