Naumburger Straße revisited

aufenthraum

Ein Jahr nach unserem Bericht in unique 52 („Jenseits von Eden“) kehren wir ins umstrittenste Wohnheim Jenas zurück. Wir wollen wissen, ob sich nach einem Jahr etwas an den Verhältnissen geändert hat.

von bexdeich und Chrime

Das Wohnheim in der Naumburger Straße bleibt ein Phänomen. Es steht für äußerst moderate Preise, schnelle Verfügbarkeit für Jenaer Neuankömmlinge (besonders aus dem Ausland) und Gemeinschaftsgeist. Zugleich aber auch für Abgelegenheit, marode Bausubstanz und DDR-„Charme“. Grund genug, ihm einen weiteren Besuch abzustatten und zu sehen, was sich nach einem Jahr und der Reportage in unique 52 getan hat.

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„Unter den Bewohnern der Naumburger Straße befinden sich auffällig wenige Studenten aus EU-Ländern.“ (unique 52)

Daran hat sich auch 2011 nichts geändert. Bei unserem Besuch treffen wir auf zwei Chinesen, eine Kamerunerin, einen Ukrainer, eine Usbekin, drei Nepalesen und einen Deutschen. Zu den Gründen für dieses Phänomen meint Elke Voss vom Studentenwerk: „Es ist eine Frage des Geldes. Oft möchten ausländische Studierende, vor allem aus Osteuropa, die preiswertesten Zimmer beziehen und nehmen dann eben ein Zimmer in der Naumburger Straße.“ Bezeichnenderweise nennt ausgerechnet einer der wenigen Deutschen, der Ostberliner Paul*, den niedrigen Preis als Grund dafür, weshalb er sich insgesamt wohl fühlt im Wohnheim. Ohnehin scheint er nicht die allerhöchsten Ansprüche an seine Unterkunft zu haben: „So lange es warmes Wasser gibt“, gibt er trocken zu Protokoll und ergänzt „Ich komme aus einer großen Stadt, hier schau ich aus dem Fenster ins Grüne! Das ist klasse.“ Dass eine bewusste Vergabepolitik seitens des Studentenwerks vorliegt, negiert die Pressesprecherin: „Das Studentenwerk versucht schon, die Wohnheime zu mischen, damit ausländische auch mit deutschen Studierenden in Kontakt kommen, denn deshalb geht man auch zum Studium ins Ausland – aber garantieren kann man das nicht.“

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„Ein bisschen erinnert die Szenerie an einen jener Jugendherbergsausflüge, deren Zeit so schön war.“

Nach seinem ersten Eindruck gefragt, antwortet der aufgeschlossene Ukrainer Lev: „Ich dachte, ich wäre in Russland“. Olga aus Usbekistan war auch alles andere als begeistert: „Schlimm war es. Alles war dreckig und siffig“. Aber das habe sich in der Zwischenzeit gebessert. Es gibt nun Abspültische aus Edelstahl, laut Studentenwerk außerdem neue Duschvorhänge, Öfen und Kühlschränke und es wurden Malerarbeiten durchgeführt. Am Gesamteindruck ändert das freilich nur wenig. Wir sind beeindruckt, wie offen und freundlich uns viele Bewohner begegnen. Das dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass ihnen daran gelegen zu sein scheint, dass auch andere Menschen von den Umständen erfahren.

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„Über ein Dutzend Studenten aus Bulgarien, Vietnam, der Ukraine, Serbien, China, dem Sudan und dem Jemen sitzen essend und lachend um den kleinen Pressspantisch.“

Das Bild einer Multikulti-Kuschelgemeinschaft, welches der letztjährige Artikel zeichnete, kann mit Blick auf die verlassenen und ungemütlichen Gemeinschaftsräume nicht bestätigt werden. Es gibt hier und dort kleine Grüppchen und Kontakte, doch meist wird mehr nebeneinander her als miteinander gelebt und die verschiedenen Nationalitäten bleiben unter sich. Ein typisches Beispiel für die Kommunikation untereinander gibt der Ukrainer Lev mit einem Fingerzeig auf den kleinen, fein säuberlich beschriebenen Zettel am Herd, der auf Englisch dazu auffordert, etwaige Flecken doch bitte sofort zu entfernen. Obwohl die Gemeinschaftsküchen auf jeder Etage förmlich dazu auffordern, miteinander ins Gespräch zu kommen, scheint die „Zettellösung“ bevorzugt zu werden. Gerade die große Gruppe der Chinesen wird von praktisch allen anderen Bewohnern mit einer Mischung aus Argwohn und Desinteresse betrachtet. Chen und Wang, mit denen wir uns kurz unterhalten, ist deutlich anzumerken, dass eine allzu große Öffnung nach außen von den chinesischen Studenten in Jena vermieden wird.

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„Mit der Zeit gewöhne man sich selbst an die nicht vorhandenen Internetanschlüsse.“

Einstimmig erzählen uns alle Bewohner, dass der seit Anfang Mai installierte Internetzugang eine wirkliche Bereicherung sei – das Fenster zur Welt sei endlich offen. Eine Maßnahme des Studentenwerkes, die längst überfällig war und jetzt auch eine Ausstattung bietet, die andernorts längst selbstverständlich ist.

„2012, so heißt es beim Studentenwerk, solle das Wohnheim spätestens geschlossen werden und bis dahin seien ‚keine weiteren Investitionen vorgesehen‘.“

Von einer Schließung im nächsten Jahr war weder vom Studentenwerk, noch von den aktuellen Bewohnern etwas zu hören. Elke Voss sagt ob der Zukunft der Naumburger Straße etwas nebulös: „Studenten wollen in der Innenstadt wohnen, so wird uns das häufig kommuniziert. Wir bauen ja jetzt auch neue Wohnheime in der Innenstadt, auf der Clara-Zetkin-Straße, in der Nähe der Fachhochschule für FH-Studenten und es gibt auch einen Bauantrag für ein Wohnheim auf dem Friesweg.“
Wie bei so manchen Dingen in Jena gilt auch für das Wohnheim in der Naumburger Straße: Es ist vielleicht nicht die Hölle auf Erden, aber auch weit entfernt vom Studentenparadies. Wohnraumnot und Sachzwänge machen es zu einem notwendigen Übel und sollten auch weiterhin dafür sorgen, dass die Diskussionen darüber nicht abreißen.

(* Name geändert)

flur

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