Kryonik und Lebenserhaltung: Auf dem Weg zur Unsterblichkeit?

Die Kryonik beschäftigt sich mit der Konservierung des menschlichen Körpers. Neben tiefen Temperaturen und medizinischen Prozessen geht es aber auch um ethische Fragen – können wir ein ewiges Leben wollen? Und wie wahrscheinlich ist es, dass er Mensch eines Tages seine Sterblichkeit überwinden wird?

von Klaus Sames

Die Auseinandersetzung mit dem Tod wird in der Regel mit der Spätpubertät unter Resignation abgeschlossen. Nur eine verschwindende Minderheit – vielleicht von Menschen, die nicht zur Verdrängung ihrer Endlichkeit fähig sind – hadern weiterhin mit dem eigenen Ende und wünschen sich eine Lebensverlängerung.

Die Kryonik beschäftigt sich mit der Konservierung von Zellen, Organen und vollständigen Organismen bei tiefen Temperaturen bis hin zu -196°C – der Temperatur von flüssigem Stickstoff. Forschungsziel ist die Anwendung auf den Menschen. Dass die Kühlung des menschlichen Körpers nach der Bescheinigung des „Todes“, seine Lebensfähigkeit auch nach dem Auftauen bewahren kann, ist bisher umstritten. Ein Grund dafür sindantik-mittelalterliche Vorstellungen, die sich bis in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts gehalten haben. Danach entweicht mit dem Tod ein Lebensprinzip unwiderruflich aus dem Körper. Noch im letzten Jahrhundert wurde dieses Prinzip als „Entelechie“ vertreten. Danach gilt der Satz: tot ist tot.

Aber wird das in Zukunft immer so bleiben? Kryonik hält den Sterbevorgang und die Lebensprozesse, welche nach der Bescheinigung des Todes noch lange nicht abgeschlossen sind, durch Kühlung und somit durch Reduktion der chemischen Prozesse an, um Zeit zu gewinnen. Bei der Temperatur flüssigen Stickstoffs bleibt biologisches Material theoretisch tausende von Jahren unverändert erhalten. Diese Erhaltung ist durch Arbeiten im Fachgebiet Kryobiologie für die bisher überschaubaren Zeiträume belegt. Beispiele, dass das funktionieren kann, gibt es im Tierreich zu Genüge: Wirbeltiere wie Frösche kühlen im Winter auf einige Grade unter Null ab. Dabei liegt ihr Körperwasser teilweise als Eis und teilweise als unterkühlte Flüssigkeit vor. Sie lassen sich in diesem Zustand nicht tiefer kühlen. Einige wirbellose Tiere wie arktische Insekten sowie auch Blutegel oder Bärtierchen können aber auf Temperaturen bis zu – 180°C gekühlt werden und leben nach Erwärmung wieder auf. Kleine Säugetiere wie Hamster und Ratten kann man auf -1- bis -3°C abkühlen und danach durch Erwärmung wiederbeleben. Das Gehirn erträgt dabei eine Eisbildung von bis zu 60% des Hirnwassers.

Auch größere Organe und Organteile von Säugetieren wurden bereits unter Verwendung von Frostschutzmitteln auf verschiedene Temperaturen unter Null gekühlt und ganz oder teilweise wieder zur Funktion gebracht.  Bei Temperaturen unter -130°C, welche eine Langzeitlagerung gestatten würden, gibt es bislang aber nur einzelne erfolgreiche Versuche und diese auch nur an kleinen Organen oder Gewebeteilen.

Menschliche Zellen werden häufig in flüssigen Stickstoff gebracht und wieder zum Leben erweckt. Zellen können dem Körper noch viele Stunden nach Erklärung des Todes entnommen und in Zellkulturen am Leben erhalten werden, Hirnzellen z.B. 8 Stunden nach dem Versagen der Organe und Todesbescheinigung. Zu diesem Zeitpunkt kann man ein Überleben von bis zu der Hälfte der Hirnnervenzellen annehmen. Stammzellen werden gerade durch das Versagen der Organe aktiv und versuchen, die Gewebe zu reparieren. Kurz nach dem Tod versagt die Energieversorgung und es findet kein Gewebeabbau mehr statt – vor allem, da die Gewebe auskühlen. Diese Kühlung kann künstlich verstärkt werden. So wird das Sterben von Zellen und Geweben gestoppt und der Gewebeaufbau erhalten.

Leider entstehen bei Temperaturen unter Null Eiskristalle, welche Zellen osmotisch, chemisch, und physikalisch schädigen. Bei Kühlung kann die Bildung von Eis (in Form von Kristallen) durch Frostschutzmittel wie Glycerin, Dimethylsulfoxid sowie Zucker und Alkohole auf tiefere Temperaturen verschoben werden. Durch schnelle Kühlung kann aber die Kristallbildung unterlaufen werden. Dadurch steigt die Zähflüssigkeit oder Viskosität schnell an, besonders wenn eine sehr konzentrierte Lösung von Frostschutzmitteln verwendet wird. Bei einer bestimmten Temperatur, der Glasübergangstemperatur (bei gängigen Frostschutzmitteln etwa -130°C) wird ein festes kristallfreies Glas gebildet. Gewebe, welche so verglast wurden, können wiederbelebt werden. Das größte Organ, das so tiefgekühlt und wiederbelebt wurde, war die kleine Niere eines Kaninchens. Die Kryonik funktioniert also an kleinen Säugerorganen, die schnell aufgewärmt werden können, was bei den großen menschlichen Organen nicht geht. An günstigeren Frostschutzmitteln und Erwärmungsmethoden wird aber gearbeitet. Könnte man Transplantatorgane tiefkühlen, würden weniger Schäden auftreten, die sie unbrauchbar machen.  Den Mangel an Organen so zu vermeiden ist ein Nahziel der Kryonik.

Sehr konzentrierte Lösungen sind toxisch. Sie dürfen nur bei Temperaturen unter 10°C angewendet werden und müssen nach schnellem Erwärmen sofort verdünnt werden. Beim Aufwärmen können wieder Eiskristalle entstehen, solange die Temperatur unter dem Gefrierpunkt bleibt. Die notwendige Erwärmungsrate um die toxischen Frostschutzmittel schnell zu verflüssigen und Eiskristalle auch in tiefen Schichten zu vermeiden, erreichen wir noch nicht. Die Erwärmung mithilfe elektromagnetischer Wellen wird untersucht. Jedoch ist ein anderer Durchbruch in Sicht, denn man hat Eisenpartikel von Nanometergröße ins Gewebe diffundieren lassen. Diese wurden dann durch ein magnetisches Feld erwärmt und dadurch eine gleichmäßige Temperatursteigerung im Gewebe ohne Schädigung erzielt. Bisher wurden nur kleine Gewebestückchen getestet, jedoch kann man annehmen, dass auch größere Organe so ohne zusätzliche Schädigung wieder erwärmt und belebt werden können.

Die Schäden nach dem Versagen des Kreislaufs führen zum Verlust von Zellen, welche ersetzt werden müssten. Hinzu kommen diejenigen Schäden, welche den Tod verursachen wie Krankheiten und Alternsveränderungen. Bis zu ihrer Beseitigung liegt noch ein langer Weg vor der Wissenschaft. Die Kryonik gewinnt aber diese Zeit. Anders im Tierversuch oder bei jungen Raumfahrern hier könnte der Durchbruch bald erfolgen.

Die Kryonik hat die Potenz, sich zu einer sensationellen Möglichkeit der Lebenserhaltung für Mensch und Tier auch unter ungünstigen Umständen, bei körperlichen Schäden oder in Gefahrenzonen zu entwickeln, von der die heutige Medizin nur träumen kann.

In den USA und Russland gibt es Institute, welche die Langzeitlagerung kryokonservierter Patienten anbieten. Bei den US-amerikanischen handelt es sich um „non profit“ Organisationen in deren Vorständen praktisch nur Personen sitzen, welche selbst Verträge abgeschlossen haben und meist idealistisch motiviert sind. Die Preise sind teilweise auch aus sozialen Gründen sehr günstig: Beispielsweise führt Cryonics Institut den Transport, die medizinische Operation und die Aufbewahrung in Stickstoff für einen Betrag im unteren fünfstelligen Bereich durch.

Es erscheint bereits heute grausam und ethisch nicht vertretbar einem beispielsweise an Krebs verstorbenen Kind die Kryokonservierung vorzuenthalten. Überhaupt kann es die Medizin nicht verantworten auf die Entwicklung der Human-Kryokonservierung zu verzichten.

Dr. Klaus Sames

Prof. Dr. Klaus Sames
(80) ist Kryonikvertreter, Gerontologe und Anatom.
Als Professor für Anatomie lehrte er in Heidelberg,
Freiburg, Zürich und Hamburg. Seit seiner Pensionierung
im Jahr 2004 beschäftigt er sich intensiv
mit der Lebensverlängerung durch Kryonik. Nach
seinem Tod möchte er seinen Körper auch selbst
auf diese Weise konservieren lassen.


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