Ägypten vs. Algerien – Ende der „ewigen Freundschaft“

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Die Beziehungen der arabischen Bruderstaaten Ägypten und Algerien sind von einem zunehmend schwierigen Verhältnis gekennzeichnet. Ressentiments und Komplexe entladen sich immer wieder in schweren Gewaltakten. Auslöser sind v.a. Fußballländerspiele wie das Halbfinale des Afrika-Cups am vergangenen Donnerstag.

von Chrime

Donnerstag, 28. Januar, 22.21 Uhr: Ägyptens Spieler recken ihre Arme voller Genugtuung in den Nachthimmel von Benguela. Die blutroten, hautengen Trikots sind so stark durchgeschwitzt, als hätten die Träger mit ihnen ein Bad genommen. Auf dem Absperrzaun in der Fankurve feiern Torwart El Hadary und Stürmer Mohamed Zidan mit ihren euphorisierten Anhängern den Erfolg der eigenen Mannschaft. Ein Fan hat sich fantasievoll in den ägyptischen Landesfarben rot, weiß und schwarz bemalt und heizt die ohnehin schon hitzige Atmosphäre im noch immer schwül-warmen Stadion mit einer Trommel weiter an.

Die Szene steht sinnbildlich für ein eher neues Kapitel in der Geschichte des Verhältnisses zwischen den nordafrikanischen Staaten Ägypten und Algerien – ein Verhältnis zwischen arabischen Brudervölkern, das zunehmend von Konflikten geprägt ist. Dabei waren beide doch zur „ewigen Freundschaft verurteilt“, wie Ägyptens ehemaliger Präsident Gamal Abdel Nasser bekundete. Zu Beginn der 1960er-Jahre hatte er die algerischen Freiheitskämpfer mit Waffen, Geld und Experten unterstützt, um die Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Frankreich zu erreichen. Im Gegenzug beteiligten sich algerische Kommandos an der Suezkanal-Überquerung der ägyptischen Armee im Oktober 1973. Zigtausende ägyptische Lehrer und Experten halfen in Algerien beim ehrgeizigen Arabisierungs-Programm und dem Aufbau einer effizienten Verwaltung.

Doch Nasser selbst sorgte dafür, dass das lange Zeit sichere Fundament dieser Völkerfreundschaft irgendwann erste Risse bekam. Ein Sonderkommando der ägyptischen Luftwaffe befreite den ägyptenfreundlichen algerischen Ex-Staatspräsidenten Ahmed Ben Bella aus dem Wüstengefängnis, in das ihn sein Nachfolger Hawari Boumedien nach dessen Machtübernahme hatte werfen lassen. In der Ära Anwar as-Sadat, der auf die Durchschlagskraft eines rudimentären Kapitalismus setzte, kühlte sich das Beziehungsgeflecht zwischen Kairo und dem jahrzehntelang sozialistisch geprägten Algier weiter ab, das gegenseitige Misstrauen wuchs. Während die junge Nation Algerien sich in ihrer Ehre und ihrem Selbstverständnis angegriffen fühlte, verstanden die Ägypter die gestiegenen Ansprüche der Algerier nicht – die sich einst ja erst mit ägyptischer Hilfe vom kolonialen Joch hatten befreien können.

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Vorurteile und Komplexe entluden sich fortan immer häufiger und aggressiver, besonders bei Fußballspielen. Die ersten Gewaltakte gab es Mitte der 1980er-Jahre, nachdem ein Sieg Ägyptens die Teilnahme der Algerier an den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles verhindert hatte.

Hinzu kamen die Geschehnisse der letzten Monate: Im Sommer 2010 wird die Fußball-Weltmeisterschaft erstmals auf dem afrikanischen Kontinent ausgetragen – eine wichtige und seltene Möglichkeit, das eigene Land vor aller Welt als starke und selbstbewusste Nation zu präsentieren. Eine Teilnahme war das erklärte Ziel beider Staaten., nur hatte das Schicksal Ägypten und Algerien in ein- und dieselbe WM-Qualifikationsgruppe gelost – lediglich einer von beiden konnte also nach Südafrika reisen.

Als amtierender Afrika-Meister und nach einem äußerst respektablen Auftritt im Sommer 2009 beim Confederations Cup (quasi die „Generalprobe“ für die Weltmeisterschaft), als man sogar den amtierenden Weltmeister Italien besiegen konnte, galt Ägypten als klarer Favorit für den Gruppensieg. Nach dem 2:0-Hinspiel-Sieg war es aber Außenseiter Algerien, der vorm letzten Spieltag mit drei Punkten Vorsprung an der Spitze der Qualifikationstabelle stand. Durch die von Verkehrschaos und weiteren Ausschreitungen in Kairo überschattete 2:0-Revanche der Ägypter im Rückspiel ergab sich dann sogar die außergewöhnliche Situation einer Punkte- und Torgleichheit – ein Entscheidungsspiel auf neutralem Platz musste über die WM-Teilnahme entscheiden.

In der sudanesischen Hauptstadt Khartoum gelang dem beim Vfl Bochum spielenden Innenverteidiger Anthar Yahia die Überraschung für die Algerier: Sein Siegtor bedeutete die erste Teilnahme Algeriens am Fußballweltturnier seit 1982. Während die Freude in Algerien keine Grenzen kannte, kochten die Ägypter angesichts der ausgerechnet vom Erzrivalen vereitelten Gelegenheit vor Zorn. 2.500 wütende Fans randalierten vor der algerischen Botschaft im Kairoer Stadtteil Zamalek. Sie verbrannten algerische Fahnen und lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei, bei denen nach Angaben des Innenministeriums elf Polizeioffiziere und 24 Zivilisten verletzt wurden. Aber auch im Siegerland kam es bei wilden Jubelfeiern zu tragischen Zwischenfällen. Zahlreiche Verkehrsunfälle führten zu insgesamt 14 Toten und weiteren 250 Verletzten. Am Ort ihres Triumphes, in sudanesischen Khartoum, verletzten algerische Fans 21 Ägypter. Das ägyptische Außenministerium sah sich aufgrund von Sicherheitsbedenken veranlasst, seinen Botschafter vorläufig aus Algier abzuziehen.

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Nun trafen sich beide Nationen erneut auf dem Fußballplatz, erneut in einem sportlich sehr wichtigen Match und erneut auf neutralem Platz: im Halbfinale des laufenden Afrika-Cups in Angola. Aufgrund des bisherigen Turnierverlaufs – in dem die Ägypter alle Spiele mit mindestens zwei Toren Vorsprung hatten gewinnen können, während die Algerier nach einem peinlichen 0:3 gegen Fußball-Nobody Malawi nur mit viel Mühe die Vorrunde überstanden hatten – waren es erneut die Ägypter, die als klarer Favorit ins Spiel gingen. Stürmer Mohamed Zidan, der wie drei algerische Spieler in der deutschen Bundesliga sein Geld verdient, brachte die gekränkte Ehre Ägyptens und den Wunsch nach einer Korrektur der seiner Meinung nach falschen Kräfteverhältnisse auf äußerst drastische Weise zum Ausdruck: „In dem Spiel geht es um Leben und Tod! Für beide Mannschaften ist es wie ein Krieg.“ Die Algerier versuchten dagegen zunächst, die Brisanz aus der Begegnung zu nehmen: „Es darf nur Sport sein und nichts anderes“, sagte Trainer Rabah Saâdane.

Das Spiel selbst ist eine knappe Halbzeit lang ein typisches Halbfinale eines internationalen Sportgroßereignisses – von Taktik geprägt und ziemlich langweilig. Erst die 37. Minute bringt richtige Aufregung: Nach einem harten Zweikampf im algerischen Strafraum gibt es einen nicht unumstrittenen Elfmeter für Ägypten und dazu die gelb-rote Karte für den Algerier Rafik Halliche. Seine Mannschaft muss fortan lange in Unterzahl spielen. Hosni Abd-Rabou verwandelt den Elfmeter sicher, allerdings nicht ohne seinen Anlauf kurz zu unterbrechen, was laut Regelwerk eine Wiederholung zur Folge haben müsste. Der Schiedsrichter aber gibt den Treffer. Auf und neben dem Feld danken ägyptische Spieler und Funktionäre Allah, indem sie den Boden küssen. So gehen die „Pharaonen“ mit einem Tor und einem Spieler mehr als der Gegner in die Kabine.

In Halbzeit zwei haben die Algerier außer viel Frust und enormer Zweikampfhärte ihrem Kontrahenten nicht mehr allzu viel entgegenzusetzen. Nach Zidans Traumtor zum 2:0 in der 65. Minute ist das Spiel praktisch entschieden, was Keeper Essam El-Hadary zu wildem, fast ekstatischem Torjubel animiert. Fünf Minuten später reagiert das ja ohnehin schon dezimierte algerische Team auf besonders unschöne Art: Nadir Belhadjs Brutalo-Foul, für das die Formulierung „versuchte Körperverletzung“ angebracht wäre, lässt die Anzahl seiner Mannschaftskollegen auf dem Platz auf neun schrumpfen. Als auch noch Torwart Faouzi Chaouchi kurz vor Schluss „die Sicherungen durchbrennen“, müssen nur noch acht Algerier das Spiel beenden. Zu diesem Zeitpunkt führt Ägypten nach Abdel-Shafis Tor bereits mit 3:0, Einwechselspieler Mohamed „Gedo“ Nagy erhöht in der Nachspielzeit sogar noch auf 4:0.

Ägyptens Revanche ist eindrucksvoll geglückt, und schenkt man Torschütze Zidan bzw. seinen Worten nach dem Spiel Glauben, so scheint die Enttäuschung über die verpasste WM und der Konflikt jetzt sehr weit weg zu sein. Aber so ganz wird sich die ägyptisch-algerische Fehde dann wohl doch nicht in Wohlgefallen auflösen, schließlich kommt das nächste Duell bestimmt …


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