Kolumne: Nomen (non) est omen

Thomas Honegger, Professor für Anglistische Mediävistik an der FSU Jena, über die Vornamenwahl dies- und jenseits des Ärmelkanals.

Die Zeiten, in denen ein Kind automatisch den Namen seines (Groß-)Vaters oder seiner (Groß-)Mutter trug und in denen die Auswahl an Vornamen auch sonst begrenzt war, sind vorbei. Heute gilt der Vorname als Ausdruck der unverwechselbaren Individualität des Kindes – oder doch zumindest der persönlichen Vorlieben der Eltern – und wir schöpfen aus einem beinahe unbegrenzten Reservoir von möglichen Vornamen aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen und Epochen. In den USA, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, mit seinem stark multi-ethnischen und multi-kulturellen Hintergrund, ist in dieser Hinsicht beinahe alles möglich. Man kann sein Kind ‚Sequoia’ (heute vor allem als Bezeichnung des Küstenmammutbaums geläufig) nennen, weil es bei der Geburt ein großes Baby war, oder George Walker, weil bereits der Vater so hieß – was uns dann George W. Bush senior und junior beschert.
In England und Deutschland hält man sich in Sachen ‚Multikulturalität’ etwas mehr zurück. Zwar greift man auch hier vermehrt auf Namen aus benachbarten Kulturkreisen zurück – der keltische ‚Kevin’ ist wohl das berühmteste Beispiel –, insgesamt aber zeichnen sich in beiden Ländern die häufigsten Namen durch eine gewisse ‚interkulturelle Kompatibilität’ aus. Die in England beliebten Namen Oliver, Thomas, Jakob (Jack), Karl (Charles) oder Wilhelm (William) wie auch Emily, Jessica, Lily oder Olivia würden durchaus in ein deutsches Umfeld passen, erfreuen sich aber hierzulande einer weitaus geringeren Popularität. Der Unterschied in der Verbreitung von Namen wie Wilhelm/William, Karl/Charles oder Jakob/Jack ist nicht so sehr kultur- als generationenspezifisch. Während man in England ein größeres Kontinuum von Personen unterschiedlichen Alters mit diesen Namen findet, werden sie in Deutschland oftmals mit der Generation der Groß- oder Urgroßeltern in Verbindung gebracht – was sich natürlich mit jeder neuen Generation ändert: Die kleinen Bens von heute sind die Opas von morgen und die Stunde der Baby-Wilhelms rückt näher.
Der interkulturelle Kontakt ist auch verantwortlich für ‚statistische Ausreißer’. So stach die unterdessen 24-jährige Tochter Emma eines Kollegen mit ihrem Namen zeitlebens aus der Menge ihrer Altersgenossen heraus, ist heute aber als Nummer zwei der beliebtesten deutschen Namen plötzlich ‚topaktuell’. Dies hat sie nicht irgendwelchen hellseherischen Fähigkeiten ihrer Eltern zu verdanken, sondern der englischsprachigen Sozialisation ihrer Mutter – für die ‚Emma’ bereits 1988 ein populärer Kindername ohne ‚großelterliche’ Assoziationen war. Wie sich der Jungenname ‚Raven’ im deutschsprachigen Umfeld entwickeln wird (ein Klassenkamerad meiner 18-jährigen Patentochter in Zürich heißt so), steht in den Sternen. Peer Steinbrück hat zwar vor drei Jahren die Schweizer mit Indianern verglichen, die man mit der Kavallerie in Sachen Steuern zur Vernunft bringen muss, aber bisher haben sich ‚indianische Namen’ (wozu ich ‚Raven’ zählen würde) in der Schweiz nicht durchgesetzt.
Namen sollen durchaus die ‚Individualität’ des Kindes und die persönlichen Vorlieben der Eltern ausdrücken können, allerdings wäre darauf zu achten, dass sie gut klingen und einfach zu schreiben sind – und keine unliebsamen historischen Assoziationen wecken. Die allermeisten Eltern sowohl in England als auch in Deutschland scheinen diese einfachen Regeln zu beherzigen. So wurde mein (nicht ganz ernst gemeinter) Vorschlag, den Jungen einer Mitarbeiterin ‚Attila’ zu nennen nach eingehender Prüfung in deren Familienrat verworfen – trotz unbestreitbarer Individualität und perfekter klanglicher Harmonie mit dem Familiennamen.

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