„Es fehlt oft visuelle Medienkompetenz“

Fotoreporter als „Augenzeugen“? (Foto: flickr-User eli_chan)

Felix Koltermann, Autor des Buches Fotoreporter im Konflikt – Der internationale Fotojournalismus in Israel/Palästina, spricht über Entscheidungsspielräume von Fotojournalisten und den Missbrauch von Fotos aus Krisengebieten.

unique: Können Fotojournalisten objektiv als „Augenzeugen“ oder „Chronisten“ in Krisengebieten arbeiten? Oder sind sie durch den Sucher ihrer Kamera immer subjektiv?
Koltermann: Schon der Begriff „Augenzeuge“ sowie das Arbeiten mit der Kamera beinhalten eine gewisse Subjektivität. Die ist jedoch nicht problematisch, ist sie doch jeder Form von Beobachtung immanent. Man spricht im Fotojournalismus auch eher von Authentizität als bildspezifischer Norm des journalistischen Objektivitätsanspruches. Diese Authentizität entsteht durch bestimmte Praktiken des Sehens und Darstellens. Da spielt die Journalisten-Ausbildung eine Rolle, doch wichtiger sind die Institutionen, in denen die meisten Fotojournalisten arbeiten, wie die internationalen Agenturen AFP, AP oder Reuters. Deren Praktiken und Routinen gewährleisten gewisse Standards der Beobachtung. Ein interessantes Ergebnis meiner Forschung ist übrigens, dass die für die internationalen Agenturen tätigen Fotojournalisten pro Ereignis eine Vielzahl von Bildern anfertigen: Der Standard liegt bei sechs bis zehn Bildern. Das fällt natürlich in der Praxis unserer Nachrichtenmedien unter den Tisch, die in der Regel nur ein Bild publizieren.

Haben also die Bildagenturen und -redaktionen die eigentliche Verantwortung?
Dieser Prozess der Bildkommunikation ist tatsächlich die Krux, da er eine Vielzahl von Stadien hat, an denen verschiedene Akteure mit unterschiedlichen Interessen beteiligt sind. Hier ist auch ein großer Unterschied zum textlichen Auslandsjournalismus zu sehen, wo die Redaktionen oft direkt mit den Auslandskorrespondenten – sofern es diese noch gibt – Rücksprache halten. Das gibt es bezogen auf das Bild, zumindest im Nachrichtenjournalismus, so nicht. Insofern tragen Bildagenturen als zwischengeschaltete Instanz eine sehr große Verantwortung. Prinzipiell halte ich das auch nicht für problematisch, sofern der Medienkonsument um diesen Prozess weiß. Hier fehlt jedoch oft eine spezifisch visuelle Medienkompetenz.

Ist es im Fotojournalismus überhaupt möglich, eine neutrale „Beziehung“ zum Konflikt einzunehmen oder wird immer die „Botschaft“ einer Partei nach außen getragen?
Grundsätzlich ist Neutralität ein Begriff, den ich für völlig unpassend halte. Diesen Anspruch kann niemand erfüllen. Selbst die Konfliktbearbeitung spricht nicht von Neutralität, sondern von Allparteilichkeit, also allen Parteien eine Stimme zu geben. Dazu kommt, dass jeder Mensch, auch der Journalist, ein Recht auf eine eigene Meinung hat. Die Frage ist, wie sich diese zu ihrer professionellen Rolle verhält. Dazu kommt, ob sie überhaupt den Handlungsspielraum besitzen, ihre eigene Version einer Geschichte zu erzählen: Meine Forschung zeigt, dass es in großen Agenturen wie AFP, AP und Reuters so starre Strukturen, Hierarchien und Vorgaben gibt, dass einzelne Fotografen kaum ihre eigene Agenda durchdrücken können. Somit entscheidet die Redaktion, welches Ereignis dokumentiert wird und welche Bilder nachher in Umlauf gebracht werden.

Akteure im Israel-Palästina-Konflikt nutzen Fotos oft gezielt für die Unterstützung ihrer Sichtweise. Sind damit alle Einzelbilder der Pressefotografie einer einseitigen Interpretation ausgeliefert?
Hier ist es wichtig zu unterscheiden zwischen Bildern, die von professionellen Fotojournalisten produziert werden und Bildern, die von Fotografen direkt oder indirekt für Konfliktakteure produziert werden. Bei Bildern, die direkt von Konfliktakteuren, etwa der israelischen Armee, veröffentlicht wurden, handelt es sich natürlich um PR-Bilder, die entsprechend gelesen werden müssen. Noch komplexer wird es durch Kommunikation in den sozialen Medien, wo Bilder unterschiedlicher Herkunft für die eigene politische Agenda genutzt oder gar missbraucht werden. Aber da haben wir es natürlich nicht mehr mit Journalismus zu tun.

Was sind generelle Mechanismen des Fotojournalismus in Krisengebieten und welchen Einfluss üben sie auf die Veröffentlichung aus?
Grundsätzlich ist in jedem Fall abzuwägen, welchen Einfluss die konkreten Produktionsbedingungen auf die Veröffentlichung haben, da Produktion, Distribution und Publikation jeweils anderen Gesetzmäßigkeiten folgen. Ein wichtiger Faktor für die Bildproduktion ist auf jeden Fall die Struktur der internationalen Medienagenturen in einer Region sowie der Grad der Präsenz internationaler Fotografen. Dazu kommen Fragen bezüglich der politischen Rahmenbedingungen, also beispielsweise des Zugangs zu den verschiedenen Konfliktakteuren. Ein anderes wichtiges Thema ist die fotografische Tradition in der jeweiligen Region und damit verbunden die Ausbildungssituation lokaler Fotoreporter und deren professionelle Sozialisation. All diese Faktoren zusammen bestimmen den Produktionskontext, also die Frage, welche Bilder verfügbar sind.

Herr Koltermann, vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellten Lea & Belind.

Felix Koltermann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medien, Theater und Populäre Kultur der Universität Hildesheim. Sein Buch Fotoreporter im Konflikt – Der internationale Fotojournalismus in Israel/Palästina ist im transcript-Verlag erschienen. Wer selbst besser fotografieren lernen möchte findet hier praktische Tipps.


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Kommentare

Eine Antwort zu „„Es fehlt oft visuelle Medienkompetenz““

  1. […] aber auch der TAGESSCHAU sind Konfliktthemen sehr präsent – nicht zuletzt deshalb, weil sie emotional stark aufgeladene Bilder produzieren. Gerade darum seien bei Berichten über Israel „normale“ Bilder Mangelware, […]

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