Identität auf Gutscheinbasis

Sind Flüchtlinge in Deutschland in sogenannten „Gemeinschaftsunterkünften“ zusammen weniger allein? Gedanken zur jüngst vergangenen „Woche der Widerständigkeit“ im Theaterhaus Jena.

von Carolin

Das Licht im Zuschauerraum des Theaterhauses geht an. Am Bühnenrand steht Bella Asonganyi, in einer von Goldpailletten glitzernden Weste. „There are doctors among us. There are engineers among us”, sagt sie, während das Stück kurz still steht; im Hintergrund funkelt Lametta von der Showtreppe. Es muss erst dieser Schritt aus der Szene gewagt werden, um einmal keine andere, außer Bellas durchdringender Stimme zu hören. Nach ein paar Minuten bricht der Lärm wieder herein, das Publikum wird in Dunkelheit gehüllt. The show must go on.

Am vergangenen Samstag endete die „Woche der Widerständigkeit“, ausgerufen vom Theaterhaus Jena und dem THE VOICE Refugee Forum Jena. Die Veranstaltungswoche zum Thema Flüchtlingspolitik in Deutschland bot neben dem zentralen Stück My Heart Will Go On unter anderem Gesprächsrunden, ein Konzert des Trommelvirtuosen Mohammad Reza Mortazavis und eine dreiteilige Ausstellung mit Heimzimmer-Installation. Tägliche „Asyldialoge“ und eine Podiumsdiskussion am Samstag gaben Aufschluss über jene psychologisch tieferliegenden Aspekte der Thematik, die im Tumult auf der Bühne – konsequenterweise – zumeist untergehen mussten. Denn im Stück geht es gerade um die systematische, strukturelle Negation des selbstbestimmten Ich, im Zuge derer der Einzelne einer Kategorie zugeordnet wird: Von jetzt an ist er „Asylbewerber“. Das Wort allein impliziert ein schiefes Verhältnis zum international gültigen Recht auf Asyl.

My Heart Will Go On ist ein Wagnis zwischen Inszenierung und Realität. Letztere wird nicht nur impliziert, sondern nimmt durch Laiendarsteller wie Bella, die selbst in Asylbewerberheimen leben, die Bühne in Beschlag. Das Stück versammelt eine Vielzahl symbolischer Versatzstücke auf der einen, ganz reale Fakten- und Schicksalsberichte auf der anderen Seite. Dazwischen wird die Grenze immer wieder neu gezogen. Der sich drehende Boden und der darauf montierte enge Kasten – der mal als Zimmer, mal als Gefängnis, mal als Erinnerungsort fungiert – etablieren einen Raum, der „kein Ort nirgends“ ist. Die dreckigen, zerschlissenen Matratzen, die ein jeder mit sich zu tragen hat, erscheinen wie Überbleibsel der allzu selbstverständlichen Kleinigkeiten des Lebens. Denn an Federkern-Gemütlichkeit ist hier nicht zu denken, für manche nicht einmal an Schlaf. Viele der Bewohner der sogenannten „Gemeinschaftsunterkünfte“ finden nachts keine Ruhe, erklärt Katrin Bähr, die im Jenaer Beratungszentrum Refugio Asylanwärter medizinisch betreut. Abschiebungen ins Herkunftsland finden bevorzugt ohne Ankündigung in der Nacht statt – man nutzt das Überraschungsmoment.

Leben im Wartezimmer

In etwa 95 Prozent der Fälle wird das erste Gesuch um Asyl nach der Anhörung abgelehnt. Anschließend kann man Widerspruch einlegen. So nimmt ein zermürbender Prozess seinen Lauf, der nicht selten zehn Jahre lang dauert, dominiert von Unsicherheit und der Angst, in das Herkunftsland zurück zu müssen. Oft seien die Betroffenen dort sowie auf der Flucht extremen physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt gewesen, so die Asyl-Beraterin. Durch die Bedingungen in deutschen „Lagern“, in denen sogar für den Arztbesuch zunächst eine Genehmigung eingeholt werden muss, würden diese noch intensiviert. So wäre es Bähr zufolge „eher unnatürlich, wenn sich Angst- und Depressionszustände nicht einstellen würden.“

Das Warten und die Unruhe, die aus ihm resultiert, finden ihre Entsprechung auf der Bildebene des Stückes: Stets ist das gesamte 14-köpfige Ensemble auf der Bühne präsent und bildet ein nervöses Gewimmel. Es wird gekeift, geweint, gestritten und meist erfolglos verhandelt, mit dem zynisch-distanzierten Heim-Hausmeister oder den Behörden, dann wieder getanzt, gesungen – und am Ende protestiert. Leise Stimmen gehen unter. Die meiste Zeit bewegt sich das Stück in der Totalen, in übervollen Gesamtansichten. Wenn sich Esther Jacobs Enahoro an die Todesdrohungen erinnern muss, die sie als unbeschnittene Frau in ihrem Heimatland erfuhr, kann man nur hoffen, dass auch die Figur des wild um sich schreienden, lächerlich exotisierten Schamanen als Konsequenz dieser Überschallung betrachtet werden darf. Niemandem wird Ruhe gegönnt, niemandem wird zugehört. Doch Dramaturgin Claudia Grehn, Regisseur Moritz Schönäcker und ihre studentische Unterstützung der Uni Jena setzen dieser Vereinheitlichung auch ihr Anderes gegenüber: die Universalität. In wiederholten Rollentauschs wird etwa der Richter zum Gerichteten und macht plötzlich eine Übersetzung vom Persischen für den Angeklagten und uns, den Zuschauer, ins Deutsche nötig.

Die Renaissance der Lager

Die deutsche Politik will den Asylbewerbern gar nicht erst Hoffnungen auf eines schönes neues Leben in Deutschland machen. Von der ersten Anhörung an werden Flüchtlinge systematisch zur „freiwilligen“ Rückkehr gedrängt, berichtet Rex Osa, der selbst viele Jahre im baden-württembergischen Heim Biberach verbrachte. Dabei fordern die Behörden die Rückkehr in eine Heimat, die für die Betroffenen schon keine mehr sein kann und so wird erneut zugeordnet, kategorisiert. Ein Mensch, der in Deutschland Asyl sucht, so scheint es, ist ein Politikum, nicht aber ein Individuum mit einer persönlichen Geschichte.

„Zu sagen: ‚Ich wandere aus!’, ist ein eigenständiger Akt, der von einer extrem hohen Motivation zur Selbstbestimmung zeugt“ erinnert Leona Goldstein, die sich seit Jahren als Journalistin und Aktivistin mit dem Thema befasst. Beschäftigungsverbot, Gemeinschaftsunterbringung und rationalisierte Essensgutscheine, sogar „Urlaubsgutscheine“, stehen dieser Perspektive ebenso diametral entgegen wie die die sogenannte „Residenzpflicht“, die Flüchtlingen im Asylverfahren verbietet, ihre Landkreise zu verlassen. Urlaub – das heißt nunmehr, das Recht, seinen Landkreis in begründeten Ausnahmefällen, die im „Ermessensspielraum“ beurteilt werden, verlassen zu dürfen. Was dem normalen Bürger selbstverständlicher Aspekt seiner Freiheit ist, wird hier zum Luxus. Mit Worten ist man allgemein nicht zimperlich in der Amtssprache: Euphemismen wie „Residenz und „Gemeinschaftsunterkunftgehören ebenso zum Amtsvokabular wie das gänzlich unverblümte „Lager, das sich in den Gesetzestexten hierzu findet. In diesem Sinne sind es hier nicht die Kampfparolen der Gegenaktion, die dem Thema den historischen Vergleich aufstempeln.

Die gegenwärtige Situation von Flüchtlingen in Deutschland ist Ausdruck globaler Zusammenhänge, die nach Leona Goldstein die „Tendenz zur Rekolonialisierung“ erkennbar werden lassen. Mithilfe von FRONTEX und eingekauften Lagern an seinen Außengrenzen, bestimmt Europa über die Bewegungs- und Entwicklungsfreiheit derer, die „herüberkommen“ wollen.

Das Stück bleibt derweil beim konkreten Bezug auf „Lager“ und Behörden in Thüringen. Durch Rollen- und Kostümwechsel werden die klaren Strukturen von Gut und Böse nur bedingt aufgehoben. Zusammen mit der oft militärisch anmutenden Kostümierung der Beamten zeigen sie an, dass My Heart Will Go On im Fahrwasser einer kolonialen Rhetorik bleibt – auch wenn es diese hinausschreit, verzerrt, sich mokiert. Neben Dialog und differenzierter Aufklärung ist auch damit eine Strategie beschrieben, Öffentlichkeit zu generieren. Protest und Widerstand machen sich die sprachliche und symbolische Vermassung des „Lagers zu Nutze. Irgendwann wird so der Blick vielleicht geöffnet für den Einzelnen, in seinen sechs Quadratmetern Lebensraum, die ihm als Neuankömmling in Deutschland gesetzlich zustehen.

Veranstaltungshinweis

Am 22.5. findet in Weimar eine Filmvorführung mit anschließender Podiumsdiskussion zum Thema Residenzpflicht statt. Weitere Infos dazu findet ihr hier: http://thevoiceforum.org/node/2544

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