Oralsex in Disneyland

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Singapurs Gesetze sind hart. Allerdings sind drakonische Strafen und mangelnde politische Partizipation selten so hübsch verpackt wie in dem südostasiatischen Stadtstaat …

von paqui

Nachdem man sich vierzehn Stunden lang durch schlechte Filme und Thrombosegefahr gekämpft hat, nuschelt der Pilot seine verabschiedenden Worte durch die knisternden Lautsprecher: „Und bitte denken Sie daran: Für den Missbrauch von Drogen erhalten Sie in Singapur die Todesstrafe. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.“ Visuelle Erinnerungsstützen liefern die netten Bildchen am Flughafen, die die Stricke abbilden, mit denen man im Falle eines Falles zu Tode stranguliert wird. Die Singapurer strangulieren auch recht exzessiv: Der Stadtstaat ist eines der Länder mit der höchsten Rate an Todesurteilen in Relation zu seiner vier Millionen Menschen starken Population. Für weniger kritische Vergehen wird man allerdings nur durch Stockschläge durch „speziell ausgebildete Beamte“ an die herrschenden Gesetze in Singapur erinnert.
Hat man nicht gerade eine Ladung Kokain dabei, gerät man allerdings recht schnell in den Sog des shoppingmallartigen Flairs der Stadt. Alles ist sauber, grün, gut koordiniert, durchdacht, nachts prahlt die Stadt mit angestrahlten Wasserfontänen, pulsiert mittels kostenloser Open-Air-Konzerte, unglaublichen kulinarischen Genüssen und unendlich vielen High-End-Shopping-Malls. Da fragt man sich doch, warum die Leute hier überhaupt Drogen nehmen wollen würden! Immerhin dürfen die Singapurer seit 2007 sogar offiziell Oralsex haben – als verheiratetes, heterosexuelles Paar, versteht sich. Alles andere ist laut Strafgesetzbuch wider die Natur. Vergewaltigung in der Ehe hingegen ist wohl pro Natur – mindestens jedoch legal. Selbst der Transport der Durianfrucht in öffentlichen Verkehrsmitteln ist verboten und wird mit horrenden Geldstrafen geahndet. Allerdings entwickelt man ein tiefes Verständnis für zumindest jenes Gebot, sobald man einmal in den Genuss des fauligen, beißenden Gestanks dieser Frucht kommt.

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Beschnittene Freiheit?
Wie man es auch dreht, es mangelt einfach an politischer Partizipation, öffentlicher Debatte, einem kritischen Diskurs – und dennoch wirken einige Gesetze, die aus westlicher Perspektive einfach nur Freiheit beschneiden, in Singapur gerade liberalisierend. So ist es nicht erlaubt, sich öffentlich kritisch gegenüber religiösen Ansichten zu äußern. Die Meinungsfreiheit in Bezug auf Religion wird beschnitten, um Religionsfreiheit zu gewährleisten und um dadurch ethnische Konflikte zu verhindern – ein Ergebnis des südostasiatischen Kontexts, in dem in vielen Ländern wie bspw. Malaysia religiöse und ethnische Minderheiten unterdrückt werden.
Singapur gilt unter den zwölf Millionen Touristen jährlich als „Asia Lite“. Ein Potpourri asiatischer Kulturen kompakt serviert auf einem sauberen und sicheren Silbertablett. Keine Graffitis, keine Straßenkünstler, keine spürbare Subkultur. Singapur ist wie ein multiethnisches Disneyland. Man darf sich halt nur nicht zu weit aus dem Wagen lehnen. Mit der Wahl am 7. Mai 2011 haben die Singapurer allerdings den kleinen Finger aus dem Wagen gehalten: Die Wahlergebnisse lieferten der Opposition mehr Stimmgewalt und waren die schlechtesten der seit 1963 regierenden People‘s Action Party. Ein Aufbegehren ist das aber noch lange nicht. Es gibt kaum Armut, jeder kann seine Religion ausüben, alles ist neu und wächst, die Korruptionsrate ist im regionalen Vergleich extrem niedrig. Es ist das alte, vermeintliche „Dilemma“: Wie weit kann man Menschenrechte und Freiheit zugunsten von Prosperität dehnen? Der Umgang mit und ein Urteil über Singapur ist ein Drahtseilakt zwischen einem zutiefst pragmatischen Kulturrelativismus und dem Oktroyieren westlicher Werte. Fragt sich nur, wie westlich Menschenrechte sind. Singapurs Regierung schafft auf jeden Fall einen künstlerischen Balanceakt zwischen Wohnungssubventionierung und Todesstrafe;  zwischen religiöser Freiheit und Maulkorb; zwischen Zuckerbrot und Peitsche – und das im wahrsten Sinne des Wortes.

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