Kunst als Spurensuche

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Wie bei einem Blind Date treffe ich am Weimarer Bahnhof auf Christoph, den ich bis dahin nur vom Telefon kannte. Wir sprechen über (seine) Kunst – und Wildschweine.

von LuGr

Blind Date. So könnte man auch den künstlerischen Schöpfungsprozess bezeichnen. Wie dem Maler zu Beginn des Zeichnens eine leere Leinwand gegenübertritt, so dem Kupferstecher Christoph Schaffarzyk seine Metallplatten. Keine Linien sind vorgezeichnet, keine Skizzen aufgebracht, nur die eigenen Gedanken und Erfahrungen konstruieren eine Vorstellung dessen, was passieren wird. Das Werk entsteht im Eindruck von einem geplanten Motiv, dessen Ausdruck sich im Eingravieren niederschlägt. Es gibt nur eine Handvoll Künstler in Deutschland, ja Europa, die sich noch mit der Herstellung von Kupferstichen, diesem anstrengenden Metall-Bearbeitungsprozess, beschäftigen. Christoph, der 2004 seinen Abschluss an der Bauhaus-Uni gemacht und danach eine Ausbildung als Offset-Drucker abgeschlossen hat, scheut sich auch nicht davor, misslungene Kupferstiche zu entsorgen. Das unterscheide ihn von vielen seiner wenigen Kollegen, meint er. Da ist er kein Perfektionist, eher ein Hand-Werker im engsten Sinne.

Vermischung von Künsten steigert ihre Wahrnehmung
Der Kupferstecher ist dabei mit dem Widerstand des zu bearbeitenden Materials konfrontiert. Widerstand, der jene haptische Wahrnehmung betont, die in der modernen Gesellschaft zusehends verschwindet. Die Striche und Punkte auf der Kupferplatte bekommen Buchstabencharakter, reihen sich wie Zeichen aneinander, die erst Wörter, dann Sätze bilden und schließlich Geschichten erzählen: für Christoph „das grafische Äquivalent zur Sprache“. So gesehen, verwundert es auch nicht, dass Christoph den „Traum vom Gesamtkunstwerk“ – wenn es so etwas gibt – nur im Miteinander verschiedener Künste und verschiedener Sinneswahrnehmungen verwirklicht sieht. „Dabei soll auch die Unterscheidung zwischen Hoch- und Subkultur aufgelöst werden“, soll Street Art neben Malerei, klassische Musik neben Drum‘n‘Bass stehen. Eine Ausstellung im „geWERK“, einer alternativen Galerie in Erfurt, für die auch Christoph Ausstellungen organisiert und selbst dort ausstellt, zeigte dies am Beispiel von Wildschweinen auf: Neben einem Exponat aus dem Naturkundemuseum waren Tafeln und ein Kupferstich mit Borstenmotiv zu sehen; ein Wildschweinbraten wurde als Quasi-Performance zubereitet.

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(Grafik: © Christoph Schaffarzyk)

Dialog zwischen Künstler und Publikum
Tiere waren am Anfang auch Christophs bevorzugte Motive. Er malte sie, fotografierte sie, studierte sie. Doch um diese Motive zu verstehen, musste er sich ihnen nähern: Christoph ging immer wieder in die Wälder, sammelte Spuren und las sie. Schließlich verstand er das Verhalten der Tiere. Er merkte, wenn er zu nah kam und lernte durch das Studieren des Gegenübers auch etwas über sich selbst.
Inzwischen verschob sich der Schwerpunkt seines Schaffens zum menschlichen Portrait, zum Studieren einer Person in verschiedenen Kontexten: Der Moment, die erlebte Situation wird geteilt – das Publikum hat daran teil und gibt Feedback. Dieser Austausch, diese Lebendigkeit in der Kunst ist Christoph wichtig. Das Publikum wird bei ihm mit einbezogen, tritt ein in einen verständlichen Dialog, der in den anonym-sterilen Hallen der Museumskunst oft auf einen Monolog in rätselhafter Sprache beschränkt bleibt. Immer geht es dabei um die Kunst, die in einer entspannten, gemütlichen Runde mehr Interessenten anlockt und anregt als in einem förmlichen Rundgang im Elitemodus.
Ein kurzer Besuch noch in Christophs Atelier: Dort bestätigt sich der Eindruck, den er bis dahin auf mich machte: Pragmatisch, ein Hand-Werker eben, aber auch nachdenklich, reflektierend über sein Schaffen. Er ist jemand, der etwas zu sagen hat – und das auch politisch. Er hat den steileren Weg abseits des Mainstreams gewählt. Und er ist jemand, der die Spuren gefunden und gelesen hat, die andere noch nicht einmal gesucht haben.

Christoph Schaffarzyk (29) arbeitet als freischaffender Künstler und Kulturmanager in Weimar.

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