Lost in Translation

(Foto: Nathan Rupert)
(Foto: Nathan Rupert)

Dolmetscher – ein anspruchsvoller und spannender Beruf? Mag sein, solange man sich von der Politik fern hält. Erfahrungen aus dem Studium und der Praxis des Dolmetschens im russischen Perm.

von Anja

Um die Welt reisen, Kontakte zu interessanten Persönlichkeiten knüpfen und anderen bei der Verständigung helfen – die Arbeit als Dolmetscher hat anscheinend nur Vorteile, dachte ich, als ich mich für dieses Studienfach entschied. Obwohl wir kein Simultan-Dolmetschen studiert hatten und einige Professoren sich bei ihren Vorlesungen an uralten Notizzetteln orientierten, hat uns das Studium viel gebracht. Dolmetschen ist in erster Linie eine Übungssache, die wir gut trainiert haben. Eigentlich hatte ich auch Spaß dabei, nur eines hat bei mir bereits am Anfang einige Bedenken geweckt: Ich fand es zugleich frustrierend und beleidigend, dass der Papagei als Symbol der Dolmetscher gilt. Mit diesem Vogel assoziierte ich jemanden, der nicht im Stande ist, eine eigene Meinung zu bilden, sondern nur die Aussagen der anderen unreflektiert wiederholt. Naiv verdrängte ich die unangenehmen Gedanken und hoffte, dass die Realität doch ganz anders aussehen würde.
Einige Praktikumsstellen wurden direkt von der Universität angeboten, aber ich entschied mich für eine selbstständige Suche. Ich hatte Glück: Das Kulturbüro des Goethe-Instituts in Russland benötigte gerade einen Dolmetscher. Das war zweifellos der unberechenbarste Job, den ich je hatte: Ich wusste nie genau, was in der Zusammenarbeit mit ausländischen Gästen aus dem Kunst- und Kulturbereich auf mich zukommen würde. Ich konnte nie vorhersagen, ob ich die richtigen Worte finden würde, denn jedes Mal ging es um etwas anderes: gestern ein Vortrag über elektronische Musik, heute ein Workshop über Ausdruckstanz, morgen der Auftritt einer Jazz-Band. In zwei Jahren beruflicher Erfahrung lernte ich viele Musiker, Dichter und Tänzer kennen; alles wunderbare und erfolgreiche Menschen, mit denen ich sonst nie ins Gespräch gekommen wäre. Solche Erlebnisse, etwa wenn man selbst auf einer Bühne steht und ein Konzert co-moderiert, lassen den Adrenalin-Spiegel im Blut in die Höhe schießen. Jede Minute war dabei die Anstrengung wert.
Später wurde mir von meiner Universität angeboten, mich in Richtung Politik zu orientieren und Delegationen von Abgeordneten zu begleiten. Als Dolmetscher war ich überall dabei: während der Verhandlungen, bei Podiumsdiskussionen, Einzelgesprächen wie auch bei Banketts und informellen Saunabesuchen. Ich verfolgte wichtige Entscheidungsfindungen, das Aushandeln von Einzelheiten der Finanzierung oder der Zusammenarbeit. Man ist so nahe am Geschehen und die Versuchung, den Inhalt zu beeinflussen, ist enorm groß. Ich war schockiert, wie klein man sich dabei fühlt. In der Politik sind Dolmetscher graue Mäuse, deren Äußeres und Gedanken unsichtbar bleiben. Sie sind keine Persönlichkeiten, sondern Werkzeuge, die zum Übertragen von Informationen genutzt werden, und falls der technische Fortschritt es jemals erlaubt, wird man sie wohl ersetzen.
Ein Dolmetscher ist der Schatten eines bekannten Politikers, sein Ohr und seine Stimme, wenn nötig. Mein innerer Konflikt war kaum auszuhalten: Ich konnte mich nicht damit abfinden, Aussagen zu dolmetschen, die ich persönlich für falsch hielt. Mein Gewissen machte mich fertig. Und als auf die Frage nach der Rentenhöhe ein russischer Politiker mit einem Lächeln „Die Pensionäre erhalten in Perm nur ein bisschen weniger Rente als in der Ruhregion“ erwiderte, wollte ich aufstehen und den Verhandlungsraum verlassen – für mich war es eine eindeutige und unverschämte Lüge. Damals bin ich geblieben. Danach aber bin ich aus dem Politikbereich ausgestiegen und nie wieder zurückgekehrt.

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