„Why it’s called Manchester!“

Die nordenglische Industriemetropole Manchester steht für Friedrich Engels, Cristiano Ronaldo und Ian Curtis. Alles Männer. Trifft sich gut. Denn eins steht auch fest: Sie ist die Schwulenhauptstadt Großbritanniens. Zeit für eine kleine Geschichte des Pink-Panther-Landes.

von rokko rehbein

Wer glaubt schon an das Schicksal? Aber ein schelmisches Grinsen kann sich Adam nicht verkneifen, als er seinem Abendabschnittsgefährten sanft über die Brusthaare fährt, die sich aus dem V-Ausschnitt seines engen Shirts gegen das Discolicht kräuseln. „I guess that’s why it’s called Manchester!“, lacht er und betont dabei die ersten beiden Silben besonders. „Good looking men are part of the city.“Manchester hat viel zu bieten: den morbiden Charme einer alten Industriemetropole, die zweitbeste Fußballmannschaft Europas und eine üppige Kulturlandschaft, die von kostenlosen Galerien und Museen bis zu täglichen Konzerten und Theateraufführungen alles zu bieten bereit ist. Was dabei oft übersehen wird, ist ihre vitale und mannigfaltige Schwulen- und Lesbenszene, die schon mal zur schnittigen Formulierung hinreißen lässt, die Stadt sei die „Gay Capital of the UK“.

Devote BWLer und Diven mit Dreitagebart
Von eigenen Saunen, Frisören und Ärzten bis hin zu einer Handvoll spezifischer Veranstaltungs- und Lifestylemagazine sowie einem schwulen Fußballclub hat die Szene viele Anziehungspunkte. Auch das „Queer up North“ – ein internationales Festival les­bischer und schwuler Kunst und dabei das erste seiner Art in Europa – und die Schwulen- und Lesbenparade „Manchester Pride“ zaubern der Stadt jährlich ein paar rosa Nuancen auf die immer noch allgegenwärtigen Ziegelsteinfassaden. Das Herzstück der Queer-Kultur ist jedoch zweifelsohne die Canal Street, die Partymeile im Stadtzentrum entlang des Rochdale-Kanals. Hier in den Clubs reiben sich ganz selbstverständlich nackte Männeroberkörper lasziv aneinander, bis es funkt, steht der devote BWL-Student brav hinter der lesbischen Wuchtbrumme an der Unisextoilette an und schlaucht die kantige Diva mit Dreitagebart ganz ungeniert ein Kippchen von der glatzköpfigen Security. Dabei sind die scheinbar so selbstverständlichen Freiheiten dieses backsteinernen Kleinods das Ergebnis einer langen und ereignisreichen Zeit, die symbolisch für die Geschichte der Homosexualität in Großbritannien steht.

Vom Rotlichtviertel zum Alternativtreff
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts eingeweiht, diente der Rochdale-Kanal lange als wichtiger Transportweg für Rohstoffe und Waren zwischen den Industriestädten Liverpool und Manchester. Als der Straßen- und Schienenverkehr sowie der Niedergang der  wichtigsten Wirtschaftszweige Nordenglands in den 1960er-Jahren die Wasserstrecke überflüssig machten, brachen den Gewerben rund um den Kanal die Kunden weg. Die Gegend verwandelte sich in einen dunklen Moloch aus verlassenen Fabrikhallen und kargen Straßenzügen – kurzum: in einen Ort, den die meisten mieden und der Schwulen und Lesben daher als perfekter Treffpunkt erschien. Denn selbst der Sexual Offence Act von 1967, der gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen im Privaten nicht mehr unter Strafe stellte, ließ Homosexuelle in der Gesellschaft weiterhin stigmatisiert und ausgegrenzt. So blieb die Canal Street bis in die späten 1980er ein Rotlichtviertel für Schwule und Lesben, konfrontiert mit AIDS, Kriminalität und Polizeiwillkür.
Nicht zuletzt schufen die Solidarität und der Eifer, mit denen sich die Szene in der Stadt gegen Ignoranz und Intoleranz wehrte, langsam ein anderes, offeneres Klima. Es wurden Bündnisse mit Lokalpolitikern geschlossen und gegen allzu konservative Gesetze der Thatcher-Ära demonstriert. Die Eröffnung des Clubs „MANTO“ Anfang der 1990er-Jahre verdeutlichte das nochmals. Offene Fenster und später auch Balkone befreiten das Viertel und die Szene symbolisch von ihrem Image, hinter verschlossenen Türen verbotene Dinge zu tun. Die Straße begann sich langsam zum Inbegriff einer angesagten Alternativkultur zu entwickeln.

Homo, Hetero … Hauptsache sexuell
Mit den Clubs, Bars und dem einsetzenden Hype fingen allerdings auch die Probleme an. Immer mehr Heteros begannen, das Viertel für sich zu entdecken, da es vor allem jungen Frauen die Möglichkeit bot, bierselige Entblößungsorgien mit ihren Busenfreundinnen zu feiern, ohne von jungen Männern falsch verstanden zu werden. Die kamen mit der Zeit aber trotzdem – und mit ihnen das Testosteron, der Alkohol und die Aggressivität gegenüber Andersartigkeit. Einige, die jahrelang für Gleichberechtigung und Akzeptanz gekämpft hatten, fühlten sich zum wiederholten Male ausgegrenzt und in ihren Clubs wie Fremde. Vereinzelt wurde nun versucht, schon an der Tür die Sexualität der unliebsamen Klientel zu entlarven und somit den Eintritt zu verwehren.Heutzutage haben ein neues Anti-Diskrimierungs-Gesetz, das solche Einlasskriterien verbietet, und eine breite Akzeptanz für das Viertel und seine Menschen die Wogen auf beiden Seiten geglättet. Und so treibt die Lust auf ein wenig Würze im Melting Pot Großstadt die buntesten Menschen auf die Partymeile Canal Street – während dem Volksmund schon mal das „C“ im Halse stecken bleibt.
Adam allerdings hat heute kein Glück mehr. Sein üppiges Brusthaar hat sich aus dem Staub gemacht. Aber wie das so ist in einer Stadt, deren Name Programm ist: „No problem mate, it’s Manchester, it won’t take long.“


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