„Studentische Medien sind keine Spielwiese“

Nicht nur studentische Medien sehen sich gegenwärtig mit der Debatte um journalistische Qualität und Vielfalt konfrontiert. Wir sprachen mit dem Medienökonom Prof. Dr. Wolfgang Seufert über rechtliche und publizistische Aspekte des Themas.

von Seba & Chrime

UNIQUE: Artikel 5, Abs. 1 des Grundgesetzes gewährleistet, dass jeder Bürger seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei äußern und verbreiten darf. Jeder Bürger kann demnach journalistisch tätig sein und sich auch als Journalist bezeichnen. Im Hinblick auf die freie Meinungsäußerung, wo sind diesem Grundsatz Grenzen gesetzt?
Seufert: Meinungsfreiheit ist zunächst einmal ein individuelles Recht. Zum Schutz der Demokratiefunktion von Medien sind Presseorgane rechtlich noch einmal besser gestellt als der einzelne Bürger. Die Polizei darf in den Redaktionsräumen keine Untersuchungen vornehmen. Es gibt aber auch einen Katalog von Pflichten, der mit diesen Rechten korrespondiert. Eine Sache ist hier zum Beispiel die Impressumspflicht, es muss also ein presserechtlich Verantwortlicher benannt werden. Warum? Auch dies steht in Artikel 5: Weil Inhalte eben auch negative Auswirkungen auf die Gesellschaft haben können. Ein juristisches Stichwort ist hier die „Störung des sozialen Friedens“. Es gibt Paragrafen zum Verbot von Volksverhetzung oder die Verächtlichmachung religiöser Symbole – dies ist da einzuordnen. Und dann gibt es noch den ganzen Bereich des Privatrechts. Das Grundgesetz deckt nicht, dass ich Lügen verbreite oder jemandem schade. Auch die Privatsphäre darf nicht verletzt werden, zum Beispiel das Recht am eigenen Bild.

Journalisten- und Verlegerverbände haben sich im Pressekodex auf Regeln für einen fairen Journalismus verständigt. Dazu zählt auch die Achtung der Wahrheit und der wahrhaftigen Unterrichtung der Öffentlichkeit. Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang das Verhältnis der BILD-Zeitung zum Pressekodex?
Es ist klar, dass die Boulevardpresse natürlich immer personalisiert und im Fall der BILD-Zeitung auch sehr stark politisch meinungsbildend wirken will. Das entspricht nicht unbedingt meinem Qualitätsverständnis von gutem Journalismus, aber das ist immer noch von der Pressefreiheit gedeckt. Kritisch wird es, wenn über diesen Journalismus einzelne Personen in ihren Rechten verletzt werden. Es gibt ja auch häufig Fälle, bei denen durch falsche oder auf Meinungsmache orientierte Berichterstattung der „kleine Bürger“ unter die Räder kommt. Es gibt nicht umsonst viele Auseinandersetzungen über diese Art von Journalismus.

Dennoch ist die BILD-Zeitung die mit Abstand auflagenstärkste Zeitung Deutschlands. Welcher Zusammenhang besteht – auch aus empirischer Sicht – zwischen der journalistischen Qualität und der Auflagenhöhe einer Zeitung?
Ich sehe da keinen Zusammenhang. Hohe Auflage an sich ist ja zunächst ein Indiz für gute Qualität. Ich kann auch bei kleinen Zeitungen mit einer geringen Auflagenzahl durch eine starke Gewinnmaximierung und das Streben nach Rendite die journalistische Qualität verschlechtern, indem die Arbeitsatmosphäre leidet und der Rechercheaufwand pro Seite gering gehalten wird. Das ist etwas anderes als die Idee, eine hohe Auflagenzahl immer mit einer schlechten Informationsqualität zu verbinden. In der Regel geht man davon aus, dass es einen Zusammenhang im Bereich der Unterhaltungsmedien gibt. Ich würde einfach mal sagen, die BILD ist zu mehr als 50 Prozent ein Unterhaltungsmedium. Man orientiert sich an Werten und Normen eines bestimmten Teils der Gesellschaft und bedient Vorurteile.

Kommen wir zu Inhalten aus dem Zukunftsmarkt Internet: Ein Schweizer Student fand in seiner Lizenziatsarbeit heraus, dass Medienweblogs in vielen Qualitätskriterien besser als Online-Zeitungen abschneiden. Glauben Sie, dass Weblogs zukünftig eine neue Dimension von Informationsquellen sein könnten?
Eine wichtige Qualitätsdimension ist zum Beispiel die Trennung von Fakten und Kommentar. Blogs beinhalten meistens eine Vermischung von beidem. Und es ist natürlich auch eine Frage mangelnder Qualitätskontrolle, wenn jeder, der etwas für wichtig hält, dies in einen Blog stellen kann. Dann weiß man eben nicht, inwieweit ein „Fakt“ geprüft wurde. Diese Überprüfung ist etwas, was professionellen Journalismus auszeichnet. Insofern würde ich unterscheiden wollen zwischen Online-Journalismus und Blogs. Wenn es darum geht, ob einzelne Autoren qualitativ hochwertig produzieren können: Natürlich! Auch der professionelle Journalismus arbeitet mit freien Mitarbeitern. Die Frage ist: Habe ich irgendeine Art von Qualitätsmanagement? Und Redaktionen sind in der Regel eben Qualitätskontrollorganisationen. Meine Befürchtung ist daher, dass nicht redaktionell eingebundenen Journalisten das Feedback zu anderen Profis fehlen kann. Außerdem sagt mir keiner, wo die guten Sachen stehen. Mit einer etablierten Medienmarke erhalte ich einen reflektierteren Blick auf die Welt und eben auch einen qualitativ hochwertigeren Blick als unter einer anderen Medienmarke. Letztendlich werden sich Medienmarken, die für irgendeine Art von Weltsicht stehen, auch in der Internetwelt durchsetzen.

Redaktionell eingebunden, aber trotzdem nicht professionell arbeiten studentische Medien. Wie viel journalistische Qualität und Sorgfalt darf oder muss von einem studentischen Medium erwartet werden?
Die gleiche wie von jedem anderen. Studentische Medien sind ja keine Spielwiese. Wer den öffentlichen Raum betritt, muss sich an den gleichen Maßstäben messen lassen wie alle anderen auch.

Sie waren selbst Teilnehmer der Podiumsdiskussion zum Thema „Sollten wir Rechten wirklich einen Sendeplatz geben?“ und haben das UNIQUE-Interview mit dem NPD-Mitglied Emil G. als „schlechtes journalistisches Produkt“ bezeichnet…
Zunächst bezieht sich meine Kritik nicht darauf, dass man sich überhaupt mit dem Thema beschäftigt, sondern auf die Art, wie das angegangen wurde. Wenn ich weiß, dass ich ein solch brisantes Thema journalistisch angehe, kann ich die Darstellungsform des Interviews nicht unkommentiert verwenden. Das ist der völlig falsche Umgang mit diesem Thema, so fehlt jede Art der Reflexion. Der einzelne Leser wird allein gelassen. Was bei mir und wahrscheinlich auch bei den meisten anderen Lesern rüberkam, war: Da gibt es ein studentisches Medium, welches Rechtsradikalen ein Forum zur Selbstdarstellung bietet. Das ist das, was hinten raus kommt und das ist auch der Grund, weshalb ich einen potenziellen Imageschaden sehe. Denn im Impressum steht nicht irgendwas, sondern „Das ist eine Zeitung, die getragen wird von den Studentenräten, vom akademischen Auslandsamt und vom Rektor“ und dann wirkt das eben auch auf die Marke „Friedrich-Schiller-Universität“.

Die Leserschaft der UNIQUE rekrutiert sich fast ausschließlich aus dem studentischen Milieu. Werden die nicht in gewissen Maße entmündigt, wenn man ihnen die Interpretation des Interviews vorgibt?
Entmündigung ist in diesem Fall ein ganz falsches Thema. Ich möchte eigentlich wissen, was Sie als Blattmacher dazu denken. Und Journalismus ist immer auch ein Stehen zu dem, was man selber denkt und auch ein Explizit-Machen.

Können Medien, ausgehend von Ihrer Prämisse, überhaupt objektiv berichten?
Es wäre eine große Überforderung einzelner Medien, ihnen die Aufgabe mitzugeben, die Welt so darzustellen, wie sie ist. Es ist immer so, dass jeder Journalist – eingebunden in sein redaktionelles Umfeld – entscheiden muss, was er als relevant und was er als nicht relevant erachtet. Da ist es immer so, dass eine Auswahl getroffen wird, die eine spezifische Sicht der Welt darstellt. Nur die Summe der unterschiedlichen Sichten ermöglicht dem Einzelnen eine Orientierung. Aber es sind nicht nur die Meinungen; schon durch die Auswahl der Themen erfolgt eine Selektion. Allein dieser Schritt – ohne irgendwelche Kommentare hinzuzufügen – führt zu einer bestimmten Weltsicht.

Sind Sie der Meinung, dass zur Erlangung einer gewissen journalistischen Kompetenz eine fundierte Ausbildung, also zum Beispiel ein Studium, zwingend notwendig ist?
Fundierte Ausbildung: Ja. Studium: Nein. Es gibt ja auch andere Möglichkeiten. Es gibt das Volontariat, so eine Art „Training on the Job“, und es gibt Akademien. Für sehr wichtig halte ich ein Studium in vielen Bereichen des Fachjournalismus. Und zwar nicht ein Studium der Publizistik oder der Kommunikationswissenschaft, sondern in dem Bereich, über den man dann berichten will. Jemand, der Wissenschaftsjournalismus betreiben will, sollte zumindest irgendeinen naturwissenschaftlichen Background haben.

Was würden Sie einem jungen Menschen, der heute Journalist werden will, mit auf den Weg geben?
Erst einmal: Nicht in Pessimismus verfallen. Es gibt genügend andere Aufgaben. Es braucht immer eine Bewertungs- und es eine Selektionsfunktion. Und der zweite Punkt: Qualität zahlt sich langfristig aus.


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