„Nur für Verrückte…“

Heute vor 50 Jahren starb der große Dichter, Sinnsucher und Morgenlandfahrer, Hermann Hesse. Ein Blick auf einen Mann und sein Werk, das über die Kulturgrenzen wirkt.

von Martin

Hesse polarisiert. Kaum ein andere deutscher Autor wurde so häufig Ziel von Anerkennung und Anfeindung. Von denen, die wie er die Leere und Kälte der modernen Welt spürten, als Vorbild verehrt und von den Anderen für sein falsches Romantikertum und die Mystik seiner Werke kopfschüttelnd abgetan.

Ganz gleich, wie man zu Hesse steht: jeder scheint eine Meinung über ihn zu haben. Doch warum wird dieser Autor noch heute, fünfzig Jahre nach seinem Tod, quer über alle kulturellen Grenzen hinweg gelesen? Warum inspiriert er noch immer so viele Sucher und Zweifler?

Die Suche nach dem eignen Selbst, nach Unabhängigkeit, und der Weg nach innen. Kaum ein anderer Autor verstand es wie Hesse, die Schwierigkeiten des eigenen Menschwerdens und Seins so eindrücklich zu beschreiben. Er sang ein Loblied auf den Eigensinn, auf das Selbst, dies war sein großes Thema.

Zwischen Rebellion und Wahn

Der spätere Literaturnobelpreisträger wurde 1877 in der kleinen württembergischen Stadt Calw geboren. Schon früh waren streng religiöse Erziehung und die Enge der pietistischen Gemeinde für den kleinen Hesse Anlass zur Rebellion. Nichts in der Welt hätte ihn dazu bringen können, den von den Eltern vorbestimmten Weg des Theologen zu gehen. Er flüchtet aus dem Priesterseminar, kauft sich einen Revolver, will sich erschießen. Entweder Dichter werden oder gar nichts. Weniger kommt für Hesse nicht in Frage.

Schon früh zeigt sich sein Drang zur Selbstverwirklichung und dazu, den eigenen Träumen nachzujagen. Dies sollte auch weiterhin der Antrieb seines Lebens bleiben. Hesse schafft es, sich aus den Bestimmungen seiner Familie freizukämpfen. Er geht nach Tübingen und beginnt eine Buchhändlerlehre. Natürlich nur vorläufig, den er schreibt nun auch die ersten Gedichte, wird freier Schriftsteller und zieht weiter.

Es entstehen zunächst die Romane Peter Camenzind und Unterm Rad. Seine Abrechnung mit dem damaligen Schulsystem spricht bis heute besonders japanischen Schülern aus der Seele. Er heiratet zum ersten Mal und gründet eine Familie – auch wieder nur vorläufig. Nach Ehekrise und Depression beginnt Hesse eine Psychoanalyse, reist nach Indien und wagt einen Neuanfang. Es entstehen Werke wie der mystische Roman Demian und die indische Erzählung Siddhartha.

Hesse heiratet erneut, doch auch diese Ehe will nicht halten; er ist wieder allein. Der Zustand der Unabhängigkeit, nach dem er immer strebte, wird nun zur Last. Er stürzt in eine tiefe Lebenskrise, trinkt und schreibt sein wohl berühmtestes Werk: den Steppenwolf.

Vom Zweifel zur Erlösung?

Parallel zu Hesse muss auch Harry Haller, der Hauptprotagonist im Steppenwolf, mit seiner innerlichen Zerrissenheit kämpfen. Er ist zwischen seiner triebhaften, animalischen Seite -verkörpert durch den Steppenwolf- und einer sinnleeren bürgerlichen Existenz hin und her gerissen. Auf der Suche nach Vereinbarkeit und einem Weg aus dem Dilemma trifft er Hermine. Sie verkörpert sein genaues Gegenteil und führt ihn in die fantastische Welt des magischen Theaters. Die Selbstbefreiung als ein einziger Rausch. Zwar scheitert Harry auf dem Weg dorthin, doch der Versuch ist bereits Heilung genug.

Einer der vielen Sätze, deren dieses Buch seine elektrisierende Wirkung verleiht, klingt zeitlos:

„Wer heute leben und seines Lebens froh werden will, darf kein Mensch sein wie du und ich. Wer statt Gedudel Musik, statt Vergnügen Freude, statt Geld Seele, statt Betrieb echte Arbeit, statt Spielerei echte Leidenschaft verlangt, für den ist diese hübsche Welt hier keine Heimat…“[1].

In Zeiten des oberflächlichen Individualismus’ ist Hesses Aufruf, Selbsterkenntnis zu erlangen, sich selbst zu finden – auch in der Gefahr des Scheiterns – ein radikaler Anspruch. Jeder Leser und jede Generation kann sich aufs Neue von ihm inspirieren oder abschrecken lassen. Egal was man von Hesse hält, seine Schriften bleiben bedeutsam.

 


[1] Hesse, Hermann, Der Steppenwolf, 1973, S. 165.

 

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert