„Nach 9/11 war es eine Katastrophe.“

Wir haben in Thüringen lebende Muslime gefragt, in welchen Situationen Sie das Gefühl haben, nur aufgrund ihrer Religion ausgegrenzt zu werden – und wie sie diese Situationen erleben. Alle Namen wurden auf Wunsch der Befragten hin von der Redaktion geändert.

Die Gespräche führte rokko rehbein.

Khaled (46) kommt aus Palästina und lebt in Apolda.
„Ich lebe seit elf Jahren in Deutschland und es ist OK. Aber nach dem 11. September 2001 war es eine Katastrophe. Ich bin damals zum Arzt gegangen, weil ich immer Magenschmerzen habe – der gleiche Arzt wie immer. Aber nach dem Anschlag in New York haben mich plötzlich alle angeglotzt. Ich war drei Monate vorher da, alles okay. Aber von da an haben mich alle anders wahrgenommen. Heute ist es wieder besser. Aber trotzdem: Wenn die Deutschen hören, dass ich Moslem bin, weichen sie gleich zurück. Bin ich ein Löwe oder Tiger? Ich glaub’, die Leute urteilen nach dem Motto: Ist einer schlecht, sind alle schlecht!“

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Fatima (24) kommt aus Syrien und lebt in Erfurt.
„Ich habe das Gefühl, viele Deutsche haben Angst, wenn sie Frauen mit Kopftuch sehen. Ich bin mit einer Freundin durch die Stadt gelaufen, sie hatte ein Kopftuch und lange Kleider an. Wir haben nach dem Bahnhof gefragt, aber die Leute haben weggeschaut, das Gesicht verzogen oder gesagt, dass sie es nicht wissen. Das macht mich immer so traurig und wütend. Wir leben doch auch hier, wir haben Herz und Verstand und sind Menschen. Oder wenn ich in die Apotheke gehe und etwas frage. Mein Deutsch ist nicht so gut. Da hat mir die Frau am Tresen gesagt, sie versteht mich nicht – und deshalb bedient sich mich nicht weiter. Das gibt’s doch nicht! Ich bin freundlich und versuche zu verstehen, aber sie will nicht.“

Fuat (30) kommt aus Libyen und lebt in Jena.
Es gibt schon Momente, in denen ich denke, man versucht mich zu provozieren – die Frage zur Homosexualität im Einbürgerungstest zum Beispiel. Da wird tatsächlich gefragt: ‚Stellen Sie sich vor, Ihr volljähriger Sohn kommt zu Ihnen und erklärt, er sei homosexuell und möchte gerne mit einem anderen Mann zusammenleben. Wie reagieren Sie?‘ Das ist eine provozierende Frage! Man sucht kritische Punkte, um Fremde auszugrenzen und eventuelle Unterschiede herauszukehren. Genauso gut könnte man einem deutschen Katholiken diese Frage stellen. Anstatt sich kennenzulernen, wird sofort konfrontativ gehandelt. Außerdem gibt es die sogenannte Meinungsfreiheit! Dieser ganze Test ist blöd, provozierend und außerdem sinnlos, weil man die passenden Antworten im Netz finden kann.”

Baran (29) kommt aus Syrien und lebt in Erfurt.
„Ich habe Probleme, weil ich Ausländer bin, nicht weil ich Moslem bin. Schon weil ich schwarze Haare habe. Vor zwei Monaten hab’ ich Freunde vom Apoldaer Bahnhof abgeholt. Ich stand ganz normal dort, der Zug kam an, die Schaffnerin stieg aus und hat mich von oben bis unten gemustert. Da hab’ ich gesagt: ‚Hallo, wie geht es Ihnen?‘ Ja, und als Moslem? Da stört mich immer dieser Terrorismusvorwurf! Was ist das im Irak? Was ist das im Libanon? Ist doch auch mein Problem, ist doch auch scheiße für mich. Finde ich auch schlecht! Aber in Deutschland bin ich als Moslem eben oft gleich ein potenzieller Terrorist und damit gefährlich. Nicht alle Deutschen urteilen so, aber das kommt oft vor.“

Bild: Ridzdesign


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