Rezension: Zwischen Kulturkritik und Heilsversprechen

Wie wird die Zukunft des Buches aussehen? (Foto: Johan Larsson)

Mit Zur Sache des Buches ist nun ein Essay erschienen, der sich sachlich und unaufgeregt  mit Gegenwart und Zukunft des gedruckten Wortes beschäftigt.

von gouze

Die Moderne ist Wachstum, und das gedruckte und gebundene Wort sind Zeugnis einer Kultur, die mehr wissen als sie denken kann und mehr schreiben als lesen. In einem schier unendlichen Strom von Informationen ersticken wir an den Möglichkeiten eigener Erkenntnis. Denn mit der Zunahme des Wissens ist auch etwas anderes gewachsen: das Nichtwissen. Wie soll man sich in dieser Welt zurechtfinden? Wie all das Wissen, die Informationen, ordnen? Wer darf das Wissen überhaupt ordnen?
Es gibt zahlreiche Meinungen darüber, in welche Richtung wir uns orientieren sollten: mehr digital, aber weniger Google; mehr Qualität, aber weniger Print – die Diskussionen darüber, wie wir in Zukunft leben und lesen wollen, sind zahlreich. Nicht selten stehen sich dystopische Szenarien des (abendländischen) Kulturverfalls und naive technologiefaszinierte Fortschrittsgläubigkeit gegenüber. Zwischen derart verhärteten Fronten einen konstruktiven Dialog zu initiieren, ist bisweilen auch mehr Strafe als Gewinn. Michael Hagner, Wissenschaftsforscher an der ETH Zürich, hat nun mit Zur Sache des Buches eine Schrift zur Lage des gedruckten Werks in unserer Zeit geschrieben. Er nimmt sich der Digitalisierungsfanatiker ebenso an wie der Tradition reaktionärer Kulturkritik, die – so will man meinen – sich in eine Ära vor Gutenberg zurücksehnt. Hagner geht der Frage nach, ob wir Voyeure beim Aussterben des gedruckten Buches oder nur Zeugen eines (natürlichen) Kulturwandels sind. Er widmet sich in drei großen Kapiteln medialen Heilserwartungen, der Diskussion um Open Access, und dem Wert des klassischen Buches für die Geisteswissenschaften.
Das Wachstum in der Moderne, das Preise steigen und Löhne sinken lässt, ist eine der Ursachen dafür, dass Wissenschaftler und ihre Verlage zu zwei verfeindeten Lagern wurden. Der Informationskapitalismus, der steuerfinanzierte Forschungsergebnisse für die Gegenleistung des Zitiert-werden-könnens an wissenschaftliche Verlage vergibt, lässt Bibliotheken und Hochschulen ihre eigene Erkenntnisleistung in Form von Fachzeitschriften wieder zurückkaufen. Dagegen wendet sich das Konzept Open Access, für Hagner „das vielleicht kostbarste Geschenk des Internets an die Wissensgesellschaft“. Open Access erlaubt jedem, wissenschaftliche Forschungsergebnisse online zur Verfügung zu stellen und zu nutzen. Man kann den Eindruck gewinnen, dass Open Access ein Bestandteil von Hagners persönlicher kleiner Heilserwartung für die Digitalisierungsbewegung ist. Was er trotz aller guten Absichten übersieht ist, dass auch beim Vorantreiben der Demokratisierung des wissenschaftlichen Wissens die Gefahr allgegenwärtig ist, dass die großen Wissenschaftsverlage mit ihren ökonomischen Interessen versuchen, Einfluss zu nehmen.
Er nimmt eher zwischen den Fronten der Reaktionären und der Fortschrittsgläubigen Platz, als dass er sich in eine observierende Distanz zur Debatte begeben würde. Das geisteswissenschaftliche Buch liegt ihm besonders am Herzen. Dabei bringt er seine persönlichen Erfahrungen als Leser in seinen ansonsten sachlichen Stil ein, und berichtet auch anekdotisch von seiner Bibliophilie. Und er erzählt auch von seiner Angst vor einer Zukunft, in der das Leseverhalten der jüngeren Generation die Kultur des Bücherschreibens radikal verändert. Durch die zunehmend kürzer werdenden Aufmerksamkeitsspannen und das Bedürfnis, alles sofort und möglichst schnell verständlich verfügbar zu haben, könnten lange, komplexe Text- und Buchgattungen zur Rarität werden.
Hagner hofft, dass der Weg vom Print zum Netz nicht bis zum Ende gegangen wird und Literatur und Geisteswissenschaften von einer kompletten Digitalisierung verschont bleiben. Er versucht optimistisch zu bleiben, was den Verbleib des gedruckten Buches in unserer Gesellschaft angeht: Kinderbücher, Bildbände, schöne Bücher mit Leseerlebnissen werden – so hofft er – nicht in eine digitale Existenz übersiedeln.
Zur Sache des Buches ist jenseits einer Analyse über das populäre wie das wissenschaftliche Buch eine Geschichte der Buchkultur in professoraler Prosa – ausgesprochen lesenswert.

Michael Hagner:
Zur Sache des Buches
Wallstein Verlag 2015
280 Seiten
17,90 €

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