Kreativ abgeschottet

Passanten fotografieren den zeitweise eingemauerten Trump-Stern (Foto: © Plastic Jesus)

Von Frida Kahlo bis Donald Trump: 10 Kunstwerke über Isolation und Einmauerung

Frida Kahlo: Selbstbildnis auf der Grenze zwischen Mexiko und den USA (1932)
Das Gemälde Selbstbildnis auf der Grenze zwischen Mexiko und den USA zeigt die große mexikanische Künstlerin Frida Kahlo auf der Grenze zweier Welten: Zur linken Seite liegt Mexiko, dargestellt als Ruine einst blühender Mayakultur, zur rechten Seite die USA, als industrieller Moloch, nur noch bestehend aus Rohren, Fabriken und Hochhäusern. Kahlo selbst erscheint in für sie untypischer Verletzlichkeit auf der Grenze dieser Welten. Der Kontrast könnte nicht größer sein: Dem vergangenen Reichtum mexikanischer Kultur wird die finanzielle und wirtschaftliche Macht des nördlichen Nachbarn entgegengesetzt. Der Gegensatz verdeutlicht: Die Armut des einen ist der Reichtum des anderen; auf der Ohnmacht hier basiert die Macht dort. Kahlos Gemälde zeigt aber ebenfalls, dass so, wie die Macht der Maya vergänglich war, auch die Vormachtstellung der USA endlich ist – auch eine Mauer wird dies nicht ändern können.

Marlen Haushofer: Die Wand (Roman, 1963)
Eine Frau reist mit ihrer Cousine und deren Ehemann übers Wochenende zu einer Jagdhütte ins Gebirge. Das Ehepaar, das abends noch eine Gaststätte im Tal aufsucht, ist am Morgen nicht zurückgekehrt. Auf der Suche nach ihnen stößt die Protagonistin auf eine ebenso unsichtbare, wie unüberwindbare Wand, die sie von der Außenwelt abschirmt. Es ist ein beklemmendes, aufwühlend intensives Buch, eine radikale Zivilisationskritik und zugleich Metapher für die Einsamkeit des Menschen als Gefangener im eigenen Ich. Ein moderner, weiblicher Robinson, die als Gefährten keinen Freitag, sondern den Hund der Cousine und die Tiere der Alm für sich entdeckt. Marlen Haushofers Roman von 1963 zeichnet mit präziser Sprache eine Protagonistin, die zwischen Aufbegehren und der Akzeptanz ihres Ausschlusses aus der Gesellschaft schwankt.

Paul Auster: Die Musik des Zufalls (Roman, 1990)
Die beiden Aussteiger-Typen Nashe und Pozzi leben als wandernde Pokerspieler. Bei einer großen Runde gegen zwei exzentrische Millionäre verlieren sie nicht nur ihr ganzes Vermögen, sondern auch ihre Freiheit: Sie müssen ihre Wettschuld abarbeiten, indem sie im Villenpark der Gewinner eine riesige Mauer bauen. Während Pozzi in dieser Situation Fluchtpläne schmiedet, findet Nashe Frieden mit seinem Schicksal. Austers Roman Die Musik des Zufalls modernisiert den Sisyphos-Mythos für die USA der späten 1980er Jahre und wirkt dabei trotzdem archaisch und zeitlos. Die Mauer, die gebaut wird, ist ohne Funktion, quasi sinnlos – nur ein Vorwand, um zwei Figuren ihrem ohnehin schon abseitigen Leben zu entreißen? Oder doch ihrer wahren Bestimmung zukommen zu lassen? Vielleicht müssen wir uns den Mauerbauer Nashe als glücklichen Menschen vorstellen.

Streetart meets Trump-ism (Kunstaktion, 2016)
Warum Mexikaner aussperren, wenn es so viel einfacher wäre, Donald Trump einzusperren? Dieser Prämisse folgend errichtete der Streetart-Künstler Plastic Jesus am Tag der Nominierung Trumps zum republikanischen Präsidentschaftskandidaten seine eigene Mauer: 15 Zentimeter Beton schützten einige Stunden lang den Walk-of-Fame-Stern des späteren Präsidenten vor illegalen Ein- und Draufwanderern. Und ganz wie man sich die echte Mauer vorstellt, war auch ihr kleines Pendant gespickt mit Stacheldraht, US-Flaggen sowie winzigen „Keep Out“-Schildern auf Englisch und Spanisch. Der entscheidende Unterschied liegt in der Finanzierung: „I built and paid for the wall myself. No Mexican money“, twitterte der Künstler. Wie dringend der Stern den Schutz nötig hatte, zeigte sich drei Monate später: Ein Mann zerstörte ihn – nach eigenen Angaben um die von Trump sexuell belästigten Frauen zu unterstützen – mit einem Vorschlaghammer.

Halat hisar – State of Siege (Live Action Rollplay, 2013)
Abschottung und Angst einmal in sicherem Umfeld selbst ausprobieren – was zunächst absurd klingt, konnten im November 2013 einige internationale Rollenspieler erleben: Das Live Action Rollplay (LARP) Halat hisar – State of Siege erschuf mitten in Finnland ein zweites besetztes Palästina. Dabei lag der Fokus der Geschichten, die die verschiedenen Charaktere durchlebten, nicht auf dem bewaffneten Konflikt, sondern auf dem Alltagsleben der Zivilisten: Die 70 Mitspieler aus Finnland, Palästina und einigen weiteren Ländern wurden für 24 Stunden zu Dozenten und Studenten einer Universität mit all deren Beziehungen und Problemen. Insbesondere für die palästinischen Teilnehmer stellte das Spiel eine besondere Erfahrung dar: „For me, the game was a mirror of what my life seemed like looking from far away“, erzählte einer von ihnen den Organisatoren im Interview. Halat hisar zeigt die Abnormität des Lebens in einer Besatzungszone – und dass LARP weitaus mehr sein kann, als bunter Fantasy-Eskapismus für Nerds.

Über Grenzen (Fotoprojekt von OSTKREUZ – Agentur der Fotografen, 2012/2013)
Mit dem Thema „Grenzen“ setzten sich 18 Fotografen der Agentur OSTKREUZ auseinander. In rund 200 Farb- und Schwarzweiß-Aufnahmen eröffnen sie unterschiedliche Blickwinkel auf sichtbare und unsichtbare Grenzen und die Menschen, die mit ihnen konfrontiert sind und durch sie geprägt werden. Die Bandbreite reicht von politischen Grenzen und faktischen Mauern, wie sie durch die europäische Grenzschutzagentur Frontex überwacht werden oder nach wie vor das Stadtbild der nordirischen Stadt Belfast prägen, bis hin zu unsichtbaren Grenzen und gesellschaftlicher Exklusion, wie sie Aufnahmen aus einem Kinderheim in Bulgarien oder der Lebensumstände der Sinti und Roma vermitteln. Dabei machen sie sowohl auf die Probleme von Grenzziehungen als auch auf ihre Überwindbarkeit aufmerksam.

Swingtime (Spielfilm, 2006)
Der Rauch amerikanischer Zigaretten füllt den Raum. Kartenspiel. Whiskey. An der Wand ein Bild von Harry S Truman. Der Jazzpianist Pavel glaubt, es fast geschafft zu haben. In Nacht und Nebel überquerte er mit einer kleinen Gruppe Entschlossener eine vermeintliche Staatsgrenze der Tschechoslowakei. Während die anderen in ein Formular mögliche Unterstützer im Kampf gegen den Kommunismus eintragen, legt Pavel seinen Hut ab. Es fehle hier nur noch ein Pianist, meint er zu den Männern in US-Uniform, und beginnt zu spielen. Noch weiß er nicht, dass die zuvorkommenden Herren für die tschechoslowakische Geheimpolizei arbeiten – und dass er und seine Begleiter die Tschechoslowakei nie verlassen haben. Zwischen 1949 und 1952 inszenierte die tschechoslowakische Geheimpolizei fiktive Grenzübergänge in die BRD. Weil die Flüchtlinge sich bereits im Ausland wähnten, belasteten sie sich selbst und andere. Für etwa 500 Menschen endete dies mit einer Haftstrafe, ohne dass sie von dem Täuschungsmanöver erfuhren.

David Benioff: Stadt der Diebe (Roman, 2008)
Stadt der Diebe ist ein historischer Roman über die Belagerung Leningrads im Zweiten Weltkrieg. Der 16-jährige Lew und der wenig ältere Kolja treffen 1942 in einer aussichtslosen Lage aufeinander: Als Plünderer und Deserteur haben sie Staatseigentum gestohlen und stehen somit eigentlich schon mit beiden Beinen im Grab. Als ein NKWD-Oberst die beiden Diebe ohne ihre Lebensmittelkarten freilässt, scheint ihr Todesurteil lediglich von Erschießung auf Verhungern abgeändert. Ihre letzte Chance: Binnen einer Woche für die Hochzeitstorte der Tochter des Obersts ein Dutzend Eier auftreiben. Schon bald müssen sie dafür nach einem Weg aus der Abschottung der hungernden Stadt suchen.

Szene aus dem Videospiel "1378 (km)"

Rübermachen (Brettspiel, 2009) / 1378 (km) (Videospiel, 2010)
Atze braucht starke Nerven – in dem Gesellschaftsspiel Rübermachen, erdacht von den Ostberlinern Max Dehne und Matthias Block, würfeln wir ihn nämlich möglichst unauffällig durch das geteilte Ost-Berlin der 1970er, um Utensilien für eine Republikflucht zusammen zu sammeln. Doch die Stasi ist Atze dicht auf den Fersen. Ob sein Fluchtversuch letztlich gelingt, entscheiden die Würfel. Ganz anders – nämlich digital – ist übrigens das Videospiel 1378 (km) angesiedelt, das 2010 durch die Medien ging: Man bewacht als DDR-Grenzer die innerdeutsche Grenze und schießt aus der Ego-Perspektive auf unbewaffnete „Republikflüchtlinge“. Das Spiel wurde kontrovers diskutiert. Angeblich wollte es lediglich der Aufklärung dienen – schließlich konnte man auch im „Team“ der „Republikflüchtlinge“ spielen…

Christo and Jeanne-Claude: Running Fence (1976) und The Wall (1999)
Eine der zahlreichen Kunstaktionen des umtriebigen Ehepaares war Running Fence, ein von Stahlpfosten und -seilen getragener, über fünf Meter hoher Zaun aus Stoffbahnen, der nahe San Francisco knapp 40 Kilometer durch die kalifornische Landschaft verlief. Aufwändige Planung und Bürokratie hatten die Umsetzung lange verzögert – unter anderem waren zahlreiche Anhörungen von Anliegern sowie ein 450-seitiger „Environmental Impact Report“ nötig gewesen. Von April bis September dauerten die Aufbauarbeiten; 200.000 Quadratmeter Nylongewebe und fast 150 Kilometer Stahlkabel wurden verbaut. Eine andere Barriere, nämlich eine Mauer aus Stahlfässern, zogen Christo und seine Ehefrau 1999 durch das Oberhausener Industriedenkmal Gasometer: The Wall hieß dieser 26 Meter hohe Raumteiler. Anfang dieses Jahres hatte übrigens der uruguayische Künstler Luis Camnitzer gefordert, anstelle von Trumps Grenzmauer zwischen Mexiko und den USA lieber eine Arbeit Christos zu errichten – die „Kreation einer neuen Version seines Running Fence, um die USA von Mexiko zu trennen“ forderte Camnitzer in einer Online-Petition.

Die Texte lieferten Annegret, David, Frank, Heide, Ladyna & Lara.


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