Rezension: Die Bleibenden

In der aufgeheizten Debatte um Flucht und Asyl erinnert Christian Jakobs Buch daran, dass nicht erst seit zwei Jahren Menschen als Asylsuchende nach Deutschland kommen.

von Frank

Vielmehr zeigt Jakob in Die Bleibenden, wie die Anwesenheit von Geflüchteten bereits in den vergangenen beiden Jahrzehnten die Bundesrepublik verändert hat. Der Autor, seit 2006 Redakteur der taz, sieht die Entwicklungen seit dem sogenannten Asylkompromiss von 1993 vor allem auch als das Werk der Flüchtlinge selbst: Sie hätten „den Zugang zu Deutschland freigekämpft und dabei die Gesellschaft verändert“, oft und nicht zuletzt durch Ungehorsam und in Konfrontation mit staatlichen Akteuren. Für die Zeit bis 2011 illustriert Jakob dazu anhand von zwölf exemplarischen Porträts von Flüchtlingen wichtige Auseinandersetzungen – zu Themen wie Abschiebungen, Polizeigewalt oder Selbstorganisation der Flüchtlinge. Der bekannteste Fall darunter dürfte wohl der Tod Oury Jallohs in einer Polizeizelle sein, um dessen entdgültige Aufklärung bis heute gerungen wird.
Es schließt sich eine Chronologie der jüngeren Entwicklungen mit Protesten, Hungerstreiks und eigenen Organisationsformen der Flüchtlinge seit 2012 an. Dabei liefert der Jakob eine durchaus lesenswerte Zusammenfassung insbesondere der Entwicklungen seit 2014/15. Für den Autor ist, trotz Pegida‑Agitation und Brandanschlägen auf Flüchtlingsheime, die Stimmungslage im Deutschland der Jahre 2015/16 völlig anders als in den 1990er‑Jahren – in einem Land, so Jakob, „das Migration und die Migranten letztlich akzeptiert“ habe. Man darf sich angesichts der aktuellen (vor allem verbalen) Enthemmung vieler „Besorgten“ natürlich fragen, ob er diesen Satz und diese Meinung einige Monate nach Niederschrift des Buches heute noch so wiederholen würde. An mancher Stelle scheint es indes, als ob er generell den Mentalitätswandel schlichtweg etwas zu rosig sieht (etwa sogar die BILD‑Zeitung lobt) und damit Gefahr läuft, kurzfristigen Hype mit echten Überzeugungen zu verwechseln. Zugleich räumt er immerhin ein, dass Solidarität mit Flüchtlingen nicht nur eine starke soziale Bewegung, sondern auch „ein popkultureller Hype“, „Modeaccessoire und Bekenntnisformel“ geworden sei.
Der erfahrene Journalist versteht es, Stimmungen zu transportieren: Er schreibt oft szenisch, immer sprachlich ausgeklügelt, manchmal launig, auch emotionalisierend. Dass Jakob viele Jahre selbst in flüchtlingspolitischen Initiativen aktiv war, verhilft ihm zu einem geschärften Blick und enormem Hintergrundwissen, bringt aber auch eine weltanschauliche Färbung, die man sich bei der Lektüre von Die Bleibenden klar machen sollte. Auch stützt er seine Ausführungen nicht selten auf Blogs oder Berichte beteiligter Aktivisten; dadurch findet sich eine kritische Sicht, etwa auf Akteure der Flüchtlingsorganisationen, eher selten; eine ähnliche Ausrichtung durchzieht auch die weiterführenden Lektürehinweise im Anhang des Buches. In diesem finden sich außerdem ein für Einsteiger nützliches Glossar zur Asylthematik und eine Chronik des Asylrechts in Deutschland.

Christian Jakob:
Die Bleibenden. Wie Flüchtlinge Deutschland seit 20 Jahren verändern
Ch. Links Verlag 2016
255 Seiten
18,00 €


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