Kolumne: ‚Könnten Sie mir das bitte buchstabieren?’

Patrick Stewart hatte zu Beginn seiner Darstellung des Jean-Luc Picard Probleme, seine britischen Aussprachegewohnheiten fallen zu lassen und sprach alle Lieutenants mit ‚lef-tenant‘ an. (Foto: Evan Watson)

Über die Abwege englischer Sprachreformen schreibt Thomas Honegger, Professor für Anglistische Mediävistik an der FSU Jena.

‚Könnten Sie mir das bitte buchstabieren?’ Diese Aufforderung kennen die meisten von Auslandreisen – vor allem wenn es um den eigenen Namen geht, den man der freundlichen Mitarbeiterin an der Rezeption im Hotel oder der B&B-Besitzerin am Telefon mitteilen möchte. Sobald man den eigenen Sprachraum verlässt, gelten andere Ausspracheregeln und der deutsche Herr Koch (/kox/) wird in England meist zum Mr. Koch (/kot∫/). Das Englische zeichnet sich aber nicht einfach nur durch andere Regeln aus, sondern vor allem durch eine Rechtschreibung, die für den deutschen Geschmack sehr willkürlich scheint. So kann man bei unbekannten Wörtern oftmals nur einen ‚educated guess’ zu deren Aussprache wagen – wie etwa im Fall der berühmten Worcester Sauce, die gleich ausgesprochen wird wie der Nachname Bertram Woosters (beide: /wʊstə/).
Das George Bernard Shaw – fälschlich – zugeschriebene Beispiel für die Willkürlichkeit der Aussprache ist allerdings ein (konstruierter) Einzelfall. So soll ‚ghoti’ wie ‚fish’ ausgesprochen werden, denn gh ist /f/ wie in ‚tough’, o ist /i/ wie in ‚women’ und ti ist /∫/ wie in ‚nation’. Linguisten wissen vielleicht, dass gh am Wortanfang nie als /f/ ausgesprochen wird, und auch ti am Wortende nie als /∫/, aber da wohl 99 Prozent der Englischsprecher keine Linguisten sind, ist dies ein schwacher Trost und entkräftet das Argument nicht wirklich.
Nicht, dass es in der langen Geschichte der englischen Sprache an Rechtschreibreformern gemangelt hätte. Schon im 12. Jahrhundert hatte Orrm eine Orthographie entwickelt, welche die Vokallänge bzw. -kürze mit Hilfe der Verdoppelung des nachfolgenden Konsonanten anzeigte – was das moderne Englisch zumindest teilweise übernommen hat (siehe ‚dinner’ vs. ‚diner’ oder ‚holly’ vs. ‚holy’). Und im 16. Jahrhundert, als die Veränderungen in der Aussprache der langen Vokale durch den Great Vowel Shift einfach nicht mehr zu überhören waren, versuchte John Hart verschiedentlich, der neuen Lautung mit ebenso neuen Schriftzeichen gerecht zu werden. So würde zum Beispiel in seiner Orthographie das Pronomen der ersten Person nicht mehr als ‚I’ (bisher /i:/ ausgesprochen) dargestellt, sondern als ‚ei’ /ai/, was die tatsächliche Aussprache seit dem 15. Jahrhundert sicher genauer wiedergibt. Leider war seinen Bemühungen kein Erfolg beschert und auch seinen Nachfolgern (u.a. Noah Webster für das amerikanische Englisch) gelangen Vereinfachungen nur teilweise, sodass das Englische weitgehend seine mittelalterliche Schreibweise bewahrte.
Waren die Reformer gescheitert, so traten die Erklärer auf den Platz. Kürzlich hat David Crystal in seinem Spell It Out den Versuch unternommen, die Ehre der ‚englischen Aussprache’ gegen Anwürfe der Willkürlichkeit zu verteidigen. Dazu benötigt er über 300 Seiten, auf denen er in durchaus unterhaltsamer Weise versucht, dem Leser die Regelmäßigkeit der englischen Aussprache darzulegen und die Abweichungen historisch zu erklären. Warum wir im Englischen das französische Lehnwort ‚lieutenant’ als /lɛftɛnənt/ aussprechen, ist nur einem Phonetiker einsichtig – frühe Schreibweisen wie ‚lieftenant’ oder ‚lievetenant’ zeigten die Bemühung, die Schreibung der Aussprache anzupassen. Leider haben sich in diesem und vielen anderen Fällen die ‚Etymologisten’ durchgesetzt, die mit der ‚französisierenden’ (oder ‚latinisierenden‘ etc.) Schreibweise den Ursprung des Worts sichtbar machen möchten. Es sind eben arg viele Köche, die im Brei der englischen Sprache herumrühren – und so mag es nicht verwundern, dass David Crystal für die Verteidigung der ‚Regelhaftigkeit’ der Aussprache hunderte von Seiten braucht.
Dass die Engländer an der Geschichte der Orthographie ihrer Sprache brennend interessiert sind, zeigt sich nicht zuletzt dadurch, dass Crystals Buch auf der Bestsellerliste zeitweise vor 50 Shades of Grey lag – für einmal galt nicht ‚weird sex sells’ sondern ‚weird spelling sells’.

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