Straight outta Uganda

THE FIRST BOAT (© DeStreet)

Der ugandische Künstler Kabati Ayub (alias DeStreet) holt mithilfe seiner Stiftung Kinder von der Straße und will ihnen durch Kunst eine Perspektive geben.

von Lara

Wenn Kabati Ayub spricht, erwähnt er seine Heimat oft, stellt vielen Sätzen „in Uganda“ hintenan – wie, um seine Erzählung in den richtigen Kontext zu stellen, das Setting zu präzisieren. Doch Uganda ist auch das Objekt seiner Arbeit: Der Künstler ist einer der wichtigsten Vertreter der Streetart-Szene in dem ostafrikanischen Binnenstaat. Seinen bürgerlichen Namen kennt dort allerdings kaum einer – den Meisten ist er als DeStreet bekannt.
Hut und Schuhe, die er trägt, hat der 28-Jährige selbst entworfen, ebenso das T-Shirt. Die bunten Kleiderdrucke sind sein Markenzeichen, er hat sie auch hier in Jena verkauft, neben seinen aktuellen Bildern. Jedes davon hat er mindestens zwei Mal gemalt: „Wenn ich zu malen beginne, dann immer mit dem Ziel das Bild schnell zu beenden, ich möchte das fertige Werk sehen. Dann kann es mich dazu herausfordern, es zu ändern. Daher eile ich immer zum abschließenden Schritt.” Das Ändern nimmt im kreativen Schaffungsprozess eine zentrale Rolle ein, von seinem Lieblingsbild aus der Ausstellung gibt es unzählige Versionen: „Ich mag das Bild mit den Hütten, weil ich immer das Gefühl habe, dass daran noch etwas fehlt.“ DeStreets Kunst vereint stereotyp afrikanische Motive wie traditionelle Behausungen oder Elefanten mit europäischen Themen; die Gemälde reichen von kontrastreichem Schwarzweiß bis zu dynamischen Farben. Dabei mischen sich die Stile; Malweisen und Inhalte sind von Bild zu Bild verschieden: Nur die Signatur zeugt davon, dass alle seine Gemälde von derselben Person stammen. DeStreet variiert aber auch das grundlegende Medium seiner Kunst. Malerei, Design, Musik, Installationen, Performance – alles kann zur Plattform werden. „Ich denke, jeder kann ein Künstler sein, aber es kann auch Kunst in Allem stecken“, erklärt er. „Wenn du etwas Neues schaffst in der Biologie oder Medizin, ist das ebenfalls Kunst“. Kunst ist der kreative Geist, das Erschaffen und nicht die Technik – das ist es auch, was er den Kindern, die sein Studio in Uganda besuchen, vermitteln möchte: „Ich bringe ihnen nicht bei, etwas Bestimmtes zu tun, ich zeige ihnen, wie sie von selbst etwas Neues entdecken können.” Selbst hat er stets seinen eigenen Stil verfolgt, nie den eines Vorbildes – konnte er gar nicht: die Werke bekannter Künstler sind ihm größtenteils unbekannt. Denn DeStreet hat nie ein Studium oder eine Ausbildung abgeschlossen, sein Können hat er sich weitgehend selbst beigebracht.

UNKNOWN HOMES (© DeStreet)
UNKNOWN HOMES (© DeStreet)

Durch Kunst aus der Krise
Die Familie, in die Kabati vor fast drei Jahrzehnten geboren wurde, lebt in Jinja, einer Stadt etwa von der Größe Jenas, die viertgrößte in Uganda. Die Lage direkt am Viktoriasee, an der Quelle des Weißen Nils, macht die Stadt für Touristen zur „adventure capital“ Ostafrikas. Für Einwohner liegt das jährliche Durchschnittseinkommen pro Haushalt bei etwa 100 Dollar. Auch Kabatis Eltern hatten nie viel Geld, die gesamte Großfamilie wohnte in sechs Zimmern und schulische Leistung stand im Mittelpunkt, war sie doch eine Aufstiegschance. Der Junge wollte Ingenieurwissenschaften studieren – einer der angesehensten Fachbereiche. Als nach dem Abschluss jedoch ein Stipendium ausblieb und auch sonst die finanziellen Mittel nicht vorhanden waren, um für die hohen Studiengebühren aufzukommen, brach für ihn eine Welt zusammen. „Ich war geschockt. Über dreizehn Jahre lang hatte ich gelernt um, zur Uni gehen zu können und nun stand ich vor dem Ende des Weges.” Er fiel in ein Tief, verbrachte den Tag zu Hause, vor dem Radio, essend und schlafend. Dann, langsam, begann er sich kreativ zu betätigen: Er schrieb Lieder, Hip Hop und andere Musik. Schließlich folgten Zeichnungen – Skizzen und Ideen, die er an Passanten vor seinem Haus und der Schule verschenkte. Kabati hatte schon immer viel gemalt, jetzt tat er kaum mehr etwas anderes.
Auf diese Weise kam er erstmals in Kontakt mit der lokalen Kunstszene: einer dieser Passanten riet ihm, sich an Künstler in der Stadt zu wenden, um von ihnen zu lernen und sich weiter zu entwickeln. So begann Kabati im Studio zweier junger Künstler auszuhelfen, war immer vor Ort, wenn sie an der Uni waren und half bei ihren Aufträgen. Die Arbeit füllte ihn aus, er begann damit, T-Shirts zu entwerfen und eigene Kontakte zu knüpfen. Von morgens um 7 bis abends um 9 war er auf den Beinen – ohne bezahlt zu werden. Mit der Zeit wurde ihm klar, dass dies auf die Dauer keine Perspektiven eröffnete. Doch mit einem eigenen Studio Fuß zu fassen, stellte sich als nahezu unmöglich dar in einer Szene, in der Unabhängigkeit mit direkter Konkurrenz zu seinem früheren Studio gleichzusetzen war und jeder jeden kannte. „Jeder hat dich gesehen, sie denken, sie kennen dich: nur ein gewöhnlicher Junge ohne Hoffnung, ohne Background – der, den man jeden Tag sieht. Es ist schwer, ihnen eine neue Idee zu verkaufen.“ Jinja, die einst große Stadt, war plötzlich klein geworden.
Also zog Kabati in die Hauptstadt Kampala, dort lebt er heute noch. Die winzige Kammer, die ihm zunächst als Wohnung und Atelier diente, ist einem weitläufigen Haus gewichen, die Wandfläche für Bilder ist größer und die Lage besser geworden. Sein Studio in einer schmalen Seitenstraße ist auch der Sitz der DeStreet Foundation – einer Organisation, die der Künstler gegründet hat, um Jugendliche mit Kunst von der Straße zu holen. Zusammen mit Freiwilligen gibt Kabati jedem Interessenten Kunstunterricht in jeder Form. „Normalerweise ist es nicht so, dass jemand unterrichtet, aber wenn sie jemanden brauchen, ist immer jemand da, um mit ihnen zu malen, zu designen oder ihnen irgendeine Art von Tanz oder Dichtung zu zeigen”. Die Kinder kommen in ihrer Freizeit, erhalten kostenlos Essen und Hoffnung – sie ermalen sich eine Zukunftsperspektive abseits von Ghetto und Straße. Dabei kommt ihnen ihr Hintergrund in gewisser Weise zu Gute: „Auf der Straße wird man schneller erwachsen. Diese Jungen sind jetzt sechzehn, achtzehn, aber sie erscheinen älter als ich – sie sind produktiver und wettbewerbsfähiger.” Und manche schaffen es wirklich. Eine Handvoll Schüler kann von ihrer Kunst leben: ihnen ist der Sprung gelungen – hinaus in eine Branche, die, wie auch sonst überall auf der Welt, in Uganda klein und exklusiv ist.

„Wir alle kommen irgendwo her“
DeStreet wünscht sich, diesen Markt etwas aufzubrechen: „Bevor ich angefangen habe, dachten alle, dass nur andere Künstler, reiche Ausländer oder sehr reiche Ugander in eine Galerie gehen würden, um Kunst zu kaufen”. Indem er Kleidungsdrucke zur szenerelevanten Kunstform erhebt und seine Gemälde vereinfacht auf die T-Shirts überträgt, bringt er die Kunst ins Alltagsleben – auch für diejenigen, die sie sich sonst nicht leisten können. „Sie sehen, dass das T-Shirt, das sie von mir für einen bezahlbaren Preis gekauft haben, dem Gemälde gleicht. Ich habe sie dazu gebracht, Galerien zu besuchen und in Kunststudios zu gehen.”
In seinem eigenen Studio will er neben den Kindern auch internationalen Besuchern seine Kunst sowie die Kultur seines Landes vermitteln: Die DeStreet Foundation kooperiert mit internationalen Hilfsorganisationen und arbeitet mit Freiwilligen aus aller Welt zusammen. In seinem Studio nimmt DeStreet über Couchsurfing und Airbnb Reisende auf. Im Gegenzug reist auch seine Kunst zu den Leuten: seit vier Jahren tourt er jährlich durch Europa, in diesem Jahr kam er erstmals nach Jena. Auf diesen Reisen will er auch Neues für seine Arbeit lernen – im Rahmen der diesjährigen Tour besuchte er zum ersten Mal ein klassisches Kunstmuseum. Dennoch dauerte es lange, bis er sich letztlich zum Reisen entschloss: „Mein Herz zog mich nie nach Europa.“ Den Ausschlag gab letztlich der geschäftliche Teil: die Präsentation seiner Werke. Im Gepäck ist jedes Jahr eine Ausstellung zu einem anderen Thema. 2015 war es „Our Cities“, die diesjährige Ausstellung „The after War“ beschäftigt sich mit dem Krieg nebenan in Form von alltäglichen Kämpfen – und, ganz im Trend der hiesigen Medien, mit Flüchtlingen. Seine Bilder zeigen Boote, laufende Menschen und Zäune, sie sollen zum Nachdenken anregen über Flucht und über unseren Blick darauf: „Flüchtlinge sind auch nur Migranten. Ich möchte den Leuten zeigen, dass sie sich nicht über Flüchtlinge zu beschweren brauchen, denn am Ende sieht man, dass jeder von einem anderen Ort stammt. Vielleicht kommst du aus Jena, bist hier aufgewachsen, aber lebst nicht mehr in deinem Elternhaus. Wir alle kommen irgendwo her.”
Für Kabati wird dieses „irgendwo“ immer sein Zuhause bleiben. Er vermisst das Wetter, die Kultur – und die Gastfreundschaft Fremden gegenüber: „Ich wünschte, ich hätte einmal die Möglichkeit, zu Gast zu sein in Uganda.”

Mehr Informationen zu DeStreet und seiner Kunst unter destreetart.webs.com sowie bei facebook.


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