Rezension: „Überwachtes Deutschland“

(Foto: Doro Martin)
(Foto: Doro Martin)

Ein Historiker erhält Zugang zu Geheimakten der Regierung und schildert in der frühen Bundesrepublik die Entstehung eines Überwachungsstaates – vorbei an allen rechtsstaatlichen Normen.

von Martin

Überwachungsstaat ­– ein politischer Kampfbegriff, der sofort vielfältige Emotionen und Gedanken weckt. Der Staat hört am Telefon mit, schreibt private Post fleißig ab, speichert Internetdaten und sortiert unerwünschte Informationen aus. Seit Facebook, Stasi 2.0, Vorratsdatenspeicherung und dem Verfassungsschutz-Chaos ist staatliche Überwachung ein Reizthema, das immer wieder Bestandteil der Nachrichten ist. Zwischen desinteressiertem Schulterzucken und dem Recht auf Anonymität bleibt wenig Platz für die Frage, welche Rolle Überwachung eigentlich seit Entstehung der Bundesrepublik spielt.

Der Freiburger Historiker Josef Foschepoth hat diese Frage gestellt, gibt eine hochinteressante und zugleich beklemmende Antwort. Ein zufälliger Fund bei der Archiv-Recherche, ein Brief aus dem Jahre 1951 mit der Aufschrift „Postzensur“, löste Verwundern und Staunen aus. Kann es sein, dass seit den frühesten Tagen der Bundesrepublik der Post- und Fernmeldeverkehr systematisch überwacht wurde? Der Autor beginnt nachzuforschen, erhält uneingeschränkten Zugang zu geheimen Archiven der Bundesregierung und entdeckt, dass dieser einfache Brief nur die Spitze eines gigantischen Eisberges war.

Vom großen Bruder lernen

Wir schreiben das Jahr 1947, der Zweite Weltkrieg ist vorbei, Deutschland besetzt und die Koalition zwischen den Westmächten und der UdSSR bekommt deutliche Risse. Die Sowjetunion könnte eine neue Gefahr für den Weltfrieden werden, die gemeinsam mit der Möglichkeit, dass noch einmal Krieg von deutschem Boden ausgeht, die Alliierten zum Handeln zwingt. In diesem Umstand wird die „Politik der doppelten Eindämmung“ geboren. In Deutschland wird ein großflächiger Überwachungsapparat installiert, der zusammen mit der angestrebten Westbindung Deutschlands die „Gegenmachtbildung in Europa“ vorantreiben und den kommunistischen Feind in Schach halten soll.

Foschepoth sieht in dieser Politik die Keimzelle einer umfassenden Überwachungspraxis, die von den Alliierten entwickelt wurde, später an die „fast“ souveräne Bundesregierung weitergegeben wird und sich tief mit dem Selbstverständnis exekutiver Praxis verbindet. Die westlichen Besatzungsmächte, allen voran die USA, beginnen bald mit der Installation eigener Einheiten, deren einziger Zweck es ist, den Postverkehr zu überwachen, Briefe zu öffnen, politisch fragwürdiges Material zu kopieren und in die Heimat zu schicken. Bei der amerikanischen National Security Agency wurden diese dann ausgewertet.

Von 1947 bis 1968 wurden jährlich Millionen von Briefe geöffnet, gelesen und nach politischer Räson aussortiert und vernichtet. Zusätzlich wurden ganze Telefonnetze von Ämtern, Behörden und Ministerien sowie Gespräche von Abgeordneten abgehört. Der Autor schreibt: „Überwacht wurden von den Besatzungsmächten Drucksachen, Zeitungen, Briefe, Päckchen und Pakete, Telegramme, Fernschreiben und Telefonate, nach innen und nach außen, nach Osten und nach Westen, nach Norden und nach Süden.“ Unter den Augen der Regierung Adenauer etablierte sich so eine massive Überwachungspraxis, die von den deutschen Behörden nicht nur toleriert, sondern aktiv unterstützt wurde ­– an jeglicher rechtsstaatlicher Norm vorbei. Und das, obwohl Artikel 10 des Grundgesetzes einen umfassenden Schutz des Brief- und Fernmeldegeheimnisses garantiert.

Vorbehalte seitens der Postbeamten, die Skrupel empfanden, ein verfassungsrechtlich garantiertes Grundrecht zu verletzten, wurden umgangen, übergangen oder schlicht ignoriert. Bürokratischer Geist und der Propagandakrieg, in dem sich die BRD inzwischen mit dem sozialistischen Nachbarn befand, taten ihr Übriges zur Rechtfertigung dieser inakzeptablen Praxis.

Der Preis der Souveränität

Nach den Pariser Verträgen von 1955 wurde Deutschland in die „fast“ vollständige Souveränität entlassen. Man könnte meinen, dass dies ein Ende des umfassenden Überwachens war, da Deutschland nun für sich selbst Verantwortung übernahm – diese Hoffnungen wurden enttäuscht. Die Alliierten sicherten sich umfangreiche Geheimdienst- und Überwachungsvorbehalte, die – statt in Frage gestellt – geradezu von der Regierung Adenauer auf dem Silbertablett serviert wurden. Die staatliche Praxis des millionenfachen Verfassungsbruches wurde mit dem Brieföffner fortgesetzt.

Da der Autor die gesamte Geschichte westdeutscher „Überwachungsstaatlichkeit“ beschreibt, lässt sich schnell erkennen, dass die etablierte Praxis nur schwer zu ändern ist. Die parlamentarische Mehrheit der ersten großen Koalition unter Kanzler Kiesinger ermöglichte umfangreiche Gesetzesvorhaben. So wurde die Überwachungspraxis endgültig von den Alliierten übernommen, auf eine rechtliche Grundlage gestellt und weiter fortgesetzt. Die G-10 Gesetze zur Reform des Briefgeheimnisses von 1968 blieben von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, da zu diesem Zeitpunkt die Reform der Notstandsgesetzte im öffentlichen Fokus stand. Trotz des G-10 Gesetzes blieben die Rechte der Alliierten weitgehend erhalten und bestehen sogar über den Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990, der der Bundesrepublik endgültig volle Souveränität gestattet, bis heute weiter.

Josef Foschepoth gelingt es in seinem Werk, den fortgesetzten Verfassungsbruch durch die Exekutive anschaulich und spannend zu schildern und diesen als einen wichtigen Teil der staatlichen Konsolidierung Deutschland einzuordnen. Die Argumentation wird häufig mit Originalquellen illustriert und so leicht nachvollziehbar. Die Ergebnisse seiner Recherche lassen den Leser nicht nur staunen, sondern werfen auch die wichtige Frage auf, wie rechtsstaatlich und verfassungstreu die frühe Bundesrepublik und besonders die Regierung Adenauer wirklich waren. Diese Frage erhält vor allem im Kontext zur Überwachungspraxis in der DDR eine besondere Brisanz. War die frühe Bundesrepublik tatsächlich so rechtsstaatlich, wie dies gerne dargestellt wird?

Das Buch Überwachtes Deutschland stellt diese Fragen zum ersten Mal und eröffnet dadurch ein bisher kaum erforschtes Feld deutscher Nachkriegsgeschichte. Durch die Beschreibung dieses unglaublichen Sachverhaltes leistet das Buch einen wichtigen Beitrag zum historischen Verständnis der frühen Bundesrepublik. Das inzwischen vielbeachtete und diskutierte Buch erscheint nun in der 2. Auflage.

Josef Foschepoth
Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik
Vandenhoeck & Ruprecht
2. Aufl. (Februar 2013)
378 Seiten
34,99 Euro

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