Und jährlich grüßt der Campingplatz

von Chrime

Urlaub in Deutschland – das bedeutet nicht selten eintöniges Traditionsverhalten und Furcht vor dem Fremden. Aber wer sind diese klassischen „Heimaturlauber“ wirklich? Und warum sind sie wie sie sind? Ein (fiktives) Fallbeispiel.

Helmut geht’s gut. Der 62-jährige Schreinermeister steht nicht nur kurz vor der Rente, sondern auch vor seinem lang ersehnten Urlaub, der ihn wie in den letzten knapp 30 Jahren an den Campingplatz an der Müritz führen wird. Die übliche Entspannung nach Wochen und Monaten harter Arbeit eben. Das übliche Einsinken in die Stoffbahn, die über seinen Liegestuhl gespannt ist. Das übliche In-die-Sonne-Blinzeln unterm Schlapphut, bis sein Körper krebsrot und ziemlich verbrannt ist. Wenn er sich mal wieder einen Sonnenbrand holt, wird er von seiner Frau Hilde (59, Hausfrau) kurz getadelt, bevor diese selbst versucht, ein paar Sonnenstrahlen zu erhaschen. Später empfangen die beiden ihre Freunde Heinz und Beate zum gemeinsamen Grillen. Man kennt sich, und das inzwischen seit 25 Jahren. Alles hier im vertrauten und langweiligen Feriendomizil ist ziemlich unkompliziert. Man hat seinen Stammplatz, weiß, wo die kleinen versteckten Ecken sind, die die Neulinge noch nicht kennen, und das Wichtigste: Man spricht Deutsch.

Exotik aus dem Reisebüroprospekt

Helmut kann und möchte sich nichts anderes für seine spärlich gesäte Urlaubszeit im Sommer vorstellen. Und damit ist er nicht allein. Hunderttausende, wenn nicht Millionen Deutsche verbringen ihren Jahresurlaub nicht bei den Pyramiden von Gizeh, auf den Kanaren oder an norwegischen Fjorden, sondern schlicht zu Hause. OK, zugegeben, der Campingplatz an der Müritz kostet Helmut immerhin eineinhalb Stunden Autofahrt. Für ihn ist das ein beinahe gewaltiger Schritt. Raus aus seiner kleinen Stadt, raus aus seinem Landkreis, raus aus seinem Alltag. Er hat natürlich schon gehört von diesen ganzen exotischen Ländern mit ihren Palmen und Sandstränden, von den prunkvollen Tempeln in Asien und den ärmlichen Verhältnissen, in denen afrikanische Kinder leben. Auch das ein oder andere Bild hat er sich angeschaut im Prospekt des Reisebüros um die Ecke. Das alles wirkt für ihn durchaus spannend und farbenfroh, aber irgendwie auch fremd und unheimlich. „Das is’ nix für mich“, sagt er dann immer.

Xenophobe Gewohnheitsbalkonier?

Das Verhalten von Helmut und seinen Freunden bloß mit Xenophobie („Angst vor dem Fremden“) erklären zu wollen, das greift zu kurz. Heimaturlaub-Traditionalisten tun Vieles in der „schönsten Zeit des Jahres“ aus purer Gewohnheit und nicht zuletzt natürlich auch, um den knappen Geldbeutel zu schonen. Zu verurteilen ist das sicher nicht, auch wenn man den ein oder anderen „Balkonier“ gern mal kosmopolitisch an die Hand nehmen würde. Möglicherweise ist es sogar so etwas wie „rebellierende Selbstunterwerfung“, die bei im Urlaub zu Hause Bleibenden eine Rolle spielt? Eine Theorie, die in etwa soviel besagt wie die Tatsache, mit Abneigung auf völlig unbedarfte „Sündenböcke“ (z.B. fremde Menschen und Kulturen) zu reagieren, obwohl eigentlich Groll gegen eine ganz andere Person oder Gruppe – nämlich den Verursacher der eigenen sozialen Ausgrenzung – gehegt wird. Eine Erfahrung, die Helmut sicher auch gemacht hat in seinem Leben. Doch das weiß er leider nicht.

3:0 für Deutschland
Inzwischen haben Helmut H. und seine Freunde aufgegessen. Die Bratwürste und Steaks waren mal wieder sehr lecker und das Bier dazu schmeckt sowieso immer. Danach gucken die Männer zusammen Fußball. Es spielt Deutschland gegen eine Mannschaft mit lauter Schwarzen, was Helmut und Heinz immer wieder zu lauten Schmährufen veranlasst. Aber am Ende gewinnen die Deutschen mit 3:0 und alles ist gut. Die Frauen tratschen derweil ein wenig über die Neue von Boris Becker und den kürzlich eröffneten Öko-Laden in der Schillerstraße, in dem „einfach alles viel zu teuer ist.“ Wie gut, dass es da Urlaub und Erholung gibt. Und so darf man auch weiterhin gelassen bleiben, wenn Helmut und Hilde Jahr für Jahr an ihren Campingplatz an der Müritz fahren.


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