memorique: Elefanten im Raum

Nazareth, deutscher Soldatenfriedhof des Ersten Weltkrieges (Foto: Silvester Tamas)
Nazareth, deutscher Soldatenfriedhof des Ersten Weltkrieges (Foto: Silvester Tamas)

„Deutsche/s in Palästina und Israel“: Jenaer Studenten und Doktoranden erleben im Nahen Osten die Allgegenwärtigkeit von Geschichte und die innere Zerrissenheit eines Landes, die ihnen vorher nicht bewusst war.

Wir sind in Israel, genauer in Nazareth und besichtigen einen deutschen Soldatenfriedhof des Ersten Weltkrieges. Dessen zugehöriges Denkmal mit wuchtiger NS-Architektur und in Eichenholz geschnitzten Reliefs wurde 1935 errichtet. Der deutsche Hobby-Historiker Norbert Schwacke, der uns diesen Ort zeigen soll, redet über die Schicksale der Soldaten; die Architektur und deren Hintergrund erläutert er kaum. Er spricht überwiegend deutsch mit uns, obwohl er Englisch kann, israelische Studenten neben ihm stehen und wir ihn mehrfach bitten, englisch oder auch hebräisch zu sprechen. Wir müssen uns der Besonderheit dieses Ortes erst bewusst werden: In der arabisch-christlichen Stadt Nazareth stehen wir auf einem – bis heute von der deutschen Kriegsgräberfürsorge gepflegten – Friedhof mit monumental-nationalsozialistischer Architektur. Deutsche Soldaten in Palästina? NS-Bauten in Israel? Die Verwirrung ist, wie so oft auf unserer Reise, perfekt.
Für die meisten von uns war die zehntägige Summer School die erste Reise nach Israel. Wir traten sie am 3. September 2012 trotz Vorbereitung mit nur vagen Vorstellungen von Israel an. Wir dachten an soziale Proteste, biblische Geschichten, den Nahostkonflikt und Jeckes. Im Gepäck die unterschiedlichsten Erwartungen. Neben der Repräsentation von Geschichte in Israel wollten wir das Land, die Leute und die zugrunde liegenden Konflikte besser verstehen. So wie die meisten von uns zuvor nie in Israel gewesen waren, hatten wir bis dato auch kaum Kontakt zu Israelis gehabt.

Ein Gastbeitrag der deutschen Teilnehmern der Weimar Summer School 2012

Die Weimar Summer School fand, nach 2009 und 2011 in Weimar, nun erstmals in Israel statt. Sie ist ein gemeinsames Projekt des Minerva-Instituts für deutsche Geschichte an der Universität Tel Aviv, des Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts, des Historischen Instituts der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und wird durch das Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur gefördert.

Sieben deutsche Studenten und Doktoranden nahmen an der Weimar Summer School teil und reisten nach Israel, um dort mit sieben israelischen Studenten den deutschen Spuren in Israel und (dem historischen) Palästina nachzugehen. Wir hörten wissenschaftliche Vorträge zum Bauhaus, rassischem Denken, Sexualwissenschaft, und zu Kochbüchern, die eingewanderten Juden deutsches Essen mit lokalen Produkten ermöglichen sollten. Wir hatten thematische Führungen durch das Jerusalem abseits der mit Touristen überlaufenen Altstadt, durch „deutsche“ Kirchen sowie durch Museen, darunter die Gedenkstätte Yad Vashem. Kernpunkt und Ziel dieser Reise war es, ein besseres Verständnis für die Repräsentation von deutscher und deutsch-jüdischer Geschichte in Israel zu bekommen. Doch es standen auch bald ganz andere Themen auf der Tagesordnung.

Jeckes in Nahariya
Wir begannen unseren Aufenthalt in Nahariya, einer kleinen Stadt im Norden Israels, gegründet von deutschstämmigen Juden, die ab Anfang der 1930er Jahre nach Palästina einwanderten, den sogenannten Jeckes. Zwei Tage später besuchten wir das im galiläischen Bergland versteckte German Speaking Jewry Heritage Museum im Tefen Industrial Park. Es widmet sich hauptsächlich der Einwanderungsgeschichte der Jeckes. Auf der einen Seite war da das nationalsozialistische Deutschland, das Juden verfolgte und ermordete. Auf der anderen Seite diese scheinbar paradoxe Sehnsucht nach gemeinsamer deutscher Kultur, Sprache, und Traditionen. Dieses Nebeneinander machte auf eindrückliche Art und Weise deutlich, wie schwierig es für die Jeckes gewesen sein muss, ihre Heimat zurückzulassen. Uns wurde jedoch schnell klar, dass hier eine reine Erfolgsgeschichte der Jeckes präsentiert wurde. Der Beitrag der deutsch-jüdischen Einwanderer zur Gründung und zum Aufbau des Staates Israels wurde auf irritierende Weise überhöht.
Intensive Gruppendiskussionen waren nötig, um dem Narrativ nicht zu erliegen. Schließlich wurde der Staat Israel nicht nur von Jeckes, sondern auch von anderen europäischen sowie arabischen und afrikanischen Juden aufgebaut. Die Würdigung des Beitrages dieser und der dort bereits lebenden arabischen Bevölkerung blieb im Museum hingegen völlig aus. Dies sollte nicht das einzige Beispiel dafür bleiben, welche Herausforderungen diese Reise mit sich brachte. So war uns auch nicht bewusst, dass deutsche Soldaten im Ersten Weltkrieg aufseiten des Osmanischen Reichs in Palästina kämpften und dort begraben wurden. Die Nazis nutzten diesen Umstand, um im britisch besetzten Gebiet ein Symbol deutschen Herrschaftsanspruchs zu inszenieren. Wir mussten uns eingestehen, über manche Sachen einfach noch nicht nachgedacht zu haben.

Allgegenwärtig: die Shoa
Die Weiterfahrt nach Tel Aviv hielt ein neues Bild für uns bereit, bot die Stadt doch einen klaren Kontrast zu den Tagen zuvor – jung, urban, säkular. Die Metropole reizt mit ihrer Mischung aus modernen Gebäuden, Strand, Sonne und ihrer leicht heruntergekommenen Bauhaus-Architektur.
Während unseres gesamten Aufenthalts in Israel gab es zwei Themen, die stets präsent waren, jedoch selten direkt angespochen wurden: die Shoah und der israelisch-palästinensische Konflikt. Im Nachhinein bezeichneten wir sie als die „Elefanten im Raum“. Der erste wurde unübersehbar, als wir zusammen den Film Die Wohnung in der Universität Tel Aviv sahen und danach ein Gespräch mit dem Regisseur Arnon Goldfinger führten. Der Film thematisiert die Freundschaft, die Goldfingers Großeltern über den Nationalsozialismus hinaus mit einem Nazi-Ehepaar unterhielten. Die Geschichte der geflohenen Juden und dem mit dem Zionismus sympathisierenden SS-Offizier und Eichmann-Vorgänger von Mildenstein warf für uns neue Fragen auf. Da saßen nun sieben Deutsche und sieben Israelis in einem Raum, seltsam hilflos angesichts unserer eigenen Geschichten und Identitäten. Wir führten viele emotionale Gespräche miteinander – sei es an der Universität in großer Runde, oder im kleinen Kreis, beim Ausgehen, beim Essen, im Hotel. Nicht nur einander, sondern auch uns selbst wollten wir damit besser verstehen.

Seltsam unfassbar
Der zweite Elefant wurde deutlich, als wir unsere letzte Station, Jerusalem, erreichten und zusammen mit der NGO Ir Amim eine Führung entlang der israelischen Grenzanlagen unternahmen. Auch hier blieb das Gefühl, dass manche Dinge für uns seltsam unfassbar waren. Man stand vor der Mauer und konnte sich kaum vorstellen, wie es für die Palästinenser sein muss, Tag für Tag mit dieser Einschränkung und Repression zu leben. Gleichzeitig beschlich uns wieder eine Hilflosigkeit, wenn die Israelis den Konflikt im eigenen Land diskutierten und dabei unterschiedliche Positionen zum Vorschein kamen. Wie geht man als Außenstehender, der im sicheren Thüringen lebt und den Konflikt hauptsächlich aus Nachrichten kennt, mit dieser Situation um? Sollte man Partei ergreifen, und wenn ja, für wen?
Rückblickend erscheint uns die Erwartung, das Land mit einem zehntägigen Aufenthalt im Rahmen dieser Summer School begreifen zu wollen, als geradezu naiv. Und dennoch: Der intensive, freundschaftliche, interkulturelle Austausch sowie die vielschichtige wissenschaftliche Betrachtung der Repräsentationen deutscher Spuren in Israel/Palästina ermöglichte uns, die Widersprüchlichkeiten, Besonderheiten und die Komplexität eines Landes wie Israel und seiner Beziehungen zu Deutschland kennen zu lernen. Dies ist die wichtigste Erkenntnis, die wir von unserer Reise mitgenommen haben. Waren wir mit einem vagen, doch für uns vermeintlich eindeutigen – und wohl auch verklärten – Bild von Israel und seiner Politik ins Land gereist, so mussten wir feststellen: Einfache Antworten gibt es nicht.

Jerusalem, deutscher Reichsadler vor der Himmelfahrtskirche auf dem Ölberg (Foto: Silvester Tamas)
Jerusalem, deutscher Reichsadler vor der Himmelfahrtskirche auf dem Ölberg (Foto: Silvester Tamas)

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