Erhabene Klänge zwischen Zappelphilipps und Großorchester

(Foto: Christiane Höhne)
(Foto: Christiane Höhne)

Von Beethoven bis Zimmermann: drei Konzerte zum Abschluss des diesjährigen Weimarer Kunstfestes.

von David

Mit Gustav Mahlers Erster Sinfonie endete am Sonntag das Kunstfest Weimar. Wer nach diesem langen und hochkomplexen Werk für Großorchester noch nicht genug hatte, konnte sich für lausige 65 Euro noch am Büffet der Abschlussfeier im Russischen Hof sättigen.

Wie jedes Jahr bietet das Kunstfest pèlerinages für knapp drei Wochen Musikveranstaltungen, Tanztheater, Diskussionen und Ausstellungen und inszeniert sich währenddessen als Höhepunkt der Hochkultur in der Klassikerstadt. Gerade bei den Konzerten erwies sich die Qualität der Aufführungen als durchwegs solide, zeigte aber auch manche Grenzen.

Das Konzert des Quartuor Diotima unter dem Motto „Zukunftsmusik“ am Dienstag, dem 4. September, war in mehrerlei Hinsicht ein Reinfall. Dass das französische Ensemble im Festsaal des Weimarer Stadtschlosses spielte, hat die üppigen Repräsentations-Ansprüche des Kunstfestes sicherlich voll und ganz befriedigt. Das ändert jedoch nichts daran, dass die Akustik höchst mittelmäßig und die Luft geradezu zum Schneiden war, mit einer Beleuchtung, die für eine ganze Messehalle gereicht hätte. Das alles zusammen hat die Rezeptionsfähigkeit für solche komplexe Werke wie Beethovens Vierzehntes Streichquartett nicht gerade erhöht. Die Aufführung von César Francks Klavierquintett, bei dem sich der Pianist Herbert Schuch dazu gesellte, artete gar in ein Wettbewerb zwischen Schuch und dem ersten Violonisten aus, wer ekstatischer, expressiver, affektierter und spektakulärer beim Spielen zappelt. Der Pianist gewann haushoch. Der Applaus war so frenetisch, dass sich die Frage stellt, inwiefern er der Aufführung der Musik oder der Theatralik der Aufführung galt. Denn gerade die Lautstärken-Feinjustierung schien unter der letzteren zu leiden.

Alte und Neue Musik im Gotteshaus

Das selbe Ensemble (ohne den affektierten Pianisten) legte hingegen drei Tage später, am Freitag, ein absolut makelloses Konzert in der Jakobskirche hin. Die Grundidee, einen Ort der Gottesanbetung zeitweilig in einen Ort der Musikanbetung umzuwandeln, erscheint besonders unter akustischem Gesichtspunkt überaus sinnvoll. Denn in einer Kirche ertönen musikalische Nuancen – und natürlich auch das Hüsteln der Mitzuhörer – sehr viel deutlicher. Nach einer sehr überzeugenden Aufführung eines frühen Streichquartetts von Schubert wagten sich die vier französischen Musiker erneut an eins der sperrigen späten Streichquartette Beethovens. Als „merkwürdiges Document seiner gewaltigen, aber bereits seltsam kranken Phantasie“ bezeichnete ein zeitgenössischer Musikkritiker Beethovens Große Fuge, die das Dreizehnte Streichquartett in der Urfassung als letzten Satz abgeschlossen hatte. Die später vom Werk separierte Fuge baut über Minuten eine sehr intensive Spannung auf, deren Auflösung der Komponist immer wieder verschleppt: ein frustrierendes und anspruchsvolles, letztlich aber lohnenswertes Musikerlebnis. Die Große Fuge wirkte daher auch sehr viel frischer, experimenteller und gewagter als die Auszüge aus Pierre Boulez’ Livre pour quartuor von 1948/49, mit denen der Abend begann. Gerade hier wurde deutlich, dass die Neue Musik – die im Grunde das enge Korsett traditioneller Komposition sprengen wollte – durchaus eigene Klischees schuf, wohingegen „alte“ Klassiker immer wieder positiv und im wörtlichen Sinne zu überraschen vermögen.

Die Händler im Tempel

Bernd Alois Zimmermanns Photoptosis von 1968 strafte Boulez bei der Eröffnung des Abschlusskonzerts Lüge. Die zu beeindruckenden crescendi geschichteten Klänge wurden zwischendurch von Zitaten aus Skrjabin-, Wagner-, Beethoven- und Bach-Werken unterbrochen, bevor sie sich zum Schluss wieder verdichteten. Es folgte ein Stück des französischen Impressionismus, das heute trotz seiner extremen formalistischen Strenge zu den beliebtesten Aufführungswerken auf internationalen Konzertbühnen gehört: Maurice Ravels Boléro. Die Staatskapelle Weimar unter der Leitung von Michael Broder spielte eine mitreißende Fassung dieses Klassikers und bekam auch einen entsprechenden Applaus. Die Person, die von diesem Stück naturgemäß am meisten strapaziert wird – der snare-drum-Spieler – bekam verdientermaßen eine extra Portion davon. Bei einer anschließenden kurzen Pause konnte man sich – wie bei jedem Konzert – an überteuerten Erfrischungen und Snacks laben und überteuerte Bücher und CDs bei einem Stand erwerben, der nicht ganz umsonst Assoziationen an die Händler im Tempel weckt.

„Die Sinfonie muss wie die Welt sein. Sie muss alles umfassen“, meinte einmal Gustav Mahler (1860-1911), dessen Werk zu Lebzeiten kontrovers aufgenommen und erst nach dem Zweiten Weltkrieg breiter rezipiert wurde. Seine Erste Sinfonie umfasst vielleicht nicht die ganze Welt, spielt jedoch im 2. und 3. Satz ausgiebig auf österreichische, französische und ostjüdische Volksmelodien an – in einigen bemerkenswerten Momenten sogar gleichzeitig. Welch großartiger Abschluss.

Der Rest sei Schweigen, oder…

Hörhinweis:

Das Abschlusskonzert des Kunstfestes mit Zimmermanns Photoptosis, Ravels Boléro und Mahlers Erster Sinfonie wurde von Deutschlandradio Kultur für eine Sendung am 14. September um 20.03 Uhr aufgenommen.

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