Kaviar statt Bratwurst

Die Südtribüne in Dortmund (Foto: DORTMUNDtourismus)
Die Südtribüne in Dortmund (Foto: DORTMUNDtourismus)

Der internationale Fußball ist ein attraktives Geschäft geworden. Und ein Kampf zwischen Romantikern und Pragmatikern. Oder doch nicht?

von Chrime & Philipp

Als am Abend des 11. April 2012 das „Duell der Giganten“ zwischen Borussia Dortmund und Bayern München abgepfiffen wurde, war die Welt der Fans für ein paar Minuten zurückgekehrt zu den Anfängen der Fußball-Romantik in den 1960er Jahren. Emotionen und Leidenschaft vor, während und nach dem Spiel, eine unglaubliche Spannung, die sich förmlich greifen ließ und vor allem großer Sport. Es wurde gezittert, gebrüllt, gehasst und geliebt. Alles war so menschlich.
Mit dem Abstand einiger Tage aber weicht die Romantik wieder dem Pragmatismus. Es wird gerechnet: in Punkten, wenn es um die Bundesliga-Tabelle, in Euro, wenn es um die Werbeeinnahmen geht. Der Sieg der Dortmunder bedeutet nicht nur grenzenlose Freude bei ihren Anhängern und Trauer bei den Fans der Münchner, sondern verschafft den Siegern auch mögliche Millionen durch den Gewinn der Deutschen Meisterschaft. Zigtausende deutscher Fußball-Fans mussten sich in Kneipen eng zusammendrängen, um das Spiel im Pay-TV zu sehen. Rund um den Globus ist Fußball inzwischen nicht nur für Romantiker, sondern auch für Betriebswirte interessant. Das hat natürlich seine Geschichte.

Von Hirschen und Stahlbeton
Günter Mast zeichnet verantwortlich für den ersten Meilenstein in der deutschen Geschichte der Fußballvermarktung. Der damalige Geschäftsführer des Kräuterlikör-Giganten Jägermeister sorgte 1973 mit dem Logo seiner Firma auf den Jerseys von Fußball-Bundesligist Eintracht Braunschweig für den Beginn der Trikotwerbung. Ganz legal tat er dies aber nicht, denn offiziell war sie noch durch den Deutschen Fußball-Bund (DFB) verboten. Also machten die Braunschweiger kurzerhand den Jägermeister-Hirsch zu ihrem Vereinswappen und somit „legal“ auf den Lustigmacher aus der Flasche aufmerksam. In den Folgejahren veränderte sich die Form des wirtschaftlichen Rohdiamanten Fußball kaum. Erst 1988 begann das Wettbieten um die Fernsehrechte. RTL, Sat.1, Das Erste – jeder hatte mal den Fuß am TV-Ball. Die Gebühren für Übertragungsrechte stiegen in den Folgejahren rapide an und Fernsehgelder wurden zu einer zunehmend wichtigen Finanzierungsquelle für die Vereine.
Und wenn man sich für viel Geld im Fernsehen zeigen lässt, ist es natürlich auch praktisch, wenn man in einem Stadion spielt, dessen mehr oder weniger bekannter Firmenname gleich noch ein paar Zusatzmillionen in die Vereinskasse spült. Abgesehen vom Werksklub Bayer Leverkusen und seiner „Bay-Arena“ strich 2001 der Hamburger SV als erster Verein die Tradition aus dem Stadionnamen, um stattdessen mit der „AOL Arena“ ein bisschen mehr Geld einzustreichen. Seitdem sind viele Vereine nachgezogen. Von den 18 Bundesligaklubs spielen nur noch vier in einem Stadion, das keinen Firmennamen trägt.
Eine Flut von Neubauten und Renovierungen im Zuge der Weltmeisterschaft 2006 hat immerhin dazu geführt, dass selbst etablierte Fußballnationen die Deutschen um ihre hochmodernen Mehrzweck-Arenen beneiden. Natürlich schreien Nostalgiker auf, wenn knarzendes Holz durch Stahlbeton ersetzt wird; aber der Wegfall der Laufbahnen und die damit verbundene Distanzverringerung zwischen Spielfeld und Zuschauerrängen ermöglicht ein Mittendrin-statt-nur-dabei-Gefühl, wie es davor nicht existierte. Und nicht zuletzt steigt die Sicherheit der Besucher. Die oft kritisierte Kommerzialisierung wirft mitunter also auch ein paar Geschenke für den „wahren“ Fan ab.
Der Spaß hat natürlich seinen Preis. So hat der FC Bayern für sein neues Stadion 340 Millionen Euro bezahlen müssen. Und auch die Transfersummen, die einem Verein für den „Abkauf“ eines Spielers gezahlt werden, sind in den letzten Jahren explodiert: Zahlte der selbe Verein 1991 noch den Rekordwert von drei Millionen Euro für Brian Laudrup an Bayer Uerdingen, floss 2009 das Zehnfache für Mario Gomez von München nach Stuttgart. Diese Zahlen wirken beinahe bescheiden, vergleicht man sie mit denen aus Spanien und England: Christiano Ronaldo wechselte im gleichen Sommer für umgerechnet 94 Millionen Euro von Manchester United zu Real Madrid.

Ultras gegen Ultra-Preise
Mittlerweile verdienen die Bundesligaklubs mehr Geld mit Fernsehübertragungen als mit verkauften Stadiontickets. Hinzu kommen Merchandise-Einnahmen, Sponsorengelder und Gelder für das Reüssieren in internationalen Wettbewerben. Das bedeutet freilich nicht, dass Erlöse durch den Verkauf von Eintrittskarten gering sind: Für Champions-League-Spiele kann man beim FC Bayern bis zu 100 Euro bezahlen. Immerhin: Es geht auch günstiger. In Berlin etwa bekommt man ein Ticket für zehn Euro. Im internationalen Vergleich ist es damit für deutsche Fußballfans noch angenehm: Beim FC Arsenal in London zahlt man für einen weniger exquisiten Sitzplatz mindestens 50 Pfund. Stehplätze gibt es nicht. Bei Real Madrid kostet ein einfaches Ligaspiel zwischen 40 und 525 Euro; ein VIP-Ticket im Halbfinale der Champions League kostet bis zu 1.200 Euro. Damit ist der Gang ins Stadion kein Erlebnis mehr für „Malocher“, die ihren Verein seit Jahrzehnten begleiten. Das Motto lautet: Kaviar statt Bratwurst, Champagner statt Pils.
Es wäre ein leichtes, nun das Lamento über den Verfall der „Arbeiterkultur Fußball“ anzustimmen. Aber das scheint vollkommen unnötig. Schließlich halten auch die horrend hohen Eintrittspreise die Fans nicht davon ab, sich Samstag für Samstag mit Hingabe zu beschimpfen. Ohnehin gibt es bereits seit langem organisierte Gegenwehr. Seit den 1980er Jahren wenden sich immer mehr sogenannte „Ultra-“Fan-Gruppen gegen die Kommerzialisierung. Sie kämpfen für den „klassischen“ Fußball und gegen das „Söldnertum“ häufig wechselnder Spieler. Diese Ultragruppen haben in der Regel nur wenig mit Hooligans zu tun: Sie sind organisiert, oft politisch (oder zumindest antifaschistisch), haben eigene Magazine und mit den „Capos“ eigene Ordner, die – immer nüchtern – die eigenen Leute zur Ordnung rufen und bei Problemfällen mit der Polizei verhandeln. Unbedingte Treue zu ihrem Verein, faszinierende Fan-Choreographien und eine Arroganz gegenüber anderen Fans machen sie – zumindest in der Eigenwahrnehmung – zu „richtigen“ Fans. Besonders auffällig ist dieser Unterschied zum „Event-Publikum“, dessen Treue wohl oft nur dem sportlichen Erfolg gewidmet ist.
Das Selbstverständnis der Ultras als Gegenbewegung zeigt sich in der Initiative „Kein Zwanni für nen Steher – Fußball muss bezahlbar sein“. Hier vereinigen sich Ultragruppen vieler deutscher Clubs und kämpfen gegen steigende Preise – mit Erfolg. Einige Vereine haben die Preise für Gästekarten gedeckelt. Ultras sind aber nicht nur Gegner des Wirtschaftsbetriebes Fußball: Sie werden auch von diesem instrumentalisiert, gelten mitunter als attraktives Folklore-Element im Fußball. Nicht ohne Grund zeigen TV-Sender immer häufiger längere Szenen von Fan-Choreographien. So wird bei Partien des BVB immer wieder intensiv die in schwarz-gelb gehüllte Südtribüne gezeigt. Verträgt sich Romantik vielleicht also doch mit dem Geschäft?
Als 2011 der BVB überraschend Deutscher Meister wurde, feierte man dies als einen Sieg der Fußballromantik. Und auch in dieser Saison haben immer wieder Teams mit wenig Geld und ohne Stars gegen finanzstarke Vereine gewinnen können. Auch bei den Ticketpreisen ist das Verhältnis ambivalent: Die teuren (und geschmähten) VIP-Plätze finanzieren die günstigen Stehplätze, subventionieren also die Romantiker. Als sich die Ultras des FC Bayern vor einigen Jahren über die VIP-Politik ihres Vereins beschwerten, entgegnete Präsident Uli Hoeneß: „Was glaubt ihr eigentlich, wer euch alle finanziert? Die Leute in den Logen, denen wir die Gelder aus den Taschen ziehen.“
Die Frage nach Kommerzialisierung oder Tradition beantworteten die Fans des FC Wimbledon auf ihre eigene Art: Als ihr Verein 2002 seine Heimat und seinen Namen aufgab und sich aus finanziellen Gründen anderswo ansiedelte, gründeten unzufriedene Fans den Verein als AFC Wimbledon einfach neu. Mittlerweile spielt der Verein in der vierten Liga Englands.

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