Bildergeschichten mit „literarischem Potenzial“

Den Text aus der Sprechblase befreit: Will Eisner 1982 (Foto: Alan Light)

Vor 10 Jahren starb Will Eisner, der Mann, der uns die ‚graphic novel’ geschenkt hat. Wir nehmen das zum Anlass, um uns diese Kunstform in einem zweiteiligen Special etwas näher anzuschauen.

von Frank

Niemand würde heutzutage wohl noch ernsthaft den Status des Comics als eigenständige, etablierte Kunstform in Zweifel ziehen: Die großen Tageszeitungen berichten in ihren Feuilletons über Künstler und Neuerscheinungen; selbst Flaggschiffe des deutschen Bildungsbürgertums wie der Suhrkamp-Verlag veröffentlichen mittlerweile ‚Graphic Novels’ (ein Begriff, den Zeichner-Legende Will Eisner 1978 prägte) in ihrem Programm. Dabei haben die Bildergeschichten einen weiten Weg hinter sich, vom sonntäglichen Zeitungswitzchen zu dem, was sich heute – auch mal in Form eines über 200 Seiten starken Handcoverbuches – als Graphic Novel in den Regalen tummelt.
Beim Nachvollziehen dieser Entwicklungen hilft Klaus Schikowskis Übersichtsband Der Comic: Geschichte, Stile, Künstler – auch wenn der Autor im Vorwort bereits betont, es sei „nahezu unmöglich“, eine Kulturgeschichte des Comics schreiben zu wollen. Von den sog. funnies in Wochenendbeilagen US-amerikanischer Zeitungen und den daran anknüpfenden Comic-Strips zeichnet er die Evolution hin zu ganzen Heften (comic books) nach, die ab den 1940er Jahren immer populärer wurden. Mit den etwa zeitgleich aufkommenden Superhelden-Comics wurde das „Golden Age“ der amerikanischen Comicproduktion eingeläutet. Die „ersten nachhaltigen globalen Comicexporte“ sieht Schikowski allerdings in den Disney-Comics, da diese auch viele nach 1945 bedeutende, europäische Zeichner beeinflusst hätten.
Natürlich beleuchtet Der Comic: Geschichte, Stile, Künstler auch europäische Entwicklungen, die nicht zuletzt durch frankobelgische Zeichner wie Hergé, den Zeichner von Tim und Struppi (im Original Les aventures de Tintin) und dessen enorm einflussreichen Ligne claire-Zeichenstil geprägt wurden. Bei weniger als 300 Seiten Gesamtumfang bleibt Schikowskis Buch freilich ein Schweinsgalopp, der einzelne Stile und Künstler oft nur eher oberflächlich abarbeitet als analytisch behandelt.

A Contract with God: Cover der ersten Ausgabe von 1978 (© Will Eisner)

Graphic Novel als gestalterische Abgrenzung
Gleich mehrere Kapitel des Buches widmen sich dafür der Graphic Novel. Als Begründer dieser Comic-Form gilt der Anfang 2005 verstorbene Will Eisner, einer der einflussreichsten Comiczeichner. Anders als in den seriell konzipierten Geschichten, wie sie etwa den meisten Superhelden-Heften zugrunde liegen, sei Eisners Graphic Novel der Versuch, „den Comic als in sich geschlossene Erzählung bekannter zu machen“, so Schikowski, und den Comic-Roman „als eine literarische Bilderzählung“ aufzufassen. Als Eisner in einem Interview Anfang der 1940er Jahre ein „literarisches Potenzial“ in den Comic-Büchern erkannte, wurde er noch belächelt. Als er dann 1978 erstmals einen aus vier Kurzgeschichten bestehenden Band Ein Vertrag mit Gott als ‚graphic novel’ betitelte (auch wenn wir von Schikowski erfahren, dass der Begriff erstmals bereits 1964 in einem Fan-Magazin genutzt wurde), geschah das auch in inhaltlicher Abgrenzung zu den damals noch dominanten bunten Superhelden-Heften: Eisner gelang es, die Publikation bei einem Belletristik-Verlag unterzubringen, was „letztlich ein cleverer Marketingschachzug“ Eisners gewesen sei, so Schikowski, der einerseits Anspruch und Ernsthaftigkeit signalisierte, andererseits als Türöffner diente.
Gestalterisch auffällig war dabei hingegen, dass Eisners Graphic Novel-Konzept mit großformatigen Bildern statt der gewöhnlichen Reihen von Comic-Panels arbeitete – die Einzelbilder, so formulierte er selbst in einem 26 Jahre später erschienen Vorwort zu Ein Vertrag mit Gott, „nehmen sich die Formate, die sie brauchen“, durchaus auch mal eine ganze Seite. Den Text ließ Eisner dabei „durch die Seiten fließen“, wie Klaus Schikowski treffend formuliert, „befreite ihn aus der Sprechblase oder den Blocktexten, wo er jahrzehntelang eingeschlossen war“.

‚grafische Romane’ – Comic meets Weltliteratur?
Mit der veränderten erzählerischen und äußeren Form der bebilderten Geschichten eröffnete das Konzept der Graphic Novel neue Möglichkeiten, etwa für gezeichnete Biographien (man denke an den großen Erfolg von Persepolis), Comic-Reportagen oder Literaturadaptionen; Eisner selbst verarbeitete dementsprechend in den 1980er und 1990er Jahren mehrere klassische Romane, darunter etwa Moby Dick.
Ein jüngeres Beispiel für die zeichnerische Verwertung eines literarischen Klassikers bildet die 2014 – passend zum 100. Jahrestages des Weltkriegsbeginns – erschienene Graphic Novel-Adaption von Erich-Maria Remarques Im Westen nichts Neues. Der Antikriegsroman von 1929 gehört unzweifelhaft zum Kanon der Weltliteratur, wurde mehrfach verfilmt, in mehr als 50 Sprachen übersetzt. Aber wie lässt sich ein solches Buch in (unbewegte) Bilder ‚übersetzen’? Der Künstler Peter Eickmeier aus dem norddeutschen Melle, nahe Remarques Geburtsstadt Osnabrück, hat sich dieser Herausforderung gestellt. In dreijähriger Arbeit ist ein bildgewaltiges Werk entstanden – Kompanien, Schützengräben, Sterbende, dargestellt in oft grobem Farbauftrag, Details gesetzt mit Tusche, verschiedene Farbschichten ineinander reichend; man sieht den Illustrationen an, dass Eickmeier von der Malerei her kommt.

Insgesamt entsteht hier allerdings nicht wirklich eine Graphic Novel, sondern ein recht fragmentarischer Hybrid aus ausgewählten Roman-Auszügen und mehr oder weniger passgenauer Bebilderung. Eindringlich sind diese Bilder allemal; nicht selten lassen sie schaudern, wie auch Remarques Romanvorlage. Bei Sätzen wie „Westhus wird mit abgerissenem Rücken fortgeschleppt; bei jedem Atemzug pulst die Lunge durch die Wunde.“ ist man vielleicht sogar ganz froh darüber, dass der ‚Roman’ hier nicht vollends ‚grafisch’ ist. Oder erkennt, dass manches eben einfach nicht bebildert werden kann: „Unsere Hände sind Erde, unsere Körper Lehm und unsere Augen Regentümpel. Wir wissen nicht, ob wir noch leben.“

Klaus Schikowski:
Der Comic. Geschichte, Stile, Künstler
Reclam 2014
293 Seiten
22,95 €

Erich Maria Remarque (Autor), Peter Eickmeyer (Zeichner):
Im Westen nichts Neues – Graphic Novel
Splitter Verlag 2014
Hardcover, 176 Seiten
22,80 €

Hier geht es zu Teil 2 des Specials.

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