Mentale Erste Hilfe

 

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Was kann man tun, wenn man in eine seelische Krise gerät? Welche Anlaufstellen gibt es? Und wie kann ich als Laie jemandem helfen, aus dieser Situation herauszufinden? Bei der CampusCouch können Jenaer Studenten bei Problemen niedrigschwellige Gesprächsangebote nutzen, bevor sie professionelle Hilfe heranziehen.

von Miriam

Nur ein Teil der von psychischen Problemen betroffenen Personen sucht sich auch tatsächlich professionelle Hilfe – zu groß sind die Hemmschwellen, die den Gang zum Psychologen erschweren. Nicht nur Vorurteile und Ängste halten betroffene Personen davon ab, eine Sitzung beim Psychologen oder Therapeuten zu vereinbaren, sondern auch die langen Wartelisten, denn bis zu einem Termin vergehen oft mehrere Monate. Praxen, bei denen man schneller einen Termin bekommt, werden oftmals nicht von der Krankenkasse unterstützt und können somit teuer werden. Was nur wenige Menschen wissen: Es gibt heutzutage einige Erstanlaufstellen, bei denen man schnell und unkompliziert Hilfe erhalten kann. „„Es ist nicht immer gleich notwendig, über Monate oder Jahre eine Psychotherapie zu machen. Man kann Themen in wenigen Sitzungen große Schritte voranbringen, auch, wenn der Problemberg zunächst riesengroß zu sein scheint.“, erklärt Susanne Pester, Therapeutin aus Jena, den Nutzen solcher Angebote. „Nach näherem Hinschauen, Sortieren und Gesehen Werden, können Klarheit und eine Perspektive entstehen, die den Berg deutlich übersichtlicher erscheinen lassen.“ Gerade für Außenstehende ist es schwer zu erkennen, wie groß der Leidensdruck einer Person wirklich ist. Deshalb ist es immer gerechtfertigt sich Hilfe zu suchen, sobald man das Gefühl hat sie zu brauchen, selbst wenn die Probleme von außen unbedeutend scheinen.

Bei psychischen Problemen bieten die meisten Universitäten Hilfsangebote für ihre Studenten an. An Thüringer Hochschulen gibt es zum Beispiel die psychosoziale Beratung des Studierendenwerkes, bei der man unverbindlich Hilfe erhalten kann. Daneben existiert in Jena seit 2010 ebenfalls ein studentisches Angebot – von Studenten für Studenten: Die CampusCouch stellt eine unkomplizierte und für jeden erreichbare Möglichkeit dar, mit jemandem auf Augenhöhe über die eigenen Probleme zu sprechen. Der Student mit Gesprächsbedarf trifft die Psychologie- und Erziehungswissenschaftsstudenten an einem neutralen Ort und schildert sein Problem. Prinzip der Gesprächsführung ist Carl Rogers klientenzentrierte Gesprächstherapie: „Man stellt keine Fragen, höchstens zur Klarstellung von Dingen, die man als Zuhörer nicht direkt auf Anhieb verstanden hat. Man gibt keine Richtung im Gespräch vor, die sollte der Klient selbst geben. Der Zuhörer fasst nur zusammen und spiegelt die Gefühle des Sprechers. Man hält sich sehr zurück und hört die meiste Zeit zu“, so CampusCouch-Mitglied Theresa. Dadurch soll dem Hilfesuchenden ermöglicht werden, Erkenntnisse über seine Gefühle zu erlangen und eventuell eine andere Sichtweise auf die eigenen Probleme zu erhalten. Diagnosen gestellt oder Lösungsansätze geboten werden bei der CampusCouch keine – könnten sie auch gar nicht, da die Mitglieder selbst Studenten und somit noch nicht dafür qualifiziert sind. Damit erst gar nicht die Gefahr entsteht, dass therapiert wird oder eine persönliche Bindung zwischen den Gesprächspartnern entsteht, findet meist nur ein Treffen pro Klient statt. Besteht danach der ausdrückliche Wunsch nach einem zweiten Gespräch, wird dieses von einem anderen Teilnehmer der CampusCouch geführt.

Theresa gefällt die Mitarbeit bei der CampusCouch so gut, weil sie gleichzeitig Studenten helfen und praktische Erfahrungen für ihre berufliche Zukunft sammeln kann. Die Chance, ein Gespräch selbst zu führen hatte sie bis jetzt allerdings erst einmal – vorher ist es verpflichtend, an mehreren Workshops teilzunehmen, die das Team der CampusCouch anbietet. Themen sind zum Beispiel die klientenzentrierte Gesprächsführung von Rogers oder systemische Beratung. Praktisch angewandt werden diese Konzepte dann in Übungen, bei denen die Teilnehmer Erfahrungen jeweils in der Rolle des Klienten und der des Beraters sammeln. An den Workshops kann jeder teilnehmen, der sich dafür interessiert, denn die Themen sind nicht nur für Psychologiestudenten von Interesse.

Wie man sich richtig verhält, wenn jemand im persönlichen Umfeld unter psychischen Problemen leidet, kann man lernen. In Australien entstand 2000 die Mental Health First Aid (MHFA) mit dem Ziel, Menschen dafür zu sensibilisieren. Die Non-Profit-Organisation entwickelte, analog zu traditionellen Erste-Hilfe-Kursen, spezielle Kurse für Ersthilfe bei psychischen Belastungen. „Unser Hauptziel ist eine Gemeinschaft, in der jedermann die Erste Hilfe Kenntnisse hat, um Menschen mit seelischen Gesundheitsproblemen zu unterstützen. Wir wollen dies erreichen, indem wir qualitativ hochwertige, wissenschaftlich basierte Kenntnisse über psychische Erste Hilfe für jeden bereitstellen“, erklärt Nataly Bovopoulos, CEO des Unternehmens. Genau wie bei traditioneller Erste Hilfe geht es darum, einem Menschen so lange beizustehen, bis professionelle Hilfe übernimmt oder die kritische Situation vorbei ist. In den Kursen und E-Learning-Optionen für Jugendliche und Erwachsene wird Wissen darüber vermittelt, wie die Symptome und Anzeichen psychischer Probleme aussehen können, welche Ursachen und Risikofaktoren möglich sind und welche Behandlungsoptionen es gibt. Die Teilnehmer sollen darüber hinaus lernen, wie man jemanden mit psychischen Problemen unterstützen kann und wie man in einer akuten Krisensituation richtig handelt, beispielsweise bei einer Panikattacke, einem Selbstmordversuch oder einer Überdosis.

Inzwischen existieren mehrere Evaluationsstudien verschiedener Organisationen, die den Erfolg der MHFA belegen: Teilnehmer des Programms verfügen über mehr Wissen zu psychischen Störungen und deren Behandlungen, sie kennen angemessene Hilfestrategien und sind selbstbewusster in der Leistung von mentaler Erste Hilfe. Manche Studien belegten sogar eine Verbesserung der mentalen Gesundheit und weniger stigmatisierendes Denken unter den Teilnehmern. Eine Studie, die den Erfolg von angewandten psychischen Erste-Hilfe-Leistungen untersucht, läuft noch. Die allgemeine Resonanz des australischen Programms ist aber bereits sehr positiv: Auch wenn das Programm in Deutschland bisher noch nicht angekommen ist, haben 24 andere Länder es bereits übernommen. Über ihre Wünsche für die Zukunft sagt Nataly Bovopoulos: „Wir hoffen, dass MHFA zu einer verpflichtenden Qualifikation für bestimmte Berufe und Rollen wird, so wie traditionelle Erste Hilfe es ist.“

Denn eine falsche Behandlung kann bei psychischen Problemen ebenso schädlich sein wie bei körperlichen. Susanne Pester sieht allerdings nicht nur Vorteile in niedrigschwelligen Angeboten wie MHFA oder CampusCouch: „Es kann dazu verleiten, zu therapeutisieren. Deshalb ist es wichtig, dass es Bestandteil von Kursen wie MHFA ist, zu lernen wie man dies vermeidet. Sonst kann es schnell dazu kommen, dass der Gegenübersitzende zu sehr drängt oder Ratschläge gibt.“ So lange man dies berücksichtigt, hält sie Möglichkeiten wie die CampusCouch oder die MHFA aber für sehr sinnvoll:.  „Eigentlich ist es für jeden hilfreich, einfach mal erzählen zu können ohne dass jemand anderes bewertet, eine Diagnose gibt oder verurteilt.“

Unter der Telefonnummer +49 (0)800 111 0 111 und +49 (0)800 111 0 222 kann man rund um die Uhr anonym und kostenlos mit Mitarbeitern der Telefonseelsorge sprechen.

Die CampusCouch ist erreichbar unter: campuscouch@gmail.com

 


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