Nur ein Faust von vielen

Das Gemälde "Faust im Studierzimmer" von Georg Friedrich Kersting (Foto: Hannelore Gärtner / Wikipedia)
Das Gemälde "Faust im Studierzimmer" von Georg Friedrich Kersting (Foto: Hannelore Gärtner / Wikipedia)

Vor genau 200 Jahren wurde Goethes Faust erstmals auf die Bühne gebracht. Wie der Mythos des Gelehrten, der mit dem Teufel paktiert, die Weltliteratur jenseits des Goethe-Dramas geprägt hat, zeigt das Buch Der literarische Faust-Mythos.

von Frank

„Welch Schauspiel! aber ach! ein Schauspiel nur! Wo fass’ ich dich, unendliche Natur?“ –  Vor inzwischen zwei Jahrhunderten, am 24. Mai 1819, kam es zur ersten dramatischen Aufführung der berühmten Studierzimmer-Szenen aus Faust im Schloss Monbijou in Berlin. Seitdem haben sich unzählige Theater-Regisseure, Schriftsteller und Filmemacher daran versucht, den Geist von Goethes vielzitiertem Werk einzufangen. Der Faust ist das wohl meistgespielte deutsche Stück auf den Theaterbühnen und sogar in der Populärkultur fest verankert. Jeder weiß zumindest um die Grundzüge jener Geschichte über den Magier und Universalgelehrten, der zu wissen trachtet, „was die Welt im Innersten“… man kennt das ja.

Und doch ist die Faust-Erzählung viel mehr: Im Verlag J.B. Metzler bietet der Grundlagenband Der literarische Faust-Mythos dazu eine fundierte Übersicht. Dr. Manuel Bauer, Dozent für Neuere deutsche Literatur an der Universität Marburg, widmet sich darin mehr als 500 Jahren Stoffgeschichte zu Faust.

Die Figur Faust vor (und nach) Goethe
Wie schon angedeutet geht Bauer dabei weit über Goethe hinaus. Tatsächlich widmen sich nur rund 120 der über 400 Seiten dem Faust Goethes: dem zwischen 1772 und 1775 entstandenen Urfaust, dem 1790 veröffentlichten Faust. Ein Fragment, hin zu Faust. Der Tragödie Erster Teil (1808) und schließlich Der Tragödie Zweiter Teil als dem Abschluss einer fast lebenslangen Beschäftigung mit dem Stoff, veröffentlicht 1832, einige Monate nach dem Tod des Weimarer Dichters. Es wird dabei deutlich, wie Goethe bereits seine Zeitgenossen um 1800 wie Friedrich Wilhelm Joseph Schelling durch das Faust-Fragment für den Gelehrten-Mythos begeistern konnte.

Bauer geht es also nicht um eine detaillierte Geschichte des Goetheschen Dramas, sondern vielmehr um eine Rekonstruktion dessen, was vorher (und danach) war. Der Literaturwissenschaftler schaut bis ins europäische Mittelalter zurück, auf real existierende Vorbilder – Scharlatane, Schwarzmagier, Teufelsbündler – und die Legendenbildung über diese. Am Ende handle es sich um einen „eher vermuteten als zweifelsfrei belegbaren ‚historischen Faust‘“, so Bauer: „Darüber, wie der historische Kern des Faust-Stoffes genau beschaffen ist, wissen wir zwar wenig zu sagen – dass es einen oder mehrere Kerne gibt, darf aber als sicher angenommen werden.“

„Symbolfigur der Neuzeit“
Grundsätzlich sieht Bauer Faust als eine Symbolfigur der Neuzeit, durch die Modernität und Fortschritt sowie die „Grenzen des Wissens und des Menschseins“ problematisiert werden. Er stellt wesentliche literarische Verarbeitungen vor, wie die Historia von D. Johan Fausten des Buchdruckers Johann Spies aus dem Jahr 1587, die den Faust-Stoff durch ihre Übersetzung auch im europäischen Ausland bekannt machte, und das Drama The Tragical History of Doctor Faustus des englischen Renaissance-Schriftstellers Christopher Marlowe.

Am Ende jedes Kapitels listet Bauer die historischen Texte und natürlich die zugehörige Sekundärliteratur auf; hierbei fällt seine enorme Quellenkunde auf, durch die sich dem Leser unzählige Anknüpfungspunkte für eigene Vertiefung bieten. Es handelt sich bei Der literarische Faust-Mythos aber eben um ein (literatur-)wissenschaftliches Buch, das sich nicht so nebenbei „wegliest“. Dank gezielt eingesetzter Hervorhebungen wichtiger Aspekte im Text hat der Band aber eine sehr klare Struktur, was auch optisch den Lehrbuch-Charakter unterstreicht.

Manuel Bauer führt nicht nur durch wichtige Entwicklungsstationen des Faust-Stoffes, er nimmt auch spezielle Spielarten und Einzelaspekte in den Blick: weibliche Faust-Figuren zum Beispiel, wie sie erstmals 1841 im Roman Gräfin Faustine von Ida Hahn-Hahn auftauchen, oder die Umsetzung als Comic (stellvertretend dafür die Adaption des Berliner Zeichners Flix). Daneben finden in dem Buch auch weniger bekannte sowie noch recht junge Faust-Variationen in der Gegenwartsliteratur Beachtung. Man kann sich dabei des Eindrucks nicht erwehren, dass oft schlichtweg die Popularität, die mit dem Namen Faust verbunden ist, als willkommene PR-Möglichkeit für Schriftsteller und ihre Verlage gilt. Dabei sei, so Bauer, der Rückgriff zeitgenössischer Autoren fast ausschließlich auf Goethes Drama beschränkt. Und das obwohl der Faust-Mythos so viel mehr bietet, wie Bauers Buch mit Nachdruck deutlich macht.

Manuel Bauer:
Der literarische Faust-Mythos. Grundlagen – Geschichte – Gegenwart
J.B. Metzler Verlag 2018
420 Seiten
29,95 Euro

 


Beitrag veröffentlicht

in

,

von

Schlagwörter:

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert