Gastbeitrag: In Abneigung geeint

In Magdeburg ist man stolz, Landeshauptstadt zu sein. In Halle ist man stolz, nicht Magdeburg zu sein. Die Geschichte zweier Städte, die sich einfach nicht mögen wollen.

von Alexander Kullick

Nun also auch noch Google Earth. Die Software, die ein gutes Jahrzehnt nach ihrer Bereitstellung von niemandem mehr genutzt wird, soll eine Mitschuld tragen am schier ewig schwelenden Konflikt zweier mitteldeutscher Städte. Sicher, die Streitigkeiten zwischen Halle und der 100 Kilometer nordwestlich befindlichen Landeshauptstadt Magdeburg haben die Grenze ins Lächerliche schon so manches Mal touchiert, wenn nicht gar überschritten. In diesem Fall aber kann man konkret die Minderwertigkeitskomplexe erkennen, die viele Hallenser zu plagen scheinen. Grund für den Ärger, der schon einige Jahre zurückreicht, sind Satellitenfotos, die Google für Magdeburg einerseits und für die Saalestadt andererseits nutzte. Einem Gerücht zufolge seien die Bilder von Halle im Frühjahr gemacht worden, die Magdeburgs hingegen im grünen Sommer. Halle wirke dadurch kahl und unattraktiv, während die Bördestadt schon alleine wegen der vielen grünen Flächen einen Charme ausstrahle, den Halle aufgrund der jahreszeitlichen Benachteiligung gar nicht erwecken könne.
Nun, dieses Beispiel ist zugegebenermaßen nicht mehr ganz zeitgemäß, inzwischen zeigen auch die Aufnahmen Halles eine wahrlich grüne Idylle. Die Debatte darüber, wer denn nun die grünere Stadt sei, ist aus noch einem anderen Grund ziemlich scheinheilig: Einer Untersuchung der Berliner Morgenpost aus dem letzten Jahr zufolge befinden sich die Rivalen aus Sachsen-Anhalt hierbei auf den Plätzen 70 und 75, untersucht wurden: 79. Selbst solch alte Malocher-Hochburgen aus dem Ruhrgebiet wie Bottrop oder Essen finden sich hier beträchtlich besser platziert wieder.
Was bringt zwei mittelgroße Städte dazu, sich an solch Banalitäten zu stoßen? Lohnenswert ist ein Blick in die Geschichte beider Städte, die einige Erklärungen für die heute zur Provinzposse verkommene Diskussion bereithält. Schon vorab der Spoiler: Halle sollte nicht als Gewinner aus diesem Duell hervorgehen.

Ein 14-jähriger Magdeburger erobert Halle
Magdeburg vermarktet sich heute als „Ottostadt“, eine Anspielung nicht nur auf den Entdecker des Vakuums, Otto von Guericke, sondern vor allem auch auf Otto I. Dieser gründete im Jahre 968 an der Elbe das Erzbistum Magdeburg, welches für rund 700 Jahre bestehen sollte. In dieser Zeit liegt auch der erste größere Reibungspunkt zwischen Halle und Magdeburg: die Einnahme Halles durch Ernst II., seines Zeichens Erzbischof von Magdeburg und gerade mal 14-jährig, im Jahre 1478. Als hätte er die noch Jahrhunderte später andauernde Fehde beider Städte schon geahnt, ließ er mit der Moritzburg nur wenige Jahre nach der Eroberung einen spätgotischen Koloss im damaligen Nordwesten der Stadt errichten, der keinen Zweifel an seinen Absichten erkennen lassen sollte. Dies diene dem Zweck, die Stadt „besser in Gehorsam, Unterwürfigkeit und Ruhe“ zu erhalten, besagt eine zeitgenössische Verlautbarung. Halle verlor dadurch seine relative städtische Eigenständigkeit und fungierte bald als Residenzstadt, bis kurze Zeit später die Reformation auch in der Saalestadt Einzug hielt.
Der Dreißigjährige Krieg löschte Magdeburg fast gänzlich aus, keine andere Stadt wurde im Verlauf des Krieges derart vernichtet. Die Flammen und die äußerst gewaltsam vorgehenden Truppen des Grafen Tilly führten dazu, dass von ursprünglich 35.000 Bewohnern lediglich eine kleine dreistellige Anzahl in der Stadt verbleiben sollte. Magdeburg, vor dem Krieg eine der bedeutendsten Städte Deutschlands, verlor in der Folge fast vollständig an Bedeutung und erreichte erst gut 200 Jahre später wieder die frühere Einwohnerzahl.
Verglichen mit dem alten Widersacher im Norden kam Halle glimpflich davon, wenngleich die Saalestadt ebenfalls besetzt wurde und unter anderem die Moritzburg ausbrannte. Der heutige Dualismus der beiden Gemeinden kam dadurch zum Erliegen und wurde erst Jahrhunderte später in der Öffentlichkeitswirkung langsam wieder präsent.
Im 19. Jahrhundert wurden Halle und Magdeburg preußisch und waren bis zum Zweiten Weltkrieg wichtige Bestandteile der Provinz Sachsen. Der florierenden Phase beider Städte wurde während des Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg ein jähes Ende gesetzt; besonders Magdeburg wurde durch systematische Flächenbombardements der Alliierten abermals fast vollständig zerstört. Allein ein Angriff im Winter 1945 vernichtete 90 Prozent der historischen Altstadt unwiederbringlich. Halle hingegen wurde, wie schon 300 Jahre zuvor, vergleichsweise verschont und entging, auch aufgrund der Courage einiger Bürger, daher größeren Kampfhandlungen. Der Grad der Beschädigung sollte in den nächsten Jahren noch von größerer Bedeutung sein – es galt, eine Hauptstadt für das 1947 neu gegründete Land Sachsen-Anhalt zu finden.

Halle steht endlich über Magdeburg – aber nur für fünf Jahre
Die Provinz Sachsen wurde anschließend in „Provinz Sachsen-Anhalt“ umbenannt und erhielt 1947 ihre eigene Landesverfassung, zugleich erfolgte die Umbenennung in „Land Sachsen-Anhalt“. Zur Hauptstadt erkoren wurde Halle, da Magdeburg insbesondere in den letzten Kriegsjahren einen hohen Schaden davongetragen hatte und daher als Landeshauptstadt nicht brauchbar erschien. Der hallische Ruhm war allerdings nur von kurzer Dauer, da es gerade einmal fünf Jahre später zu einer umfassenden Verwaltungsreform in der inzwischen gegründeten DDR kam. Im Zuge dieser wurden die Länder abgeschafft und durch eine Vielzahl kleinerer Bezirke ersetzt, welche die größten Städte des Staates und ihre Umgebung umfassten. Sowohl Halle als auch Magdeburg wurden hierbei Hauptstadt der nach ihnen benannten Bezirke, ein Zustand, der bis zur Wiedervereinigung Deutschlands bestehen bleiben sollte. Damit einher ging die rechtliche Gleichstellung beider Städte, weshalb die oft als Provinzposse umschriebene Rivalität zwischen ihnen in der DDR weitgehend zum Erliegen kam. So zog sich bis zur Wende der Status quo durch die Geschichte des Verhältnisses beider Städte – das sollte sich ändern.
Mit dem sich im Laufe des Jahres 1990 immer deutlicher abzeichnenden Ende der DDR wurden Fragen aufgegriffen, die sich alle schon einmal gestellt hatten. Besonders pikant war diejenige, die sich mit der Hauptstadt des neu zu gründenden Landes Sachsen-Anhalt beschäftigte. Eine nüchterne Analyse fiel allen Beteiligten offenbar schwer, es entwickelte sich eine brisante Debatte. Halle konnte vor allem zwei Argumente aufweisen: Es war nach dem Zweiten Weltkrieg schon einmal zur Hauptstadt gewählt worden und es besaß schlicht mehr Einwohner (circa 310.000; Magdeburg: knapp 280.000). Doch auch die Bördestadt im Norden hatte ein nicht von der Hand zu weisendes Argument in petto: Innerhalb des neuen Landes Sachsen-Anhalt lag sie deutlich zentraler, was in der Geschichte schon so manches Mal den Ausschlag zugunsten eines Bewerbers gegeben hat. Auch sei Halle eine Hochburg der SED gewesen und daher nicht würdig, den Rang einer Landeshauptstadt innezuhaben, war aus der Ottostadt zu vernehmen.
Im Sommer 1990 traf man sich in der Kleinstadt Zerbst zu ersten Beratungen, wie man weiter verfahren solle. Manch Hallenser witterte vielleicht selbst in der Wahl dieser Tagungsstätte eine Verschwörung, denn Zerbst liegt zwar ungefähr mittig zwischen beiden Kontrahenten, aber doch etwas näher an Magdeburg. Das konnte nicht gut gehen.
Der Ausgang dieser Abstimmung war nicht verbindlich, aber doch richtungsweisend: Magdeburg siegte deutlich, die Entscheidung wurde auf der ersten Sitzung des neuen Landtages nach der Wiedervereinigung bestätigt und damit manifest. Es war gleichsam die bis heute einzige Abstimmung in diesem Parlament, die geheim vonstattenging. Nicht auszudenken, welche Art von Empfang einem hallischen Gesandten an der Saale bereitet worden wäre, wenn dieser sich gegen seine politische Heimat entschieden hätte.

Einmal zu oft spaltet der Fußball die Gemüter
Die hallische Volksseele war gekränkt, und es gibt genügend Gründe anzunehmen, dass sie das auch mehr als 25 Jahre später noch ist. In besonderer Schärfe zeigt sich dies im Fußball, das Derby zwischen dem Halleschen FC und dem 1. FC Magdeburg gilt als eines der brisantesten Fußballspiele Deutschlands. Traurige bundesweite Bekanntheit erreichte es im letzten Jahr, als ein Magdeburger Fan im Zusammenhang des Spiels wahrscheinlich nicht aus freien Stücken aus einem fahrenden Zug sprang und sich dabei tödliche Verletzungen zuzog. Die Ermittlungen dazu wurden im März dieses Jahres abgeschlossen – ergebnislos. Die Fanszenen beider Vereine sind seit der Wende zutiefst verfeindet; unter den Umständen eines verlorenen Menschenlebens haben sie sich allerdings dazu entschieden, die Spiele in der jeweils anderen Stadt bis auf unbestimmte Zeit nicht mehr zu besuchen.
Dass auch die Magdeburger nicht gänzlich frei von Komplexen sind, offenbarte sich im Jahr 2008: Von „Ignoranz und Arroganz“, gar einem „unwürdigen Umgang mit Magdeburg“ war die Rede. Stein des Anstoßes waren die Gebeine von Königin Editha, einst die Gemahlin von Otto I. im 10. Jahrhundert. Diese wurden durch Zufall im Magdeburger Dom von Archäologen gefunden und in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach Halle verfrachtet, wo man sie eingehend untersuchte. Erst Jahre später gab es die Gewissheit, dass es sich bei dem unvollständigen Skelett um Editha, Königstochter aus England, handelt. Im Anschluss daran wurde sie an ihrem Fundort, dem Dom in der Landeshauptstadt, neben ihrem Ehemann Otto bestattet.
Ja, das Verhältnis zwischen Halle und Magdeburg könnte besser sein. Es ist aber auch nichts Außergewöhnliches. Wenn man seinen Blick über die Landesgrenzen von Sachsen-Anhalt hinaus erweitert, dann findet man dutzende ähnliche Beispiele. Einem Kölner wird es wahrscheinlich nicht leichtfallen, Düsseldorf als Hauptstadt zu akzeptieren. Die Kanadier, Australier oder Brasilianer haben eigens eine Hauptstadt aus dem Nichts erschaffen, da sich die zwei bedeutsamsten Städte nicht einigen konnten, wer ihrem Land vorstehen solle. In Sachsen-Anhalt wird es so schnell sicher nicht langweilig – bis vor wenigen Tagen konkurrierten Halle und Magdeburg in der Bewerbung um die Kulturhauptstadt 2025, mittlerweile hat der hallische Stadtrat allerdings sein Veto eingelegt. Ruhig wird es um die beiden Kontrahenten aber wohl eher trotzdem nicht – dafür können sie sich einfach zu wenig riechen.

Alexander Kullick ist Redakteur der hallischen Studierendenschaftszeitschrift hastuzeit der Martin-Luther-Universität. Dieser Artikel erschien zuerst in hastuzeit Nr. 73.


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