Übersetzung: (Anti)Helden des Roma-Alltags

Vor einigen Wochen sorgten gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Tschechen und Roma für Schlagzeilen und haben erneut an die prekäre Situation der Roma in Europa erinnert. Ein tschechischer Comic lässt nun drei tschechische und slowakische Roma selbst zu Wort kommen.

von David

Karel aus Prag kam Ende der 1990er Jahre in die östliche Slowakei, um dort den Bewohnern mehrerer durch Hochwasser überfluteter Roma-Siedlungen zu helfen. Als er die Hilfsbedürftigen fragte, was sie am dringendsten benötigten, kam immer wieder die gleiche Antwort: Essen und Schmetterlinge. Letzteres war keineswegs eine absurde Forderung. Vielmehr sprachen die Verunglückten in einem romani-ostslowakischen Dialekt und nutzten dabei ein Wort, das im Tschechischen tatsächlich „Schmetterling“ bedeutet. Sie meinten aber „Decken“.

Während aus Osteuropa (aber auch aus Westeuropa) immer wieder Meldungen über Angriffe auf und Diskriminierungen gegen die Roma als Gruppe eintreffen, setzt sich ein Comic mit ihnen als Individuen auseinander. „O Přibjehi“, 2010 in Tschechien und im Sommer 2011 auch in französischer Übersetzung erschienen, ist eine Gemeinschaftsarbeit der Roma-Spezialistin Máša Bořkovcová, der Anthropologin Markéta Hajská und des Comic-Künstlers Vojtěch Mašek. Diese haben über Wochen mit drei Personen aus der tschechischen und slowakischen Roma-Community gesprochen und sie von ihrem Leben erzählen lassen. Das Resultat sind drei Comic-Porträts, die sich in Form und Erzählfluss stark unterscheiden.

Im ersten Teil von „O Přibjehi“ geht es um Albina. In den 1960ern in einem ostslowakischen Dorf geboren, verbringt sie eine glückliche Kindheit. Relativ jung heiratet sie Banik und zieht mit ihm in sein vergleichsweise armes Roma-Dorf. Konflikte mit der Schwiegermutter und schließlich auch eheliche Gewalt trüben ihr Glück. Als sie eine Affäre mit dem tschechischen Sozialarbeiter Karel beginnt, verschlimmern sich die ehelichen Konflikte und die Auseinandersetzungen mit den Nachbarn. Nachdem sie zum wiederholten Mal aus dem Dorf flieht, begeht ihr Ehemann Selbstmord. Zusammen mit Karel beginnt sie ein neues Leben.

Ferkos Leben verläuft weniger melodramatisch, dafür umso chaotischer. Ob die Geschichte(n), die er erzählt, immer wahr sind, darf getrost angezweifelt werden. Möglicherweise hat er tatsächlich im Alter von 14 Jahren heldenhaft einen ertrinkenden Jungen aus dem Fluss gerettet. Die Erinnerungen an seinen Vater und seinen Großvater nehmen jedoch geradezu surreale, absurde und manchmal gruselig-schaurige Formen an. Da scheint es folgerichtig, wenn er seine drei Interviewer spontan auf eine Reise nach Schweden mitnimmt, wo er in den 1980ern Jahren längere Zeit verbracht und sogar geheiratet hat. Und immer wieder erzählt er ihnen unglaubliche, spannende und heitere Anekdoten und Märchen.

Auch die 20-jährige Keva erzählt Anekdoten, denen aber jegliche Heiterkeit fehlt. Prägend für ihre Kindheit sind die häufigen Umzüge, die vielen Schulwechsel und die Diskriminierungen. Nach einer Beschwerde gegen eine rassistische Lehrerin wird Keva in eine Schule für geistig Behinderte gesteckt. Erst nach dem Absolvieren eines Intelligenztests besucht sie wieder eine reguläre Schule, wo sie mit exzellenten Leistungen auffällt. Beleidigungen bleiben ein Teil von Kevas Schulalltag und Auseinandersetzungen mit rechtsradikalen Schlägern auf der Straße gehören gleichermaßen zu ihrer Sozialisation. Halt bietet ihr zunächst nur ein Hilfsjob in einer schäbigen Imbisskneipe. Heute ist sie verheiratet, aber wieder arbeitslos.

„O Přibjehi“ ist insgesamt ein gelungener Versuch, das Leben der Roma in Tschechien und der Slowakei mit Hilfe eines Comics an drei Einzelschicksalen zu veranschaulichen. Leider machen es die teils bis zur Unkenntlichkeit stilisierten Bilder Mašeks dem Leser manchmal schwer, das Buch zu verfolgen. Auch die häufigen Sprünge in der Erzählebene sind nicht immer sehr leserfreundlich. Die Möglichkeiten des Mediums Comic werden nicht voll ausgelotet, da die Bilder oftmals nur eine illustrative, aber keine narrative Funktion haben.

Alle drei Porträts sind weit mehr als ethnisch-anthropologische Studien. Universelle menschliche Probleme wie unglückliche Liebe, Eifersucht, Bindungsängste, Armut, Streitereien und Aufstiegsträume prägen die Erzählungen. Dabei kommen natürlich auch roma-spezifische Probleme nicht zu kurz. Sehr deutlich wird, dass Roma zu den Verlierern der politischen Transformation von 1989 gehören. Albina erzählt auch von Gewalt und einem teils sehr ausgeklügelten System sozialer Ausgrenzung innerhalb der Roma-Gemeinschaften selbst, in denen von Harmonie kaum etwas zu finden ist. Sehr viel mehr Demütigungen und Gewalt erfahren die Roma jedoch durch die ethnischen Tschechen und Slowaken. Dass ausgerechnet die jüngste interviewte Person am meisten davon zu erzählen hat, ist leider beängstigend und lässt für die Zukunft wenig Platz für Optimismus.

 

Máša Bořkovcová, Markéta Hajská (Texte), Vojtěch Mašek (Texte, Bilder): O Přibjehi. Histoires
Aus dem Tschechischen und Slowakischen von Milena Fučíková
Editions çà et là 2011
28,00 €

.

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert