Glosse: Die Enten der Welt

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Weltweit kann man von Mickey in Walt Disneys Comics lesen – aber nicht überall steht das Gleiche drin.

von Kalilan

Trotz der viel gescholtenen Globalisierung gibt es bislang nur wenige Dinge, die überall auf der Welt gleich sind: die Naturgesetze (der Apfel fällt vom Baum), die Verdorbenheit der Jugend (der Apfel fällt nicht weit vom Stamm) und die Apfeltasche von McDonald‘s (leider kein Apfel drin). Dazu gehören auf den ersten Blick auch die Comics aus dem Hause Disney. Die lustigen Enten, Hunde und Mäuse sehen überall auf der Welt gleich aus: Onkel Dagobert trägt seinen Zylinder am Nordpol und in Feuerland, Donald ist auch im küstenfernen Tadschikistan in Matrosenuniform und ohne Hose unterwegs und weder Daisy noch Minni verhüllen in Jordanien ihr Haar mit einem Kopftuch. Doch dass der Schein weltweiter Enten-Uniformität trügt, weiß, wer einmal auf die Namen unserer tierischen Freunde geachtet hat: Denn während Donald seine Neffen bei uns Tick, Trick und Track ruft, nennt er sie in Dänemark Rip, Rap und Rup. Ein Land weiter nördlich heißen sie Knatte, Fnatte und Tjatte und in der Türkei kennt man die Drei vom Fähnlein Fieselschweif als Cin, Can und Cem. Donald selbst heißt in Kleinaisen übrigens Donal McVak, in Italien Paperino und auf Japanisch Donarudo Dakku.
Nun mag man sagen, Namen seien bekanntlich Schall und Rauch und Differenzen in der Nomenklatur daher noch lange kein schlagender Beweis für regionale Unterschiede. Es ist also an der Zeit auch einen Blick in die Storys zu werfen, die Disney rund um die Welt erdichten lässt. Zum Beispiel im ägyptischen Studio in Kairo: In der Miikii vom 21. Oktober 2004, noch erhältlich auf den zahlreichen Bücherflohmärkten der Stadt, finden wir die Geschichte „Strand der Sorgen“ (shaaTi’ al-balaabil *). Daisy, die auf arabisch übrigens Ziizii heißt, und Donald, auf arabisch BaTuuT, sind die Helden in diesem Abenteuer, das mit der klassischen Lost-in-the-Desert-Szene beginnt. Daisy/Ziizii hält verzweifelt Ausschau nach dem „Strand der Sorgen“ (nomen est omen!), an dem beide ihre freie Zeit zu verbringen trachten, während Donald das bekannte rote Auto an schroffen Felsen vorbei durch die Wüste steuert. Bei einem Blick auf die Karte ruft er aus: „Oh nein! Wir sind links statt rechts abgebogen!“ Dem anwesenden Geier tropft der Speichel aus dem Mund … Doch Gottseidank finden unsere Helden eine „kleine, nette Stadt“, nebst ebensolchem Hotel.  Von dem Ganovenpärchen, welches den Ort in Angst und Schrecken versetzt und ihnen dummerweise zum Verwechseln ähnlich sieht, wissen die beiden Unschuldslämmer zu diesem Zeitpunkt ebenso wenig wie von der nächtlichen Verfolgungsjagd, die ihnen bevorsteht. Auch uns braucht das nicht weiter zu interessieren, es soll nur erklären, wieso dem Portier das Toupet vom Kopf fliegt, als er Donald und Daisy vor dem Tresen erblickt.

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Denn an dem, was Daisy fordert, liegt es sicher nicht, dass der Gute so aus dem Konzept gerät. „Guten Abend. Wir hätten gern zwei Zimmer für eine Nacht.“ säuselt die rosabeschleifte Entendame. Aber haben wir richtig gehört: „Zwei Zimmer für eine Nacht“? Ja, haben wir. Und so sagt auch der Portier, während er Donald gut sichtbar einen einzigen Schlüssel überreicht: „Zimmer 2 und Zimmer 3“. Wie unschön, denkt sich der Comicfreund.  Doch was uns als ärgerliche Inkongruenz zwischen Bild und Text erscheint, ist für die ägyptische Redaktion nicht das Problem, sondern die Lösung. Es ist die Antwort auf die Frage, wie man mit der unmoralischen amerikanischen Vorlage umgehen soll. Wenn man schon nicht verhindern kann, dass die unverheirateten Entchen ohne Anstandstante in Urlaub fahren, dann sollen sie zumindest nicht noch im selben Zimmer nächtigen! Und da an der Zeichnung nicht mehr zu rütteln ist, bleibt nur die Trickserei mit dem Text. Noch kniffeliger wird es bei der nächsten Szene: Während es plötzlich an das Zimmerfenster klopft, steht nicht nur Donald, sondern auch Daisy im Raum. Klar, es ist ja ihr gemeinsames Zimmer, sagt der westliche Leser. Der ägyptische hingegen kann hier nur schlimmste Unsittlichkeit vermuten. Man kann sich gut vorstellen, wie die Texter im ohnehin heißen Kairo zu Schwitzen beginnen: „Was tun?“ fragen sich die eifrigen Schreiber, während sie den letzten Schluck eiskalte Limo runterkippen. Donald muss sich besorgt über das Klopfen äußern, also bleibt nur die Sprechblase von Daisy. „Was schreiben wir da rein?“ ruft man sich erregt zu und der Schweiß tropft auf das Konzeptpapier. Die Ausgabe muss morgen raus. Der Ventilator klackt rhythmisch, doch kann er die erhitzen Gemüter kaum noch kühlen. Muss man das Bild doch entfernen? Oder gar die Kollegen in Amerika anrufen und bitten, ein neues zu zeichnen? „Wie können wir das nur retten?!“ Doch da hat plötzlich einer eine Idee und die Sittenwächter im ägyptischen Disneystudio können erleichtert aufatmen. Daisy sagt einfach: „Dein Zimmer ist aber nett. Ich gehe dann mal in mein Zimmer.“ – Puh, noch einmal Glück gehabt! Al-7amdu lillah! Oder wie es in Deutschland heißt: „Ente gut, alles gut!“

(Bilder: Miikii Magazin Ägypten)

* Die UNIQUE verwendet zur Darstellung der arabischen Schrift das in der jüngeren Generation weit verbreitete Chat-Alphabet (3arabiyat ad-dardasha). Es kommt mit den Zeichen einer normalen (Handy-)Tastatur aus, ist für arabische Mutter- wie Fremdsprachler leicht verständlich und eignet sich auch zur Darstellung dialektaler Varianten. Genauere Informationen im englischen (!) Wikipedia unter „Arabic chat alphabet“. Großbuchstaben kennzeichnen emphatische Laute, Doppelvokale werden lang gesprochen.

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