Kolumne: Leichensäcke, öffentliche Aufbahrungen…

Traurige Gesichter sind bei beiden Formen des "public viewing" anzutreffen (Foto: Ute Köhler/ UK-Images)
Traurige Gesichter sind bei beiden Formen des "public viewing" anzutreffen (Foto: Ute Köhler/ UK-Images)

…und andere handliche Ausdrücke: Thomas Honegger, Professor für Anglistische Mediävistik an der FSU Jena, über die feinen Unterschiede zwischen Leichen- und Rucksäcken.

von Thomas Honegger

Das Deutsche und Englische können auf eine lange, wenn auch nicht immer harmonische gemeinsame Geschichte zurückblicken. Diese hat ihre Spuren vor allem im Wortschatz der beiden Sprachen hinterlassen. Die gemeinsamen Wurzeln im Westgermanischen sind verantwortlich für urverwandte Wortpaare (Kognaten) wie ‚Schwert’ – ‘sword’, ‚Schiff’ – ‘ship’, ‚See’ – ‘sea’ und auch ‚Hose’ – ‘hose’ oder ‚Knecht’ – ‘knight’. Alle diese Ausdrücke sind genuin germanischen Ursprungs und haben keine etymologisch verwandten Entsprechungen in den anderen indoeuropäischen Sprachen, wie dem Französischen, Spanischen, Italienischen, Walisischen etc. Das französische ‚épée’ ist ebenso weit entfernt vom ‚Schwert’ wie das ‚bateau’ vom ‚Schiff’ oder die ‚pantalons’ von den ‚Hosen’. Verwandtschaft schützt jedoch nicht vor Bedeutungsänderung. So sind die deutschen ‚Hosen’ zwar urverwandt mit der ‘hose’ – was im Englischen der (Garten-)Schlauch ist. Aber es braucht doch etwas philologische Fantasie, um zu erkennen, dass das urgermanische Kleidungsstück damals wie heute aus zwei miteinander verbundenen ‚Stoffschläuchen’ besteht. Und zu entdecken, wie sich das westgermanische ‚knehta-’, die Bezeichnung für ‚Knabe, Jüngling’, in den beiden Sprachen so unterschiedlich entwickelt hat, überlasse ich der Neugier der Leser.
Dieser ‚vererbte’ Grundstock gemeinsamer Wörter im Englischen und Deutschen wurde und wird durch Lehn- und Fremdwörter ergänzt. Der Anteil englischer Entlehnungen im Deutschen ist nicht zu übersehen, aber auch im Englischen finden wir zahlreiche Ausdrücke deutschen Ursprungs (kindergarden, gedankenexperiment, urschleim, doppelganger). Was das Englische bei aller Weltoffenheit jedoch nicht zu kennen scheint, sind ‚Pseudo-Entlehnungen’, die im Deutschen im Zuge einer fortschreitenden ‚Anglisierung’ immer häufiger auftauchen. Rudi Carrells ‚Showmaster’ und der unterdessen etwas in die Jahre gekommene ‚Dressman’ sind nebst ‚Oldtimer’, ‚Evergreen’ und ‚Handy’ altbekannte Schein-Anglizismen, die im Englischen entweder völlig unbekannt sind oder aber eine andere Bedeutung haben. ‚Evergreen’ zum Beispiel hat für den Engländer nichts mit Musik zu tun, sondern bezeichnet die Gattung der Immergrün-Gewächse selbst, bzw. kommt als Namensbestandteil immergrüner Pflanzen wie in ‘evergreen bugloss’ (Grüne Ochsenzunge) vor. Bemerkenswert ist dass auch frei erfundene Ausdrücke wie ‚Showmaster’ nach bekannten Mustern des Englischen gebildet werden und sich somit strukturell nicht von ‚echten’ englischen Wörtern wie ‘slavemaster, whoremaster, horsemaster’ unterscheiden.
Der Einfluss der Pseudo-Entlehnungen bleibt jedoch nicht einseitig auf das Deutsche beschränkt. In einer auch sprachlich globalisierten Welt gibt es gerade durch das Internet und die internationalen Organisationen eine Rückkopplung auf das Englische. Zwar wird sich ‘body bag’ (engl. für ‚Leichensack’) wohl nie der deutschen Bedeutung ‚Rucksack‘ annähern – zu stark sind die Bilder der in ‘body bags’ nach Hause transportierten Leichen der gefallenen US-Soldaten im öffentlichen Bewusstsein verankert. Aber schon bei ‘public viewing’ kann man den Einfluss der deutschen Pseudo-Entlehnung feststellen: So meint ‚public viewing’ im Englischen zwar immer noch primär die öffentliche Präsentation einer Sache oder einen Tag der offenen Tür und in den USA spezifisch die öffentliche Aufbahrung des Leichnams. Immer öfter jedoch findet man es auch in englischsprachigen Texten als Bezeichnung für das Rudelgucken. Nichtsdestotrotz würde ein im ‚Neudeutschen’ durchaus akzeptabler Satz wie „Die Security beschlagnahmte beim Public Viewing zahlreiche Body bags“ bei den meisten Engländern und Amerikanern Kopfschütteln auslösen.

Kommentare

Eine Antwort zu „Kolumne: Leichensäcke, öffentliche Aufbahrungen…“

  1. Avatar von Roland Weber
    Roland Weber

    Eigentlich schöner Artikel über „Pseudo-Anglizismen“ etc. Schade nur, dass der Autor ausgerechnet in einem Beitrag über Sprache ganz ernsthaft und anscheinend unbemerkt den Deppendeutsch-Ausdruck „nichtsdestotrotz“ benutzt, wie leider mittlerweile eine Unzahl von Journalisten

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