Rezension: Irgendwo da draußen ist immer ein Job für Super-Karl!

Sven Regener im Jahr 2011 (Foto: © Das blaue Sofa / Club Bertelsmann)
Sven Regener im Jahr 2011 (Foto: © Das blaue Sofa / Club Bertelsmann)

Fünf Jahre nach Abschluss der Frank Lehmann-Trilogie schreibt Sven Regener den „Spin-off“-Roman Magical Mystery, in dem er sich der wichtigsten Nebenfigur aus Herr Lehmann widmet: Karl Schmidt.

von David

Am 9. November 1989 fällt die Mauer – und Karl Schmidt bricht zusammen. Stress, Alkohol, Drogen, Schlafmangel, existentielle Zweifel und Ängste haben beim Künstler ihren Tribut gezollt und er landet in der Psychiatrie. Mit dieser melancholischen Wendung endete einst Sven Regeners Debüt-Roman Herr Lehmann. Sein neuestes Buch, Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt, setzt fünf Jahre später an: Die Bohemien- und Punkrocker-Kultur Kreuzbergs wurde seit dem Mauerfall von Techno ersetzt. Andere Musikkultur, aber dieselben Leute und dieselben berauschenden und psychotropen Substanzen.
Davon freilich hat Karl nicht viel mitbekommen. Nach einem langen Aufenthalt in der Psychiatrie wohnt er in der Hamburger Rehabilitations-WG „Clean Cut 1“. Er kommt nun ohne Alkohol und Drogen aus (von Koffein und Nikotin abgesehen), hat einen Job als Hilfshausmeister und ist restlos glücklich. Nun, nicht ganz restlos: Die Plenumssitzungen im „Clean Cut 1“ öden ihn an, die allseitige Bevormundung frustriert ihn. Als er seinen Job an einen über-engagierten Hausmeister verliert und zu mehreren Wochen Ferien in einem tristen Sanatorium verdonnert wird, wittert er plötzlich eine Chance: Ehemalige West-Berliner Freunde, die mit einem Techno-Label mittlerweile gut Geld verdienen, organisieren eine Rave-Tournee und brauchen dafür einen zuverlässig nüchternen Fahrer. Schnell wird klar, dass „Charlie“ nicht nur als Chauffeur der dauerhaft verpeilten Raver und DJs fungieren wird, sondern auch als deren heiliger Schutzpatron – und Mädchen für alles.
In seinen allerbesten Momenten erreicht Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt die unbeschreibliche Qualität von Sven Regeners Magnum Opus Neue Vahr Süd: diese ganz charakteristische Mischung aus melancholischen, ausschweifenden und delirierenden inneren Monologen, scharfsinnig-humoristischen Dialogen und einer elliptisch verdichtenden Erzählung. Wer ein sozialrealistisches oder akribisches Portrait der  nunmehr schon zeithistorischen Techno-Kultur der frühen 1990er Jahre erwartet, wird enttäuscht werden: Hier geht es um einen zutiefst melancholischen Mann Ende 30, und darum, wie er mit den Schatten seiner vergangenen Dämonen kämpft – und sich nebenbei um eine Horde von Techno-Freaks kümmern muss, die sich mit Bumm-Bumm-Musik, Alkohol, Gras, Koks (und vielem mehr) zudröhnt und dabei vollkommen am Rad dreht. Gar nicht einfach, sich über sein Leben klar zu werden, wenn man in Billighotels nach verschwundenen Plastik-Elchen sucht oder sich um Lolek und Bolek kümmern muss (des Haupt-DJs Meerschweinchen, die dieser „versehentlich“ mit auf die Tournee nimmt).
„Endlich“, möchte man fast rufen, hat Regener das stilistische Mittel eingesetzt, das sich im Grunde auch schon bei der Lehmann-Trilogie angeboten hätte: die Ich-Erzählung. Herr Lehmann sinnierte noch im personalen Erzählstil über alte Geschichte und die Wirkung von After-Hour-Schnäpsen – große Nähe bei gleichzeitig gut gewahrter Distanz. Bei Magical Mystery hingegen gibt es zwischen „Charlie“ und dem Leser keine Barriere mehr. Ein Hinweis darauf, wie viel persönlicher der Karl-Schmidt-Roman für seinen Autor ist?
Egal wie die Antwort auf diese Frage ausfällt: Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt ist eine kleine literarische Sensation! Und das nicht nur im direkten Vergleich zum schwachen und nichtssagenden Der kleine Bruder, der wie ein unmotivierter Nachklang den Lehmann-Zyklus abschloss. Denn der „Spin-off“ bringt mit viel Elan wieder frischen Wind in dieses literarische Parallel-Universum der professionellen Hobby-Dichter und -Träumer, das Regener so liebevoll erschaffen hat. Es gab in der Tat noch vieles zu tun für „Super-Karl“ – und sei es auch „nur“, den Maskottchen-Meerschweinchen der Magical-Mystery-Tour Salat zu besorgen.

Sven Regener:
Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt
Galiani Berlin
503 Seiten
22,99 Euro

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