Filmrezension: Das Leben als Illusion – „Jerichow“

Regie: Christian Petzold, Deutschland 2009, Schramm Film/BR/arte, ca. 93 Minuten

von Yeke

Ali (Hilmi Sözer) hat es geschafft. Die Stolpersteine der Immigration und ihrer Folgen hat er hinter sich gelassen, denn längst ist er ein erfolgreicher Geschäftsmann. Als Besitzer einer Kette von mehr als vierzig Imbissbuden scheint er angekommen zu sein in einem Deutschland, das sich beständig über gescheiterte Integrationsbemühungen echauffiert. Doch Alis perfektes Leben ist nur eine Illusion. Die Fassade beginnt zu bröckeln, als er der Ex-Soldat Thomas (Benno Fürmann) als Fahrer einstellt. Prompt fühlt der sich nämlich zu Alis Frau Laura hingezogen – glanzlos gespielt von Nina Hoss, der Stamm-Muse des Regisseurs Christian Petzold.
Nach Motiven von James M. Cains Kriminalroman „The Postman Always Rings Twice“ legt Petzold „Jerichow“ als eine ruhige, nichtsdestotrotz aber spannende Charakterstudie an, die nur vordergründig mit den Konventionen des Genres spielt. So lässt sich Petzold beispielsweise nicht dazu verleiten, sein Werk allzu häufig mit den stilistischen Spielereien des Film Noir anzureichern. Viel Raum hingegen gesteht er den Schauspielern zu.
Benno Fürmann nutzt diese Chance nicht. In der Rolle des stoischen, wortkargen Einzelgängers ist dem hölzernen Mimen die latente Überforderung besonders den vielen langen Einstellungen deutlich anzumerken. Spätestens nach der ersten halben Stunde kann er seiner Figur keinerlei neue Facetten mehr hinzufügen. Womöglich trägt die Schuld daran Hilmi Sözer, der sich mit dem Portrait des Selfmade-Man Ali endgültig aus dem Komödienghetto vergangener Jahre befreit und so zur Seele des Films avanciert.
Den Hang zur Selbstzerstörung scheint er in jeder Zelle seines Körpers zu tragen. Er ist ein eifersüchtiger Trinker, der seine Frau nur durch Geld an sich binden kann. Als Imbissimperator hält Ali seine Angestellten einzig mit Gewalt und nicht mit Respekt unter Kontrolle. Sein mühsam erarbeitetes Eigenheim steht versteckt irgendwo in den Wäldern des menschenleeren Nordostens Deutschlands. Er ist eben doch nicht Teil der deutschen Mittelklasse geworden und wird auf ewig ein Außenseiter bleiben. Daran kann auch sein wirtschaftlicher Aufstieg nichts ändern.
Alis jovialem Äußeren liegen jedoch eine tiefe Melancholie und damit die Erkenntnis seines Scheiterns zugrunde. In der Szene seines betrunkenen Tanzes am Meer, begleitet von türkischer Musik, drückt sich seine Unfähigkeit, dauerhaft in Deutschland Fuß zu fassen, wohl am offensichtlichsten aus. Sözers Präsenz rettet Jerichow vor dem eigentlich verdienten Schicksal im Eisschrank der Filmgeschichte. Denn allein mit Petzolds gemächlicher Inszenierung und recht oberflächlicher Handhabung der beiden anderen Hauptfiguren – deren weitgehend unglaubwürdige Beziehung mit einem Hang zur aufgesetzten Leidenschaft einhergeht – wäre der Film durchaus zu einem nichts sagenden, hochgradig unterkühlten Krimi verkommen.


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