Auslandskorrespondenten entdecken ihr eigenes Land

(Foto: SEIU International)
(Foto: SEIU International)

In dem Buch So sieht uns die Welt zeichnen deutsche Auslandskorrespondenten ein neues Bild Deutschlands in der Welt. unique traf die ehemaligen ARD-Korrespondenten und Autoren Hanni Hüsch und Michael Strempel zum Gespräch.

von Martin & julibee

Die Liste der Klischees über Deutschland ist lang – aber hat sie heute noch Bestand? Sind wir in den Augen der Nationen dieser Welt immer noch überpünktlich, humorlos, Sauerkraut-und-Bratwurst-Esser? Das mediale Echo war groß, als die britische BBC im Mai Deutschland zum beliebtesten Land der Welt kürte – noch vor Kanada, Großbritannien und unseren französischen Nachbarn. Sowohl mit Freude als auch mit Verwunderung reagierten die hiesigen Medien, denn Deutschland scheint trotz Finanzkrise nicht ganz so unbeliebt zu sein, wie es mit Blick auf die europäischen Sparproteste scheint. In dem beim Westend-Verlag erschienenen Buch So sieht uns die Welt – Ansichten über Deutschland berichten 15 Auslandskorrespondenten über ihre Erfahrungen aus den Einsatzländern und beschreiben, was man dort über die Deutschen denkt. unique traf die Herausgeberin des Buches Hanni Hüsch, von 2008 bis 2012 USA-Korrespondentin und ARD-Studioleiterin in Washington, und den Mitautor Michael Strempel, von 2004 bis 2007 ARD-Korrespondent in Frankreich.
Den Anfang des Buches macht Frankreich. Trotz der deutsch-französischen Freundschaft, die mit dem 60-jährigen Bestehen des Élysée-Vertrages im Januar ein stolzes Jubiläum feierte, ist das Verhältnis momentan etwas abgekühlt, wie Michael Strempel berichtet. Das „deutsche Modell“, wie es im Zuge der Finanzkrise immer populärer wurde und von Ex-Präsident Sarkozy auch für Frankreich zum Vorbild erhoben wurde, nervt die Franzosen zunehmend. Die langweilige Madame „la rigueur“, so der unrühmliche Spitzname der deutschen Kanzlerin, weckt bei den Franzosen häufig Unverständnis, aber auch Faszination, da sie in ihrer deutschen Art sowohl Klischee als auch politischen Führungsanspruch zu verkörpern scheint. Die häufigen Meinungsverschiedenheiten zeigen klar, dass diese Freundschaft mittlerweile in der Realität angekommen ist.
Ganz anders in Großbritannien: Annette Dittert, ARD-Studioleiterin in London, berichtet, dass sich das Deutschlandbild auf der Insel gerade nachhaltig verändert. Mit der Politik Merkels wandelt sich auch Deutschlands Rolle in Europa, was besonders in Großbritannien positiv wahrgenommen wird. Die Kanzlerin wird dort schon zur neuen Margaret Thatcher stilisiert: Politisch selbstbewusst und auch im Kleidungsstil sehr ähnlich. Sieht man von historischen Fakten ab, ist dies durchaus ein Kompliment.

Außergewöhnliche Freundschaft
Besonders positive Erfahrungen hat der ARD-Studioleiter in Israel, Richard Schneider gemacht. Es ist fast unglaublich, schreibt er, dass Israel und Deutschland heute eine enge Freundschaft verbindet, die von den Israelis gewünscht ist und sogar weiter intensiviert werden soll. Deutschland ist nach den USA der wichtigste politische Partner, und die Erklärung der Kanzlerin, dass Israels Existenzrecht deutsche Staatsräson sei, wurde mit Freude aufgenommen. Das mag an dem historischen Aussöhnungsprozess liegen, wird aber auch mit dem anderswo schwindenden Verständnis für Israels Nahost-Politik begründet. Eine besondere Rolle spielt Berlin: Über 30.000 junge Israelis leben inzwischen dort und sind fasziniert vom kreativen Klima, der stabilen Demokratie und von der Zuverlässigkeit „mit der alles in Deutschland zu funktionieren scheint“, so Schneider.

Enttäuschte Erwartungen
Klischees sind zwar immer noch Bestandteil des Deutschlandbildes, doch werden diese häufiger positiv und anerkennend verwendet. Dabei scheinen die Bundeskanzlerin und die deutsche Hauptstadt dieses neue Bild besonders gut zusammenzufassen: Merkel als Vertreterin von Konsequenz und Härte auf der eine Seite, Berlin als aufregende, junge, spannende und „sexy“ Stadt auf der anderen – diese zwei scheinbar gegensätzlichen Pole, die das momentane Deutschlandbild vieler Nationen mitbestimmen, haben auch Michael Strempel und Hanni Hüsch in den Meinungen der Amerikaner und Franzosen über uns finden können. „Da baut sich schon fast ein neues Klischee auf: Merkel ist unbeugsam und hart. Berlin hingegen ist unfertig – eine anarchische Vorstellung von Deutschland“, meint Strempel. „Dieses Berlin ist für mich die Entdeckung eines Landes, das man bisher für langweilig gehalten hat“, erklärt der Journalist die Anziehungskraft der Hauptstadt im Gespräch mit unique.
Doch nicht überall in der Welt verändert sich das Deutschlandbild zum Positiven, was besonders am Beispiel der Schweiz und der Türkei deutlich wird. So stellt der ARD-Studioleiter in der Schweiz, Daniel Hechler, fest, dass das Zusammenleben von Deutschen und Schweizern zunehmend für Konflikte sorgt. Deutsche gelten als arrogant. Ihnen wird vorgeworfen, dass sie wegen des hohen Lebensstandards ins Land kämen, aber wenig gewillt seien, sich den schweizerischen Eigenheiten anzupassen. Dies schlägt sich auch in den politischen Beziehungen nieder: Steinbrücks Drohung, den Schweizern im Steuerstreit mit der Kavallerie auf den Leib zu rücken, habe für großen Ärger gesorgt und die Beziehungen „zum großen Kanton im Norden“ nachhaltig verschlechtert, so Hechler.

Herausgeberin Hüsch (Foto: © Westend-Verlag)
Herausgeberin Hüsch (Foto: © Westend-Verlag)

Auf den Ärger folgt die Resignation, wie am Beispiel der Türkei deutlich wird. Ein düsteres Panorama zeichnet Jürgen Gottschlich, Korrespondent für verschiedene Tageszeitungen in Istanbul: Das Deutschlandbild der Türken sei von Enttäuschung und absolutem Unverständnis geprägt. Deutschland, das einst Wohlstand und Arbeit für türkische Gastarbeiter versprach, ist inzwischen zur Armutsfalle geworden. Türkische Migranten sind extrem häufig von Arbeitslosigkeit betroffen und gesellschaftlich ausgegrenzt. Die Abneigung, die Türken in Deutschland erfahren, spiegelt sich in ihrem Bild des Landes wieder. Auch Hanni Hüsch, die Herausgeberin des Buches, war vom Erfahrungsbericht ihres Kollegen aus der Türkei überrascht, wie sie uns gegenüber berichtet: „Das Türkenbild der Deutschen ist einseitig“, erklärt Hüsch. „Hört der Deutsche ‚Türke‘, denkt er an anatolische Bauern und Industriearbeiter. Dass es aber auch eine intellektuelle Elite gibt, die studierten Kinder der ehemaligen Gastarbeiter, die wir mit unserem Verhalten extrem enttäuschen, daran denken wir nicht.“ Vorurteile und Klischees bestimmen die deutsch-türkischen Beziehungen, und das, obwohl die Freundschaft zwischen beiden Staaten seit über 50 Jahren immer wieder beschworen wird. Die Entdeckung der NSU-Zelle hat dieses negative Bild nur weiter bestätigt. Man ist überzeugt, dass in Deutschland ein „tiefer Staat“ existiert, also politische Strukturen, die türkische Migranten nicht in Deutschland dulden und Fremdenhass schüren wollen. Auch deshalb ist die Bundesrepublik schon lange nicht mehr der Sehnsuchtsort für die moderne Türkei.

„Ein wahnsinnig erfolgreiches Land“
Das Deutschlandbild in der Welt verändert sich. Aber auch die Auslandskorrespondenten sehen Deutschland, nach einem journalistischen Aufenthalt in der Ferne, mit anderen Augen, wie die Autoren der unique verraten: „Ich war manchmal aus der Ferne erstaunt über mein eigenes Land“, antwortet Hanni Hüsch, Herausgeberin des Buches auf die Frage, wie sich ihr Deutschlandbild während ihrer Zeit in den USA verändert hat. „Warum haben wir eine Piratenpartei? Warum die Wutbürger vom Prenzlauer Berg?“ Etwas mehr Leichtigkeit hätte sie sich aber auch gewünscht, und weniger Selbstzerfleischung: „Aus amerikanischer Sicht sind wir ein wahnsinnig erfolgreiches Land.“ Mit sich selbst tue sich Deutschland aber noch etwas schwer.
Michael Strempel hat das Leben in Frankreich einen milderen Blick auf Deutschland beschert. „Wenn man sich ansieht, welche Probleme man in anderen Ländern hat, dann merkt man, wieviel hier doch eigentlich recht gut funktioniert.“ Besonders freut ihn, dass es Deutschland mittlerweile gelungen ist, sich zu einem einigermaßen weltoffenen Land zu entwickeln.
Ein Exemplar des Buches haben die Autoren auch an Frau Merkels außenpolitischen Berater geschickt. „Wir hoffen, dass er ihr mal was daraus vorliest, auf einer Dienstreise vielleicht, zwischen zwei Gesprächen“, meinen Hüsch und Strempel mit einem Grinsen. „Immerhin zieht sie sich wie ein roter Faden durch das Buch, das könnte und müsste sie eigentlich interessieren.“

Hanni Hüsch (Hrsg.):
So sieht uns die Welt – Ansichten über Deutschland

Westend-Verlag 2013

240 Seiten

17,99 €

Kommentare

Eine Antwort zu „Auslandskorrespondenten entdecken ihr eigenes Land“

  1. Avatar von EPOU Komlan Messan
    EPOU Komlan Messan

    sehr toll. ich suche ein Korrespont, der mir in der Studie hilft. ich bin Student an der uni.

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