Wo die Vergangenheit nicht entsorgt wird Chemnitz
Charme statt Moderne

von Katja

Abfahrt Chemnitz-Center, der Blinker ist gesetzt, das Auto entschleunigt sich und mit ihm auch mein Gemüt – endlich daheim.  Wir bremsen ab, als wir auf die innerstädtlichen Straßen kommen, innerlich und äußerlich. Zurück von den fernen Straßen. Die ersten Blöcke ziehen an uns  vorbei, die „Lovelane“ blinkt bereits im roten Lichte und ein paar Meter weiter spielen ein paar Kinder auf den Zäunen des Botanischen Gartens.

Der glanzvolle alte Kindertraum
An der nächsten Kreuzung wird es mir auf einmal warm ums Herz, hinter einigen Bäumen ist sie zu erkennen: Die Eissporthalle. Klingt profan, weckt aber automatisch meine Kleinmädchenträume. Ich wäre ein prima Eiskunstlaufstar geworden, dachte ich mir schon zu Kindergartenzeiten, als wir manchmal Katarina Witt beim Training zuschauen durften. Schuld an der nichtentstanden Karriere waren die Talentsucher, die damals die Kindergärten durchforsteten und meine Grazie vollkommen verkannten. Auch tägliches Betteln konnte meine Eltern nicht erweichen mich in die Bahnen des Leistungssports zu schicken.  So begnügte ich mich Jahre später mit der allfreitaglichen Eisdisko und atmete genussvoll die gleiche Eisluft ein, wie Jahre vor mir bereits Jan Hoffmann, Anett Pötzsch, Ingo Steuer und Mandy Wötzel und natürlich the one and only Katarina Witt. Näher kam ich meiner Traumkarriere allerdings nie.

Die Bühne der ganz Großen
Wieder aus der Erinnerung erwacht, befinden wir uns bereits im Stadtkern. Hier zeigt die Stadt ihr sozialisitisches Gesicht. Die Stadthallenfassade galt sicherlich mal als sehr modern. Oft zugeparkt von unzähligen Reisebussen, gefüllt mit Ü 65-Groupies, die  ihr Chemnitz zu schätzen wissen. Denn nirgendwo sonst hat der Florian Silbereisen wiedermal eine lustige Volksmusikaufzeichnung.
Freitagabends oft wiedererobert von der Chemnitzer Hip Hop Jugend zur „Fiesta“, die mit dem am Körper hängenden Bling Bling keineswegs ihren anscheinend sehr angehimmelten MTV Vorbildern nachstehen. Denen hat Chemnitz ja doch einen seltenenen, aber sehr weit verbreiteten Ruf in der Jugendkultur zu verdanken. Das SPLASH, mittlerweile exportiert ins szenigere Leipzig, hat hier einige Jahr für Musik und Schlammspaß gesorgt.

Der Krater
Wir stehen mal wieder an einer roten Ampel, einer der vielen. Einige Meter durch die Frontscheibe ist der Hauptbahnhof zu sehen, der jeden Gast herzlichst dazu einlädt gleich in den nächsten Zug in eine andere Stadt umzusteigen. Denn nicht nur dass der Schritt sich beschleunigt durch das leicht angsteinflößende Publikum umrandet von einem dunklen Anstrich.
Anscheinend wurden sogar die Bauinvestoren vergrault, denn rechts neben uns, mitten in der Stadt ist ein Fleckchen Erde, der fast einen Kratereinschlag vermuten lässt. Stattdessen hoben vor circa zehn Jahren Bagger sorgfältig die Erde aus. Was jedoch ausblieb ist derBau eines anschließenden Gebäudes.  doch die Chemnitzer wissen damit umzugehen, es heißt mittlerweile liebevoll „Das Contiloch“ und wird wegen seiner durchaus vielfältigen selbsständig gewachsenen Vegatation bewundert.

Atmosphäre statt Glasfassade
Hier wird Veränderung nicht erzwungen schon gar nicht mit Gewalt. Was da ist ist da und wird würdevoll ertragen. So dröhnen aus der abgewirtschafteten leerestehenden Häusern laute Dancehallklänge von den jüngsten DJs und die alte Strumpffabrik eignet sich ein wenig dekoriert und umgestaltet prima als Club/ Kino und Café. Mit glattgebügelten Glasfassaden kann allenfalls zum Einkaufen gelockt werden. Denn wenn etwas nicht passt, ist es das Stadtmotto: Chemnitz – „Stadt der Moderne“.


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