Asexuell sein – Was bedeutet das?

Das A in LGBTQIA+ steht für Asexualität – eine sexuelle Orientierung, die wenig bekannt und nach außen hin kaum sichtbar ist. Unsere Gastautorin Ronja erzählt mehr darüber, zum Teil auch aus eigener Erfahrung.

von Ronja

Vielleicht habt ihr schon mal den Begriff LGBTQIA+ gehört. Die einzelnen Buchstaben stehen für verschiedene sexuelle Orientierungen. So steht das A beispielsweise für Asexualität – eine sexuelle Orientierung, die wenig bekannt und nach außen hin kaum sichtbar ist. Ich möchte euch nun mehr darüber erzählen, zum Teil auch aus eigener Erfahrung.

Nicht verstehen, wieso die anderen Mädchen nur noch über Schminken und Jungs reden. Nicht begreifen, wie genau ‚süß aussehen‘ definiert ist. Oder wieso sich plötzlich alle so komisch ‚anders‘ – pubertär – verhalten. Viele haben vielleicht einfach vorgegeben, jemanden süß zu finden, um in Ruhe gelassen zu werden. Bei einem Übernachtungsgeburtstag wurde ich bei Wahrheit oder Pflicht mehrfach gefragt, in wen ich verliebt sei. Sie haben mir einfach nicht geglaubt, dass ich niemanden süß fand.

Asexualität und Aromantik sind in der Gesellschaft kaum bekannt. Schätzungsweise sind aber 1 – 13% der Menschen asexuell. Während die Sichtbarkeit und Toleranz von beispielsweise Homosexualität in den Medien zugenommen hat, ist das asexuelle-(Ace)-Spektrum noch nicht wirklich ins Bewusstsein gerückt. Die meisten Menschen können mit dem Begriff asexuell wenig anfangen und noch weniger mit dem Begriff greysexuell.

„Doch was bedeuten denn diese Bezeichnungen jetzt eigentlich genau?“, werde ich häufig gefragt. Nun, Lust auf Sex haben nicht-asexuelle Menschen doch auch nicht immer. Bei Asexuellen ist dies der ‚Normalzustand‘; die meisten empfinden einfach keine sexuelle Lust, haben keine sexuellen Bedürfnisse. In jedem Fall werden weder Menschen anderen noch des eigenen Geschlechts als sexuell attraktiv empfunden. Greysexuelle empfinden manchmal Lust, aber eben deutlich seltener als Menschen außerhalb des Ace-Spektrums. Da das Verhältnis zu Sexualität von Person zu Person sehr stark variiert, spricht man von einem Spektrum.

Manche asexuellen Menschen finden alles, was mit Sexualität zu tun hat, schlichtweg eklig, beängstigend oder verstörend. Andere empfinden einfach nichts beim Sex. Es gibt auch Asexuelle, die es schön finden, ihre*n Partner*in sexuell zu befriedigen, auch wenn sie selbst keine sexuellen Bedürfnisse beziehungsweise Gefühle haben. Einige Greysexuelle finden gelegentliche sexuelle Berührungen schön, aber lehnen Geschlechtsverkehr im traditionellen Verständnis ab. Einige haben durchaus eine Libido, die sie selbst befriedigen, sind aber nicht an sexuellen Handlungen mit anderen interessiert. Viele Angehörige des Ace-Spektrums wissen (noch) gar nicht genau, wie sie zu Sexualität stehen und können oder wollen sich nicht genauer labeln. Sich dem Ace-Spektrum zuzuordnen, kann helfen, sich selbst besser zu verstehen, sich beispielsweise bei Stammtischen über Erfahrungen auszutauschen und von anderen besser verstanden zu werden.

Eine romantische partnerschaftliche Beziehung wünschen sich viele Asexuelle, wenn auch ohne Sexualität. Stattdessen kann Kuscheln oder das Zugehörigkeitsgefühl einen hohen Stellenwert haben. Da Asexualität in der Gesellschaft nicht sehr präsent und auch nach außen hin kaum sichtbar ist, haben Asexuelle oft das Gefühl, dass es kaum Menschen der gleichen sexuellen Orientierung gibt. Häufig gehen sie auch romantische Beziehungen mit nicht-asexuellen Personen ein. Dies kann funktionieren, erfordert aber natürlich großes Verständnis und Rücksichtnahme von beiden Seiten, Offenheit, Kompromissbereitschaft und vor allem eine sehr gute Kommunikation.

Neben asexuellen Menschen gibt es auch solche, die sich als aromantisch verstehen: Sie verlieben sich nicht. Aromantische Asexuelle entscheiden sich eher aus rationalen Gründen beziehungsweise aufgrund von Sympathie für Partner*innen. Trotzdem können sie partnerschaftliche Liebe empfinden, sehr liebevoll sein und enge Beziehungen führen. Aromantik und Asexualität sind nicht unbedingt gekoppelt, das heißt aromantische Menschen können auch sexuelle Anziehung empfinden und auf dieser Grundlage Partnerschaften schließen.

Die Darstellung von Sexualität in den Medien kann auf (asexuelle) Jugendliche sehr verstörend oder verwirrend wirken – so empfand ich das auch. Manche denken, mit ihnen stimme etwas nicht, und gehen deshalb zum Arzt. Dabei ist Asexualität, genau wie Homosexualität oder andere sexuelle Orientierungen auch, einfach eine Ausprägung von Sexualität. Aufklärung in diesem Bereich ist deshalb sehr wichtig, damit gerade Jugendliche in der schwierigen Phase der Pubertät ein besseres Verständnis für ihre eigene Sexualität und Empfindungen sowie die ihrer Mitmenschen entwickeln. Ich hoffe, dass ich mit meinem Artikel dazu beitragen kann, dass mehr Menschen über Asexualität Bescheid wissen und sich eventuell auch selber besser verstehen.

Ronja (23) studiert an der TU Braunschweig und ordnet sich seit einigen Jahren dem Ace-Spektrum zu. In ihrer Freizeit ist sie gern in der Natur unterwegs.

Auch in Jena gibt es Austauschmöglichkeiten, Beratungsangebote und Räume für LGBTQIA+-Personen. Anlaufstellen vor Ort bieten die Vereine QueerLoungeJena und Vielfalt Leben – QueerWeg sowie das Referat Queer-Paradies des StuRa der FSU Jena und das digitale Informationsportal Queer in Thüringen. Der Verein AktivistA setzt sich deutschlandweit für die Sichtbarmachung des asexuellen Spektrums ein. Wer als asexuelle Person eine Plattform für Fragen und Probleme sucht oder Interesse an digitalen Stammtischen hat, für den eignet sich die Website AVEN-Forum. Hier findet sich zudem eine Kontaktbörse für Menschen, die sich als asexuell verstehen und auf der Suche nach einer Freundschaft oder Partnerschaft sind. Seit 2010 findet in der letzten Oktoberwoche außerdem die Asexual Awareness Week (Woche zur Sichtbarmachung von Asexualität) statt. Im Zentrum steht, laut dem Thüringer Verein Vielfalt Leben – QueerWeg, über Asexualität, das asexuelle Spektrum und Aromantik aufzuklären.


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