klassiquer: Der Mensch im Affen

Immer wieder nutzt die Kunst die unübersehbare Verwandtschaft zwischen Affen und Menschen, um unsere Gesellschaft einen satirischen oder mahnenden Spiegel vorzuhalten. Kaum ein Buch schafft dies so eindringlich wie Pierre Boules Planet der Affen.

von julibee

Planet der Affen aus dem Jahr 1968 hat Filmgeschichte geschrieben. Das liegt vor allem an dem exzellenten Drehbuch, den erstklassigen Schauspielern, den detailreichen Affen-Kostümen und grandiosen Zitaten wie „Take your stinking paws off me, you damn dirty ape!“ Doch wer hat sich die Geschichte ausgedacht, in der Affen als intelligente und gelehrte Spezies über Menschen herrschen, die des höheren Denkens und der Sprache nicht mächtig sind? Wer hat diese Affen auf die Jagd nach Menschen geschickt, um an ihnen Experimente durchführen, die an die Tierexperimente heutiger Wissenschaftler erinnern?
Als der französische Autor Pierre Boulle den Science-Fiction-Roman La planète des singes im Jahr 1963 veröffentlichte, war er bereits durch ein früheres Buch bekannt geworden: den 1952 erschienenen Kriegsroman Die Brücke am Kwai. Der gleichnamige Film gewann fünf Jahre später sieben Oscars, unter anderem für das beste Drehbuch (Pierre Boulle selbst). Das Drehbuch des Films weicht in einigen wichtigen Details von Boulles Romanvorlage ab: Es beginnt mit dem Absturz des Raumschiffs auf einem den Piloten unbekannten Planeten, auf dem sie schon bald mit primitiven Menschen sowie hochintelligenten und kriegerischen Affen konfrontiert werden.

Wo Affen über Menschen herrschen
Der Ausgangspunkt des Buches ist viel ruhiger, beinahe banal. Ein junges Paar, Jinn und Phyllis, unternimmt eine Weltraumreise und entdeckt eine Flaschenpost. In ihr finden die beiden die Geschichte eines Journalisten namens Ulysse Merou, der berichtet, wie er sich mit zwei Wissenschaftlern auf die Suche nach anderen bewohnbaren Planeten machte. Diesen finden sie im Sonnensystem Beteigeuze und auf ihm primitive Menschen, die sich verängstigt und aggressiv gegenüber den Kommunikationsversuchen der Besucher zeigen und sogar ein kleines zutrauliches Äffchen töten. Dieses Verhalten wird Merou schnell verständlich, nachdem er entdeckt, dass die Menschen von den ihnen überlegenen Affen zu Arbeits- und Forschungszwecken gejagt werden. Die Affen haben sich, je nach Art, auf  bestimmte Aufgabengebiete spezialisiert: Schimpansen sind Wissenschaftler, Gorillas sind Polizisten und Jäger, und Orang-Utans sind Aristokraten und Politiker, die die Einhaltung des Gesetzes und das Bestehen des Glaubens überwachen.
Wie der Astronaut Taylor im Film (dargestellt von Charlton Heston) wird auch Merou von seinen Kollegen getrennt und freundet sich mit einer jungen Menschenfrau an, die er Nova nennt. Mit einiger Mühe bringt er ihr das Sprechen bei. Zwei gelehrte Schimpansen kann er mit seinen Sprach- und Lernfähigkeiten überraschen und als Verbündete gewinnen. Doch das wissenschaftliche Wunder, das Merou vermeintlich darstellt, wird vor allem von den hohen Gelehrten und religiösen Anführern der hochentwickelten Primaten misstrauisch beobachtet und letztlich als Gefahr für die Affengesellschaft eingeschätzt – Merou soll ausgeschaltet werden. Was dies bedeutet, wird sowohl im Film als auch im Buch mehr als deutlich: An Taylors Kamerad wird eine Lobotomie durchgeführt, die ihn von einem sprechenden Menschen in einen stummen und stumpfen verwandelt; Merous hochintelligenter Kollege, Spezialist auf seinem Gebiet, wird mit primitiven Menschen in ein Gehege gesperrt und entwickelt sich auf deren Niveau zurück. Sowohl die gewaltbereite Polizei als auch die glaubensfixierte und starrsinnige Obrigkeit der Affengesellschaft sieht es als Pflicht zum Schutz der Affen an, den intelligenten Eindringling zu beseitigen. Letztlich gelingt Merou die Flucht mit der Hilfe der Wissenschaftler, die durch ihre Forschungen Zweifel  an der absoluten  Überlegenheit ihrer Rasse entwickelt haben.
Ein Schauer läuft Leser wie Zuschauer gleichermaßen über den Rücken, wenn ihnen klar wird, wie sehr das Verhalten der Primaten das der gegenwärtigen Menschen widerspiegelt. Die Missachtung einer anderen Rasse und deren Versklavung zu Experimentalzwecken schafft Parallelen zu unserer Gesellschaft. Die Diskriminierung der Affenrassen untereinander erinnert wiederum an die Vorurteile und die Rassentrennung unter Menschen, die sich gegenseitig als minderwertig ansehen und abschätzig auf Mitglieder anderer Ethnien und Glaubensgemeinschaften blicken.

Wenn Alpträume zur Realität werden
Dass Charlton Hestons Taylor am Ende des Films herausfindet, dass er sich nie von der Erde entfernt hat, und die angetroffenen Menschen seine Vorfahren sind, die sich in einem nuklearen Krieg selbst beinahe ausgelöscht haben, ist der große Höhepunkt des Films. Er spiegelt die Angst vor einem atomaren Krieg wider, die Mitte des 20. Jahrhunderts die Weltpolitik bestimmte. Im Buch schafft es Merou, mit Nova und ihrem jungen Sohn zur Erde zurückzureisen. Dort gelandet, werden die Astronauten von einer Erddelegation abgefangen: Sie besteht aus Gorillas. Merous schlimmster Albtraum ist damit wahr geworden: Auch auf der Erde haben sich die Menschen scheinbar zugunsten der Affen zurück gezogen. Er schafft es jedoch, mit seiner jungen Familie per Raumschiff zu entkommen.
Dies ist allerdings nicht die ultimative Auflösung des Romans. Nachdem Jinn und Phyllis die Flaschenpost gelesen haben, tun sie deren Inhalt als unmöglich ab: Nie im Leben könnte ein Mensch derartig Intelligentes schreiben, dessen sind sich die beiden Schimpansen sicher. Mit spielender Leichtigkeit schafft es Boulle, die Erwartungen des Lesers wieder und immer wieder auf den Kopf zu stellen, die vorhandenen Vorurteile wie einen Spiegel vor das Publikum zu halten und sie damit auf hintergründige und nachhaltige Art und Weise zu hinterfragen.

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert