Wiedergefundener Klassizismus

Molières Der Gezeige ist das neueste Angebot des klassisch-komischen Programms der universitären Theatergruppe „cum tempore“, zu sehen in der Mensa am Philosophenweg.

von Francesco

Im aktuellen Szenario des deutschen professionellen Theaters stößt man selten auf die Möglichkeit, auf der Bühne einen Klassiker als Klassiker zu sehen. Diesem Desiderat kommt die Amateur-Theatergruppe „cum tempore“ programmatisch entgegen: Ihr aktuellstes Angebot, zu sehen in der Mensa am Philosophenweg, ist eine der berühmtesten Komödien der Neuzeit: Molières Der Geizige.
Die Handlung spielt sich im Paris des 17. Jahrhunderts ab, wo der geizige Harpagon seine Tochter Élise auf möglichst gewinnbringenden Weise – und ohne Rucksicht auf ihre Zustimmung – verheiraten will. Harpagons grenzloser Geiz führt ihn ebenfalls zu einem Konflikt mit seinem Sohn Cléante, denn er lässt sich von den vulgären Argumenten der Zigeunerin Frosine überzeugen, die von seinem Sohn geliebte Mariane zu heiraten. Nach dem Lehrbuch der Komödie löst sich die Spannung aufgrund des listigen Eingriffs durch den Diener La Flèche auf, der das Geld des Harpagon stiehlt – sodass dieser vor die Entscheidung gestellt wird, entweder an seinen Pläne festzuhalten und sein Vermögen zu verlieren, oder die Wünsche seiner Kinder zu erfüllen und das Geld zurück zu bekommen.
Die Aktübergänge und gelegentlich auch die Handlung genießen die gemütliche Begleitung eines Bratschen-Quartetts, die leider den Teil des Publikums, der mit dem Theaterknigge etwas unvertraut war, vom drängenden Bierbedarf häufig nicht abhalten konnte. Zur musikalischen Komponente zählt außerdem eine Geige, derer Anwesenheit – wenn sich die Charaktere explizit darauf beziehen und sie in die Handlung beinahe einbeziehen – als Anlass für zusätzliche Lacher dient. In diesem musikalischen Beitrag besteht die sichtbarste Anpassung der Regie, welche ansonsten akzeptiert, sich bis auf die Kostüme und die Szenografie von der Meisterhaftigkeit Molières leiten zu lassen. Die Spielqualität steht dem abgesehen von einigen wenigen Unsicherheiten des qualifizierten Ensembles in nichts nach. Zu dem erstaunlich professionellen Eindruck tragen freilich die Einfachheit und die Kohärenz des Originals bei.
Was zum Stück und zum Programm der Theatergruppe das zeitgenössische Kunstideal einzuwenden hätte, ist leicht vorherzusagen: Unterhaltsame und „unengagierte“ Komödien passen ganz gut zu den Amateuren, aber die Beschäftigung der „eifrigen“ (politischen?) Kunst solle doch bitte eine andere sein. In dieser Hinsicht ließe sich in Der Geizige zwar eine gewisse Anspielung auf das aktuelle Thema des übertriebenen Materialismus erkennen, aber wie kann dieses Thema ernst genommen werden, ohne die katastrophalen Folgen dieses Materialismus‘ in expliziterer Weise anzusprechen?
Das Stück Molières und die Theatergruppe „cum tempore“, die es als bis heute aktuell ansehen, sehen sich aber diesem Einwand nicht völlig schutzlos gegenüber. Denn die subtile Macht des Lachens verhält sich zu den globalen Folgen des Materialismus nicht gleich wie zu dem Geiz Harpagons. Ich kann als Zuschauer über Harpagon, der viele meiner Bekannten so gut karikiert, nur schallend lachen; dieses Lachen verhält sich zum Materialismus sicherlich viel indirekter als eine explizite Überlegung über diesen. Wenn mir allerdings jemand auf der Bühne direkt und wortreich von den schlechten Folgen des Materialismus erzählt – wer weiß, ob ich mich am folgenden Tag konsequent verhalte? Dem geizigen Harpagon aber, den ich bei der Premiere in der Philosophenmensa belächelt habe, werde ich gewiss demnächst nicht nacheifern. Was ist also die größere Leistung?

Weitere Aufführungen finden am Freitag, 24. November 2017 und Samstag, 25. November 2017 in der Mensa am Philosophenweg statt. Beginn ist jeweils um 19:00 Uhr, Einlass ist ab 18:30 Uhr. Der Eintritt ist frei, die Theaterbar ist geöffnet.

(Fotos: Theatergruppe „cum tempore“)


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